Papst: Die Kirche muss sich selbst evangelisieren
Mario Galgano - Vatikanstadt
Bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz kam Papst Franziskus auf einem weißen Jeep zusammen mit einigen Kindern an. Auf dem Platz wurden sie unter Trommelwirbel von Gruppen von Fahnenschwingern aus den florentinischen Bezirken und Stadtteilen begrüßt. In der Katechese, in der er den Zyklus der Meditationen über die Leidenschaft der Evangelisierung fortsetzte, ging Franziskus auf den ersten Weg der Evangelisierung ein: das Zeugnis. Der Papst lud alle ein, das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi von Paul VI. zu lesen, das Franziskus die „Magna Charta der Evangelisierung in der heutigen Welt“ bezeichnete. Das Schreiben stammt aus dem Jahr 1975, sei aber so aktuell, als wäre es gestern geschrieben worden. Es sei „heute noch relevant“, fügte er hinzu. Evangelisieren, sagte Franziskus, sei nicht einfach eine „lehrhafte und moralische Übermittlung“.
Evangelisierung sei in erster Linie Zeugnis: Man könne nicht evangelisieren ohne Zeugnis, Zeugnis von der persönlichen Begegnung mit Jesus Christus, dem fleischgewordenen Wort, in dem sich das Heil vollendet hat. Das Zeugnis sei unverzichtbar, weil die Welt in erster Linie „Verkünder braucht, die zu ihnen von einem Gott sprechen, den sie kennen und mit dem sie vertraut sind“ (EN, 76). Es gehe nicht darum, eine Ideologie oder eine „Doktrin“ über Gott zu vermitteln, fügt Franziskus an.
Es gehe darum, Gott zu vermitteln, der in jedem von uns lebendig werde: das sei Zeugnis; und zwar auch deshalb, weil „der heutige Mensch eher auf Zeugen als auf Gelehrte hört, [...] oder wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind“ (ebd., 41). Das Zeugnis Christi sei also sowohl das erste Mittel der Evangelisierung (vgl. ebd.) als auch eine wesentliche Voraussetzung für ihre Wirksamkeit (vgl. ebd., 76), damit die Verkündigung des Evangeliums fruchtbar sei.
Glaubst du, was du verkündest?
Das Zeugnis eines christlichen Lebens müsse vom Glauben erleuchtet sein. Durch einen Glauben, erklärte der Papst, „der die Beziehungen, die Kriterien und die Werte, die die Entscheidungen bestimmen, verwandelt“. Das Zeugnis sei „nicht zu trennen von der Kohärenz zwischen dem, was man glaubt, was man verkündet und was man lebt“.
Ein Mensch sei glaubwürdig, wenn das, was er glaubt, und das, was er lebt, übereinstimmen würden. So viele Christen würden nur das sagen, was sie glauben, würden jedoch nach etwas anderem leben. Und das sei Heuchelei. Das Gegenteil von Zeugnis geben sei Heuchelei. Und da erläuterte der Papst folgendes:
„Wie oft haben wir gehört: ,Ach, der geht doch jeden Sonntag zur Messe und lebt dann so und so´: Das ist wahr, das ist das Gegenzeugnis. Jeder von uns ist aufgerufen, drei grundlegende Fragen zu beantworten, die Paul VI. wie folgt formulierte: Glaubst du, was du verkündest? Lebst du, was du glaubst? Verkündest du, was du lebst? (vgl. ebd.). Es besteht eine Harmonie: Glaubst du, was du verkündest? Lebst du, was du glaubst? Verkündest du, was du lebst? Wir können uns nicht mit einfachen, vorgefertigten Antworten zufrieden geben. Wir sind aufgerufen, das auch destabilisierende Risiko der Suche auf uns zu nehmen, im vollen Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes, der in jedem von uns wirkt und uns immer wieder antreibt, über uns hinauszuwachsen: über unsere Grenzen, über unsere Barrieren, über unsere Begrenzungen, gleich welcher Art.“
Evangelisierung und Heiligkeit
Das Zeugnis eines christlichen Lebens, fügte der Papst hinzu, beinhalte auch „einen Weg der Heiligkeit“:
