Generalaudienz: Die Katechese im Wortlaut

Lesen Sie hier den Wortlaut der Katechese von Papst Franziskus in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan. Den offiziellen Text finden Sie wie üblich in Kürze auf der offiziellen Internetseite des Vatikans, vatican.va.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Wir nehmen heute unsere Überlegungen zum Galaterbrief wieder auf. Paulus hat dort unsterbliche Worte über die christliche Freiheit geschrieben. Was ist die christliche Freiheit? Auf dieses Thema wollen wir heute eingehen: Die christliche Freiheit, die Freiheit.

Die Freiheit ist ein Schatz, den man erst dann richtig zu schätzen weiß, wenn man ihn verloren hat. Vielen von uns, die es gewohnt sind, in Freiheit zu leben, scheint sie oft eher ein erworbenes Recht als ein Geschenk und Erbe zu sein, das es zu bewahren gilt. Wie viele Missverständnisse hat es um das Thema Freiheit gegeben, wie viele unterschiedliche Vorstellungen sind im Laufe der Jahrhunderte aufeinandergeprallt!

Im Fall der Galater war es für den Apostel unvorstellbar, dass sich Christen, die die Wahrheit Christi erkannt und angenommen haben, von trügerischen Angeboten verlocken lassen und von der Freiheit wieder in die Knechtschaft zurückfallen: von der befreienden Gegenwart Jesu in die Knechtschaft der Sünde, des Legalismus und so weiter. Auch heute ist der Legalismus ein Problem für uns, ein Problem vieler Christen, die sich in den Legalismus, die Kasuistik flüchten. Deshalb fordert Paulus die Christen auf, in der Freiheit, die sie durch die Taufe erhalten haben, zu bleiben und sich nicht wieder das „Joch der Knechtschaft auflegen zu lassen“ (Gal 5,1).

Für Paulus ist die Freiheit zu Recht ein eifersüchtig zu hütendes Gut. Er weiß, dass sich einige „falsche Brüder“ - so nennt er sie: falsche Brüder - in die Gemeinschaft eingeschlichen haben, um – wie er schreibt – „die Freiheit, die wir in Christus Jesus haben, auszuspähen und uns zu versklaven“ (Gal 2,4), zurückzufallen. Und das kann er nicht dulden. Eine Verkündigung, die die Freiheit in Christus ausschließt, wäre niemals im Sinne des Evangeliums. Sie wäre vielleicht pelagianisch oder jansenistisch, aber nicht evangeliumsgemäß. Es kann keinen Zwang im Namen Jesu geben; niemand kann im Namen Jesu, der uns befreit, zum Sklaven gemacht werden. Freiheit: Die Freiheit, die eine Gabe ist, die uns in der Taufe geschenkt wurde.

Doch die Lehre des Paulus über die Freiheit ist vor allem positiv. Der Apostel schlägt die Lehre Jesu vor, die wir auch im Johannesevangelium finden: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wahrhaft meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien“ (8,31-32). So sagt Jesus bei Johannes. Der Aufruf lautet daher vor allem, in Jesus zu bleiben, der Quelle der Wahrheit, die uns befreit. Die christliche Freiheit ruht also auf zwei Grundpfeilern: erstens, der Gnade unseres Herrn Jesus und zweitens der Wahrheit, die uns Christus offenbart und die er selbst ist. Was ist die Wahrheit, die Christus uns offenbart? Er selbst.

Vor allem also ist sie ein Geschenk des Herrn. Die Freiheit, die die Galater – und auch wir, in der Taufe – erhalten haben, ist Frucht des Todes und der Auferstehung Jesu. Der Apostel konzentriert seine gesamte Verkündigung auf Christus, der ihn von den Fesseln seines bisherigen Lebens befreit hat: von Christus allein kommen die Früchte des neuen Lebens aus dem Heiligen Geist. Die wahrhaftigste Freiheit, die Freiheit von der Knechtschaft der Sünde, geht vom Kreuz Christi aus. Wir sind frei von der Knechtschaft der Sünde durch das Kreuz Jesu. Genau dort, wo Jesus sich kreuzigen ließ, sich zum Knecht gemacht hat, hat Gott die Quelle der Befreiung des Menschen entstehen lassen. Das erstaunt uns immer wieder: wie der Ort, an dem uns jede Freiheit genommen wird – nämlich der Tod –, zur Quelle der Freiheit werden kann. Genau darin liegt das Geheimnis der Liebe Gottes! Man versteht es nicht leicht,  man lebt es. Jesus selbst hat es verkündet, als er sagte: „Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen“ (Joh 10,17-18). Jesus setzt seine ganze Freiheit aufs Spiel, als er sich dem Tod überantwortet; er weiß, dass er nur so das Leben für alle erlangen kann.

