Wortlaut: Papst Franziskus bei Friedenstreffen in Verona
Dies ist eine Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan. Sämtliche Wortmeldungen des Papstes in ihrer offiziellen Fassung werden auf der Internetseite des Heiligen Stuhls veröffentlicht.
Vom Rhythmus des Friedens
Ich sehe da ein Schild: ‚Lasst uns die Köpfe und Territorien entmilitarisieren‘. Wir reden hier über Frieden, aber wissen Sie, dass die Aktionen, die in einigen Ländern das meiste Geld einbringen, die Waffenfabriken sind? Das ist schlimm, das ist schlimm... Schauen Sie sich die Liste der Länder an, die Waffen herstellen... Was für eine hässliche Sache, und Sie zeigen mit deinem Finger auf diese widersprüchliche Situation. In unserer Gesellschaft erleben wir dieses Spannungsverhältnis: Einerseits drängt uns alles zu schnellem Handeln; wir sind es gewohnt, dass auf unsere Anfragen sofort reagiert wird, und werden ungeduldig, wenn es eine Verzögerung gibt. Die digitale Revolution der letzten Jahre hat es uns beispielsweise ermöglicht, ständig vernetzt zu sein, problemlos mit weit entfernten Menschen zu kommunizieren und unsere Arbeit aus der Ferne zu erledigen. Eigentlich sollten wir mehr Zeit zur Verfügung haben, aber stattdessen haben wir das Gefühl, dass wir immer in Eile sind und der letzten Minute hinterherjagen.
Andererseits haben wir das Gefühl, dass dies nicht natürlich ist. Das ist Krieg, das ist Krieg, das ist nicht natürlich. In unserer Gesellschaft herrscht Müdigkeit, Müdigkeit liegt in der Luft, so dass viele keinen Grund mehr sehen, ihren täglichen Aktivitäten nachzugehen; sie sind belastet von dem Gefühl, immer unpünktlich zu sein, als ob man in der Wiederholung dessen, was man tut, gefangen wäre, weil man nicht die Kraft oder die Zeit hat, die Harmonie zu suchen.
Frieden wird nicht über Nacht erfunden. Frieden muss gepflegt werden. Wenn man sich nicht um den Frieden kümmert, wird es Krieg geben, kleine Kriege, große Kriege; aber man muss sich um den Frieden kümmern, und es gibt diese schwere Sünde in der heutigen Welt: sich nicht um den Frieden zu kümmern! Die Welt befindet sich in einem Wettlauf... Manchmal muss man wissen, wie man den Wettlauf verlangsamen kann, um sich nicht von der Aktivität überwältigen zu lassen und in sich selbst Raum zu schaffen für das Handeln Gottes, das Handeln unserer Brüder, das Handeln der Gesellschaft, die das Gemeinwohl anstrebt.
‚Verlangsamung‘ mag wie ein unangebrachtes Wort klingen - in Wirklichkeit ist es die Aufforderung, unsere Erwartungen und unser Handeln neu zu kalibrieren, indem wir einen tieferen und weiteren Horizont einnehmen. Es geht darum, eine ‚Revolution‘ im astronomischen Sinne zu machen: Geht und sucht den Frieden, und wie tun wir das? Immer im Dialog: Frieden wird im Dialog geschaffen. Den Anderen anerkennen und ihn weise respektieren. Die große Herausforderung, vor der wir stehen, besteht darin, gegen den Strom zu schwimmen, um diese natürlichen Rhythmen wiederzuentdecken und zu bewahren… So oft entstehen Kriege aus der Ungeduld, Dinge schnell zu erledigen und nicht die Geduld zu haben, langsam und im Dialog Frieden zu schaffen. Geduld ist das Wort, das wir immer wieder wiederholen müssen: Geduld, um Frieden zu schaffen. Und wenn jemand - wir sehen es im natürlichen Leben - wenn jemand Sie beleidigt, spüren Sie sofort den Drang, doppelt so viel und dann viermal so viel zu sagen, und so vervielfacht sich die Aggression. Wir müssen aufhören, die Aggression stoppen… Wenn wir sehen, dass die Dinge anfangen, heiß zu werden, halten wir inne … oder sagen ein Wort, und die Dinge werden besser. Rechtzeitig innehalten, rechtzeitig innehalten!
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Konflikte sind eine Herausforderung an unsere Kreativität
Es ist eine Tatsache: Die Abwesenheit von Konflikten bedeutet nicht, dass Frieden herrscht, sondern dass man aufgehört hat zu leben, zu denken, sich für das einzusetzen, woran man glaubt. Es gibt ein spanisches Sprichwort: ‚Stilles Wasser ist das erste, das faulig wird‘. Stille Menschen sind die ersten, die krank werden.
In unserem Leben, in unseren Realitäten, in unseren Territorien werden wir immer mit Spannungen und Konflikten zu tun haben. Angesichts dessen kann man nicht stillstehen: Man muss eine Option finden, man muss kreativ sein. Ein Konflikt ist gerade eine Herausforderung für die Kreativität. Erstens kommt man aus einem Konflikt nie allein heraus: Man braucht die Gemeinschaft, man braucht die Hilfe der Familie, der Freunde... Ein Konflikt hat etwas Labyrinthisches an sich: Aus einem Labyrinth kommt man nicht allein heraus. Zumindest braucht man den Faden, den Faden der Ariadne, der einem dann heraushilft. Und: … Aus einem Konflikt kommst du nicht mit einer Narkose heraus: nein. Du kommst nicht raus. Aus einem Konflikt muss man mit dem Realismus herauskommen. Ich befinde mich im Labyrinth. Wir müssen in der Lage sein, Konflikte zu benennen, … sie an die Hand zu nehmen und hinauszugehen. Zumindest mit dem Faden.