„Eine Heiligkeit, die nicht nur einigen wenigen vorbehalten ist, sondern ein Geschenk Gottes ist, das angenommen werden muss und für uns und die anderen Früchte tragen soll. Wir, die wir von Gott auserwählt und geliebt sind, müssen diese Liebe zu den anderen bringen. Paul VI. lehrt, dass der Eifer für die Evangelisierung aus der Heiligkeit erwächst.“
Die Kirche ist aufgerufen, sich selbst zu evangelisieren
Franziskus betonte, dass „die Empfänger der Evangelisierung nicht nur die anderen sind, diejenigen, die sich zu anderen Religionen oder zu keiner Religion bekennen“:
„Sondern auch wir selbst, die wir an Christus glauben und aktive Mitglieder des Gottesvolkes sind. Und wir müssen uns jeden Tag bekehren, das Wort Gottes annehmen und unser Leben ändern: jeden Tag. Und so geschieht die Evangelisierung des Herzens. Um dieses Zeugnis zu geben, muss die Kirche als solche auch damit beginnen, sich selbst zu evangelisieren.“
Die Kirche und die Welt von heute
Das Wort Gottes sei ein Same, der die Welt befruchte. „Eine Kirche, die evangelisiert, um zu evangelisieren“, erklärte der Papst, „ist eine Kirche, die vom Heiligen Geist geleitet wird. Und sie ist aufgerufen, einen anspruchsvollen Weg der ständigen Umkehr und Erneuerung zu gehen.“ Dazu gehöre auch die Fähigkeit, die Art und Weise, wie sie ihre evangelisierende Präsenz in der Geschichte verstehe und lebe, zu verändern und sich nicht in die geschützten Bereiche der Logik des 'das hat man schon immer so gemacht' zu flüchten. Diese Kirche, erklärte der Papst, sei ganz auf Gott ausgerichtet, also Teilhaberin an seinem Heilsplan für die Menschheit, und gleichzeitig ganz auf die Menschheit ausgerichtet.“ Sie ist eine Kirche, die der heutigen Welt dialogisch begegnet“, so der Pontifex.
Die Kirche müsse eine Kirche sein, die der heutigen Welt dialogisch begegne, die geschwisterliche Beziehungen knüpfe, die Räume der Begegnung schaffe, die gute Praktiken der Gastfreundschaft, der Aufnahme, der Anerkennung und Integration des Anderen und des Andersseins umsetze und die sich um das gemeinsame Haus, die Schöpfung, kümmere. Mit anderen Worten, eine Kirche, die den Heiligen Geist einlasse, der der Protagonist der Evangelisierung sei. Ohne den Heiligen Geist könnten wir nur für die Kirche werben, aber nicht evangelisieren. Es sei der Heilige Geist in uns, der uns zur Evangelisierung antreibe, und das sei die wahre Freiheit der Kinder Gottes.
Die Menschheit neu machen
Abschließend erneuerte Papst Franziskus die Einladung, „Evangelii nuntiandi“ nochmals in Ruhe zu lesen oder neu zu lesen, das Apostolische Schreiben, das auf die Synode von 1974 folgte, die der Evangelisierung gewidmet war. Abweichend vom Redemanuskript betonte der Papst, dass er es oft lese, weil es „das Meisterwerk von Paul VI. ist“, das Vermächtnis, das er uns „zur Evangelisierung“ hinterlassen habe. „Evangelisieren heißt für die Kirche, die Frohe Botschaft in alle Schichten der Menschheit zu bringen“, habe Papst Paul VI. in diesem 1975 verkündeten Dokument festgehalten. Und dann erläuterte Franziskus:
„Es heißt, durch seinen Einfluss die Menschheit von innen heraus umzugestalten, sie selbst neu zu machen. Das Ziel der Evangelisierung, so heißt es schließlich in der Apostolischen Exhortation, ist die innere Veränderung, und wenn man es in ein Wort fassen müsste, wäre es richtiger zu sagen, dass die Kirche evangelisiert, wenn sie allein aufgrund der göttlichen Kraft der von ihr verkündeten Botschaft das persönliche und zugleich kollektive Gewissen der Menschen zu bekehren sucht.“
(vatican news)
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