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Kardinal P. Raniero Cantalamessa Kardinal P. Raniero Cantalamessa

Päpstlicher Hausprediger: „Was ist Wahrheit?“

Im Petersdom waren wie zu früheren Jahren viele Gläubige zur Karfreitagsliturgie mit dem Papst gekommen. Sein predigender Kardinal Raniero Cantalamessa ging auf die Bedeutung der Wahrheit ein, ausgehend von der Debatte über Religion und Wissenschaft.

Mario Galgano – Vatikanstadt

In einer von Stille und Ernst geprägten Feier gedachten Papst Franziskus und rund 3.500 Gläubige am Karfreitag im Petersdom des Todes Jesu. Zu Beginn der Feier betete der Papst stehend still vor dem Hauptaltar. Wegen seines Knie- und Hüftleidens verzichtete der Papst darauf, sich wie in der Liturgie an dieser Stelle vorgesehen auf dem Boden auszustrecken.Im Mittelpunkt des Karfreitags steht die Erinnerung an das Leiden Jesu und seinen Tod am Kreuz. Eine Eucharistiefeier fand an diesem Tag nach katholischer Tradition nicht statt.

Alles beginne mit der Frage des Pilatus: „Bist du der König der Juden?“ Indem Jesus erklärt, König zu sein, setze er sich dem Tod aus, sage aber nur die Wahrheit, erläuterte der päpstliche Hausprediger Cantalamessa bei der Karfreitagsliturgie im Petersdom. Papst Franziskus hat am Karfreitag des Todes Jesu gedacht.

Der Prediger des Papstes, Kardinal Raniero Cantalamessa, wies in seiner Ansprache darauf hin, wie aktuell diese Seite des Evangeliums sei, in der der Dialog zwischen Pilatus und Jesus beschrieben wird. Auch heute, wie in der Vergangenheit, höre der Mensch nicht auf, sich zu fragen, was Wahrheit sei. „Aber wie Pilatus wendet er sich abgelenkt von dem ab, der sagte: ,Ich bin in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen´ und ,Ich bin die Wahrheit!´ (Joh 14,6)“, so Cantalamessa.

Ohne das der Name Jesu jemals erwähnt wird

Über das Internet habe er unzählige Debatten über Religion und Wissenschaft, über Glauben und Atheismus verfolgt. Eines habe ihn dabei beeindruckt: „Stunden um Stunden des Dialogs, ohne dass der Name Jesu jemals erwähnt wird. Und wenn die gläubige Seite es manchmal wagte, ihn zu nennen und auf die Tatsache seiner Auferstehung von den Toten hinzuweisen, so versuchte man sofort, die Rede als nicht sachdienlich abzuschließen“, erläuterte Cantalamessa. So werde das Wort „Gott“ zu einem leeren Behälter, den jeder nach Belieben füllen könne. Aber gerade deshalb habe sich Gott bemüht, seinem Namen selbst Inhalt zu geben: „Die Wahrheit ist Fleisch geworden! Daher das harte Bemühen, Jesus aus der Rede über Gott herauszuhalten: Er nimmt dem menschlichen Stolz jeden Vorwand, um zu entscheiden, was Gott ist!“

Dann zitierte er den englischen Schriftsteller John Ronald Tolkien von „Der Herr der Ringe“, der in einem Brief an seinen Sohn schrieb, dass es eines erstaunlichen Willens bedarf, nicht zu glauben, dass Jesus nie existiert habe oder dass er nicht die Worte gesagt habe, die ihm zugeschrieben würden. „Die einzige Alternative zur Wahrheit Christi, so fügte der Verfasser hinzu, bestehe darin, dass es sich um einen ,Fall von Größenwahnsinn und einem gigantischen Betrug´ handele. Aber könnte ein solcher Fall zwanzig Jahrhunderte scharfer historischer und philosophischer Kritik standhalten und die Früchte hervorbringen, die er hervorgebracht hat?“, fragte Cantalamessa.