In unserem Leben werden wir immer wieder aufgefordert sein, mit Konflikten voranzugehen, mit Konflikten in den Dialog zu treten. Wir werden immer verstehen müssen, welche Pole in den Spannungen, die wir erleben, im Spiel sind, in welche Teile der Konflikte wir direkt oder als Zeugen verwickelt sind.
Wir sind oft versucht zu denken, dass der Ausweg aus Konflikten und Spannungen darin besteht, sie zu beseitigen: Nein! Ich ignoriere sie, ich verstecke sie, ich marginalisiere sie? Nein! Das ist eine Zeitbombe. Damit amputiere ich die Realität eines unbequemen, aber auch wichtigen Teils. Wir wissen, dass das Endergebnis dieser Art, Konflikte zu erleben, darin besteht, die Ungerechtigkeit zu vergrößern und Reaktionen des Unbehagens und der Frustration hervorzurufen, die sogar zu gewalttätigen Gesten führen können, und wir sehen dies auch in der Politik, in den Gesellschaften. Wenn ein Konflikt in der Politik versteckt wird, egal in welcher Politik, bricht er später aus, und zwar auf schlimme Weise… Auch in der Familie… Deshalb müssen wir, wenn es in der Familie Probleme gibt, darüber sprechen, um sie zu klären. Wenn es in der Gesellschaft Probleme gibt, müssen wir sie teilen, um sie zu lösen. Aber allein kommen wir nicht weit.
Eine andere kurzsichtige Reaktion ist der Versuch, Spannungen dadurch zu lösen, dass man einem der Pole die Oberhand gibt. Aber das ist Selbstmord, weil es die Vielfalt der Positionen auf eine einzige Perspektive reduziert. Heute zeigte mir der Bischof die Geburtsurkunde eines großen Mannes, Romano Guardini - und Guardini, der hier geboren wurde, sagte, dass Konflikte immer auf einer höheren Ebene gelöst werden, weil sie auf diese Weise in einen Sauerteig für eine neue Kultur, für neue Dinge verwandelt werden, um voranzukommen. Es ist wieder einmal eine Sackgasse: Man sucht die Einheitlichkeit, doch statt voranzukommen, geht man unter; man braucht keine Einheitlichkeit, man braucht Einheit… Wenn man eine unmotivierte Angst vor der Pluralität hat, so können wir sagen, dass diese Familie, diese Gesellschaft psychologisch und kulturell Selbstmord begeht.
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Keine Angst haben vor dem Dialog
Der erste Schritt zu einem gesunden Umgang mit Spannungen und Konflikten besteht darin, zu erkennen, dass sie zu unserem Leben gehören. Dass sie physiologisch sind, wenn sie nicht die Schwelle zur Gewalt überschreiten. Haben Sie also keine Angst vor Konflikten. Heißen Sie sie willkommen, um sie zu lösen. Haben Sie keine Angst, wenn es unterschiedliche Ideen gibt, die sich gegenüberstehen und vielleicht aufeinanderprallen. In solchen Situationen sind wir zu einer anderen Übung aufgerufen. Uns von den Konflikten herausfordern zu lassen, uns von den Spannungen provozieren zu lassen, uns auf die Suche zu begeben: Und das ist eine Arbeit, an die wir nicht gewöhnt sind… Gibt es Konflikte? Gehen wir hin, sprechen wir die Konflikte an, konfrontieren wir sie und lösen wir sie. Bitte haben Sie keine Angst vor Konflikten, seien es familiäre Konflikte, seien es gesellschaftliche Konflikte.
Und das ist klar: Wenn ich keine Angst vor Konflikten habe, dann bin ich gezwungen, den Dialog zu führen. Und das ist möglich, mit Dialog. Dialog hilft uns, Konflikte zu lösen, immer. Aber der Dialog ist nicht dazu da, Gleichheit zu erreichen, nein, denn jeder hat seine eigene Idee; er ist vielmehr dazu da, Pluralität zu teilen… Die Sünden der politischen Regime, die in Diktaturen geendet haben, sind, dass sie keine Pluralität zulassen. Und mit Pluralität verhält es sich in der größeren Gesellschaft wie in der Familie…
Wir müssen lernen, mit Konflikten zu leben. Wenn Kinder im Teenageralter anfangen, Dinge zu verlangen, die wir nicht gewohnt sind, ihnen zu geben, dann gibt es einen Familienkonflikt: ihnen zuhören, einen Dialog führen. Der Vater im Dialog mit seinen Kindern, die Mutter im Dialog mit ihren Kindern, die Bürger im Dialog miteinander ... Dialog. Und durch Konflikte kommt man voran. Eine Gesellschaft ohne Konflikte ist eine tote Gesellschaft; eine Gesellschaft, in der man Konflikte versteckt, ist eine selbstmörderische Gesellschaft; eine Gesellschaft, in der man Konflikte an die Hand nimmt und den Dialog führt, ist eine Gesellschaft der Zukunft.
(vatican news – sk)
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