Paulus hatte, wie wir wissen, dieses Geheimnis der Liebe am eigenen Leib erfahren. Deshalb kann er den Galatern gegenüber auch zu sagen wagen: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden“ (Gal 2,19). Er weiß, dass er in dieser innigsten Vereinigung mit dem Herrn das größte Geschenk seines Lebens erhalten hat: die Freiheit. Am Kreuz hat er nämlich „das Fleisch und damit seine Leidenschaften und Begierden gekreuzigt“ (5,24). Wir erkennen, welch tiefer Glaube den Apostel beseelt hat, wie groß seine Vertrautheit mit Jesus war – und auch wenn wir spüren, dass es etwas ist, das uns selbst fehlt, macht uns das Zeugnis des Apostels doch Mut. Um voranzugehen auf diesem Weg der Freiheit. Der Christ ist frei, er muss frei sein. Er darf nicht zurückfallen in die Knechtschaft der Regeln, der merkwürdigen Dinge.   

Der zweite Pfeiler der Freiheit ist die Wahrheit. Der erste war das Geschenk, das Geschenk des Herrn: die Freiheit ist ein Geschenk des Herrn. Der zweite Pfeiler ist die Wahrheit.  Auch hier müssen wir uns vor Augen führen, dass die Wahrheit des Glaubens keine abstrakte Theorie ist, sondern der lebendige Christus selbst, der die komplexen alltäglichen Aspekte unseres persönlichen Lebens direkt berührt. Es gibt soviele Menschen, die nicht studiert haben, ja nicht einmal lesen und schreiben können, und die doch diese Botschaft Christi verstanden haben. Sie haben diese Weisheit, die frei macht, und das, ohne studiert zu haben. Weil die Weisheit Christi durch den Heiligen Geist in der Taufe in sie eingedrungen ist. Wieviele Menschen gibt es, die das Leben Christi führen mehr als es große Theologen tun und die ein großes Zeugnis der Freiheit des Evangeliums sind.

Die Freiheit befreit uns in dem Maße, in dem sie unser Leben verändert und uns auf das Gute hin ausrichtet. Um wirklich frei zu sein, brauchen wir also nicht nur eine psychologische Selbsterkenntnis, sondern auch die Bereitschaft, uns in der Tiefe unseres Herzens für die Gnade Christi zu öffnen. Auf einer tieferen Ebene. Die Wahrheit muss uns aufrütteln, unruhig machen - Unruhe, das ist ein so christliches Wort. Es gibt Christen, die nie beunruhigt sind, die keine Unruhe in ihrem Herzen verspüren, immer gleich dahinleben. Ihnen fehlt diese Unruhe. Warum ist sie wichtig? Weil die Unruhe das Zeichen dafür ist, dass der Heilige Geist in uns arbeitet. Die Freiheit ist eine aktive Freiheit, mit der Gnade des Heiligen Geistes. Deshalb sage ich, dass uns die Freiheit unruhig machen, aufrütteln muss. Sie muss bewirken, dass wir uns immer wieder hinterfragen. Damit wir erkennen, wer wir wirklich sind. Auf diese Weise entdecken wir, dass der Weg zur Wahrheit und zur Freiheit ein mühevoller Weg ist, der ein ganzes Leben dauert. Es ist mühsam, frei zu bleiben, aber es ist möglich. Haben wir Mut, gehen wir weiter auf diesem Weg, es wird uns guttun. Es ist ein Weg, auf dem wir von der Liebe, die vom Kreuz ausgeht, geleitet und gestützt werden: der Liebe, die uns die Wahrheit offenbart und uns die Freiheit schenkt. Denn das ist der Weg zur Glückseligkeit. Die Wahrheit macht uns frei, sie bringt uns Freude, sie macht uns glücklich. Danke.

(vaticannews - skr)
 

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06. Oktober 2021, 10:27

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