„Aber vergeudet ist nur das Leben jenes Mannes, der sich nie darüber bewusst wurde, weil er nie im tiefsten Sinn den Eindruck hatte, dass es einen Gott gibt und dass er – gerade er, sein Ich – vor diesem Gott steht.“

Heute gehe man über den Skeptizismus des Pilatus hinaus. Einige meinten, man dürfe nicht einmal die Frage „Was ist Wahrheit?“ stellen, weil die Wahrheit einfach nicht existiere. „Alles ist relativ, nichts ist sicher! Anders zu denken, ist unerträgliche Anmaßung! Es gibt keinen Platz mehr für große Erzählungen über die Welt und die Wirklichkeit, einschließlich jener über Gott und Christus“, kritisierte Cantalamessa. Dann zitierte er Søeren Kierkegaard, der Initiator der philosophischen Strömung des Existenzialismus:

„Es wird viel von menschlichem Elend gesprochen, sagt er; es wird viel von verschwendetem Leben gesprochen. Aber vergeudet ist nur das Leben jenes Mannes, der sich nie darüber bewusst wurde, weil er nie im tiefsten Sinn den Eindruck hatte, dass es einen Gott gibt und dass er – gerade er, sein Ich – vor diesem Gott steht.“

Papst Franziskus bei der Karfreitagsliturgie im Petersdom
Papst Franziskus bei der Karfreitagsliturgie im Petersdom

Zu viel Ungerechtigkeit und Leid

Man könne zwar einwenden, dass es zu viel Ungerechtigkeit und zu viel Leid in der Welt gebe, um an Gott zu glauben. „Aber denken wir daran, wie absurder und unerträglicher das Böse wird, das uns umgibt, ohne den Glauben an einen endgültigen Sieg der Wahrheit und des Guten“, so Cantalamessa. „Die Auferstehung Jesu von den Toten, die wir in zwei Tagen feiern werden, ist die Verheißung und die Garantie, dass es diesen Triumph geben wird, weil er mit ihm bereits begonnen hat.“

„Wenn ihr nicht eure Speere in Sicheln, eure Schwerter in Pflugscharen und eure Raketen in Fabriken und Häusern verwandelt, werdet ihr alle auf dieselbe Weise umkommen!“

Eine Schlussfolgerung für alle, ob Gläubige oder Ungläubige: „Dieses Jahr feiern wir Ostern nicht mit fröhlichen Glockengeläuten, sondern mit dem düsteren Geräusch von Bomben und verheerenden Explosionen, die nicht weit von hier stattfinden. Erinnern wir uns daran, was Jesus eines Tages auf die Nachricht vom Blut, das Pilatus vergossen hatte, und vom Einsturz des Turms von Siloas antwortete: ,Wenn ihr euch nicht bekehrt, werdet ihr alle auf dieselbe Weise umkommen´ (Lk 13,5). Wenn ihr nicht eure Speere in Sicheln, eure Schwerter in Pflugscharen (Jes 2,4) und eure Raketen in Fabriken und Häusern verwandelt, werdet ihr alle auf dieselbe Weise umkommen!“

Eines hätten uns die jüngsten Ereignisse plötzlich vor Augen geführt: Die Weltordnung könne sich von einem Tag auf den anderen ändern. Alles vergehe, nicht nur „die selige Jugend“. Es gebe nur einen Weg, dem Strom der Zeit zu entfliehen, der alles hinter sich ziehe: auf das zu setzen, was nicht vergehe, so der päpstliche Hausprediger. „Ostern bedeutet Vorübergang: Wir alle feiern dieses Jahr ein wahres Ostern, verehrte Väter, Brüder und Schwestern: Gehen wir zu dem, der nicht vorbeigeht. Gehen wir jetzt mit dem Herzen, bevor wir es eines Tages mit dem Leib tun!“

(vatican news)

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15. April 2022, 18:04