Papst beim Angelus: Der Wortlaut
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Im heutigen Evangelium sagt Jesus: „Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten“ (Mt 10,41). Er spricht von dem Propheten; aber wer ist der Prophet? Manche stellen ihn sich als eine Art Magier vor, der die Zukunft vorhersagt; das ist eine abergläubische Vorstellung, und Christen hängen keinem Aberglauben an, Dingen wie Magie, Kartenlegen, Horoskopen oder Ähnlichem. Andere beschreiben den Propheten als eine Figur aus der Vergangenheit, die es schon vor Christus gab, um sein Kommen anzukündigen. Jesus selbst aber spricht heute von der Notwendigkeit, die Propheten aufzunehmen; es gibt sie also noch, aber wer sind sie?
Das Licht Jesu im Alltag aufstrahlen lassen
Brüder und Schwestern, Prophet ist jeder von uns: In der Tat haben wir alle mit der Taufe die Gabe und die Sendung der Prophetie empfangen (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1268). Prophet ist derjenige, der kraft der Taufe anderen hilft, die Gegenwart unter dem Wirken des Heiligen Geistes zu lesen, die Pläne Gottes zu verstehen und ihnen zu entsprechen. Mit anderen Worten: er ist derjenige, der die anderen auf Jesus verweist, von ihm Zeugnis ablegt; der hilft, das Heute zu leben und das Morgen nach den Plänen Gottes zu gestalten. Wir sind also alle Propheten, Zeugen Jesu, „damit die Kraft des Evangeliums im alltäglichen Familien- und Gesellschaftsleben aufleuchte“ (Lumen Gentium, 35).
Der Prophet ist ein lebendiges Zeichen, das die anderen auf Gott verweist, ein Abglanz des Lichtes Christi auf dem Weg der Brüder und Schwestern. So können wir uns also fragen: Spreche und – vor allem – lebe ich, der ich in der Taufe zum "Propheten" erwählt wurde, als Zeuge Jesu? Bringe ich etwas von seinem Licht in das Leben meines Nächsten? Halte ich mich selbst dazu an? Frage ich mich: Wie steht es um mein Zeugnis, meine Prophetie?
Träger der Botschaft Gottes
Der Herr bittet uns im Evangelium auch, die Propheten aufzunehmen; deshalb ist es wichtig, dass wir einander als solche annehmen: als Träger der Botschaft Gottes, jeder in seinem Stand und seiner Berufung, und zwar dort, wo wir leben: in der Familie, in der Pfarrei, in den Ordensgemeinschaften, den verschiedenen Bereichen der Kirche und der Gesellschaft. Der Geist hat prophetische Gaben im heiligen Volk Gottes verteilt: deshalb ist es gut, auf alle zu hören. Und deshalb ist es auch gut, allen zuzuhören: Wenn zum Beispiel eine wichtige Entscheidung ansteht, ist es gut, zunächst zu beten, den Geist anzurufen, dann aber zuzuhören und in einen Dialog zu treten, im Vertrauen darauf, dass jeder – auch der Kleinste – etwas Wichtiges zu sagen hat, eine prophetische Gabe, die er weitergeben kann. Auf diese Weise wird die Wahrheit gesucht und ein Klima des Hörens auf Gott und auf unsere Brüder und Schwestern verbreitet: ein Klima, in dem sich die Menschen nicht nur dann angenommen fühlen, wenn sie sagen, was wir hören wollen, sondern sich als Gabe angenommen und geschätzt fühlen, so wie sie sind.
Denken wir nur, wie viele Konflikte vermieden und gelöst werden könnten, wenn wir dem anderen mit dem aufrichtigen Wunsch zuhören würden, einander zu verstehen! Und fragen wir uns auch: nehme ich meine Brüder und Schwestern als prophetische Gaben an? Glaube ich, dass ich sie brauche? Höre ich ihnen mit Respekt zu; mit dem Wunsch, zu lernen? Denn jeder von uns muss von den anderen lernen.
Maria, Königin der Propheten, helfe uns, das Gute, das der Geist in die anderen gesät hat, zu sehen und anzunehmen.
(vaticannews – übersetzung: silvia kritzenberger)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.