Die Erde: Schwester, Mutter und Tochter
Galli, der auch Mitglied der Internationalen theologischen Kommission ist, erinnert in einem Text für die Vatikanzeitung Osservatore Romano daran, dass der damalige Erzbischof von Buenos Aires, Kardinal Bergoglio, die Redaktionskommission des Bischofstreffens von Aparecida 2007 leitete. Im dritten Kapitel, in dem es um die Freude geht, missionarische Jünger zu sein, heißt es, Güter und Ökologie hätten universellen Charakter. Ausdrücklich ist von den Ureinwohnern Amerikas die Rede.
„Obwohl sich heute eine Kultur des größeren Respekts vor der Natur ausgebreitet hat“, heißt es in dem Dokument, „nehmen wir deutlich wahr, inwieweit der Mensch seinen Lebensraum noch immer bedroht und zerstört. Unsere Schwester, Mutter Erde, ist unser gemeinsames Zuhause und der Ort des Bundes Gottes mit den Menschen und mit der ganzen Schöpfung.“ Raubbau und Verachtung der Schöpfung stellten eine Beleidigung Gottes, „einen Angriff auf die biologische Vielfalt“ und letztlich auf das Leben selbst dar, so das Dokument der lateinamerikanischen Bischöfe weiter.
In diesem Text und in anderen Abschnitten des Dokuments (Nr. 83-87, 470-475) seien die Lehren von Papst Franziskus aus seiner sozial-ökologischen Enzyklika Laudato si', genauso wie die Themen der Sonderversammlung der Bischofssynode für das Amazonasgebiet zum Thema „Amazonien: Neue Wege für die Kirche und für eine ganzheitliche Ökologie“, bereits vorweggenommen, analysiert Galli in seinem Osservatore-Beitrag: „In der Sorge um das Gemeinsame Haus sehen wir, dass Bergoglio mit Aparecida zusammengearbeitet hat und dass Aparecida mit Franziskus zusammenarbeitet,“ so Galli.
Der Halbsatz „Unsere Schwester, Mutter Erde“ sei bereits im zweiten Entwurf des Dokumentes enthalten gewesen, gibt Galli Einblick in die Entstehungsgeschichte des Abschlussdokumentes von Aparecida. Er selbst hatte als Experte an den Arbeiten teilgenommen und war auch an der Redaktion des Abschlussdokumentes beteiligt. Einer der mehr als 2.400 Änderungsvorschläge, die an die Kommission gerichtet worden seien, hätte die Streichung jenes Satzes gefordert, weil er „eine indigene, der katholischen Kirche feindlich gesinnte Ökologenideologie“ enthalte, die „Mutter Erde in der Gestalt von Pachamama vergötterte“. Doch die Kommission habe den Änderungsvorschlag abgelehnt und beschlossen, die Quelle des beanstandeten Satzes abzugeben: die Fußnote 58 des Dokumentes verweist nun auf den „Sonnengesang“ des heiligen Franziskus von Assisi.
Ihn selbst habe die Diskussion in der aktuellen Amazonien-Synode um die Absätze des Instrumentum laboris, die von Mutter Erde handelten (Nr. 17 und Nr. 84) stark an diese längst vergangene Episode erinnert, plaudert Galli aus dem Nähkästchen: „Also fragte ich mich, ob diese Kritiker, aufgrund eines unerklärlichen Mangels an christlicher Kultur, den Sonnengesang ignorieren oder ihm in ihrer offensiven Dialektik ausgewichen sind.“
Unkenntnis oder Ausweichen?
Während der Synode, an der er ebenfalls als Experte teilgenommen hatte, habe er viel über den Inhalt dieses franziskanischen Ausdrucks nachgedacht, so Galli weiter. Zwar erwähne das Schlussdokument ihn trotz seiner Bestimmung zum Schutzpatron der Versammlung nicht eigens und verweise nur bei Nummer 17 auf den heiligen Franziskus als „ein Beispiel für eine ganzheitliche Bekehrung, die mit Freude und christlicher Freude gelebt wurde“. Ausdrücklich verweise das Dokument bei der Suche nach einer ganzheitlichen Ökologie allerdings auf Mutter Erde (Nr. 25 und 101).
Wie Galli hervorhebt, wird der Vers des Gesangs, in dem von „Schwester“ und „Mutter“ Erde die Rede ist, von Papst Franziskus zu Beginn des Laudato si' erwähnt, weil er den Menschen vertraut mit der Erde verbindet. „In diesem schönen Lobgesang“, so Franziskus in Laudato si mit Bezug auf den Sonnengesang des Heiligen von Assisi, „erinnerte er uns daran, dass unser gemeinsames Haus wie eine Schwester ist, mit der wir das Leben teilen, und wie eine schöne Mutter, die uns in ihre Arme schließt“.
Schwester und Mutter also, doch er wolle, schreibt Galli, den Beziehungen des Menschen zur Erde noch einen dritten Aspekt hinzufügen: den „kindlichen“. Denn die „Erde geht uns voraus und ist uns anvertraut,“ sei also gleichsam wie „eine Tochter des Menschen“, der als einziger nach dem Ebenbild Gottes geschaffen und dem die Schöpfung anvertraut wurde. Der ältere Bruder habe die Mission, die Natur zu bearbeiten und zu hüten (vgl. 1. Mose 2,15), ohne sie jedoch aufzugeben oder zu zerstören, „wie es heute leider in den Becken des Amazonas, des Kongo und vieler anderer Gebiete des natürlichen und menschlichen Lebensraums geschieht“, betont Galli. Aus diesem Grund erinnere der Papst an unsere Verantwortung vor Gott für die Erde: „Das schließt eine Beziehung verantwortlicher Wechselseitigkeit zwischen dem Menschen und der Natur ein,“ so Franziskus in Laudato si' (Nr. 67).
Vorbild der Ureinwohner
Die Kirche rufe nun den heiligen Franziskus von Assisi an, um eine ganzheitliche Ökologie zu finden, in der „man lernt und lehrt, die Erde als Schwester, Mutter und Tochter zu lieben und zu pflegen“, resümiert Galli. In diesem Zusammenhang seien es die Völker des Amazonas, die uns lehrten, dieses „Netz kultureller Beziehungen in einem kritischen Moment der Geschichte zu pflegen“ - denn, so erinnert Galli, wie bereits in der Einleitung zum Schluss-Dokument der Amazonien-Synode formuliert sei, werde die Zerstörung des Amazonasbioms katastrophale Auswirkungen auf den gesamten Planeten haben: „Dies ist eine weitere Lektion, die wir Nicht-Amazonier von der Synode erhalten, während wir die Initiative von Papst Franziskus zelebrieren, diese Peripherie der Peripherien in das Zentrum der Kirche zu stellen, weil sie immer im Herzen Gottes ist.“
(vatican news/osservatore - cs)
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