Theologin: „Konzilsrezeption mit Franziskus in neue Phase eingetreten"
Rund 120 Theologen und Theologinnen aus allen Kontinenten arbeiten seit mehreren Jahren an einem umfassenden interkontinentalen Kommentar zu den 16 Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das theologische Großvorhaben heißt „Vatican II – Legacy and Mandate“ (Zweites Vatikanum – Vermächtnis und Auftrag). In den vergangenen Tagen wurden bei einem Symposium an der Päpstlichen Urbaniana-Universität in Rom die wichtigsten Zwischenergebnisse aus den Kontinenten vorgelegt.
Der weltkirchliche Blick auf das Zweite Vatikanische Konzil ist in den vergangenen Jahrzehnten zu kurz gekommen, sagte uns die in Osnabrück lehrende Dogmatikerin Margit Eckholt, die dem Leitungsteam des Projekts angehört und den Kongress in Rom mit ausgerichtet hat.
„Es geht darum, dass wir das Konzil aus den Quellen so erschließen als Konzil der Weltkirche, wie Karl Rahner es auch zum Abschluss des Konzils gesagt hat. Er hat immer wieder dann auch betont, die römisch-katholische Kirche muss Weltkirche werden und das auch realisieren in ihren Strukturen, in ihrer Pastoral, in all ihren Aufgaben. Denn wenn sie das nicht tut, dann steht sie einerseits nicht auch in der Verpflichtung, Kirche Jesu Christi zu sein, im Dienst auch hier der Verkündigung des Evangeliums. Und vor allem nimmt sie dann auch nicht das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Bedeutung ernst.“
Konzil ist Auftrag bis heute
16 Dokumente hat das große Reformkonzil erarbeitet, das von 1962 bis 1965 im Vatikan tagte. Darunter sind die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“, die dogmatische Konstitution „Dei verbum“ oder die Konstitution über die heilige Liturgie „Sacrosanctum concilium“. Alle Texte nun umfassend und mit den Blickwinkeln von in Europa bisher weniger beachteten Theologien zu lesen, ist für Eckholt das Gebot der Stunde. Denn in den verschiedenen Ländern und Regionen habe die Rezeption des Konzils ihre eigenen Bahnen genommen. Nun fließen die Ergebnisse wieder zusammen, und dieser Prozess darf den Kern des Anliegens des Projekts treffen:
„Das heißt im Grunde, dass im Vermächtnis, was das Konzil als Ereignis im Ganzen gewesen ist, und auch in der Bedeutung, die in den Texten liegt, ein Auftrag ist, der etwas für uns bedeutet auf dem Hintergrund der vielfältigen Rezeptionsgeschichte. Und dann muss man hier gemeinsam an Grundlagen arbeiten für eine synodale Kirche.“
In eine neue Phase der Rezeption eingetreten
Seit dem Pontifikat von Papst Franziskus hat Eckholt zufolge „eine neue Phase der Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils begonnen“. Der Papst aus Lateinamerika habe Elemente des Lehramtes neu betont, die zuvor weniger präsent waren. „Es geht um das Zeugnis für das Evangelium Jesu Christi, und das ist ein Zeugnis in einer Welt von Wunden, von Ausgrenzungen, auch von der Barmherzigkeit Gottes, die in Jesus von Nazareth, konkret Geschichte geworden ist“, so die Theologin.
„Das ist im Grund der Auftrag auch für uns in unserer Welt, in dem Sinn, auch hier eine geschwisterliche Kirche zu bauen und unsere theologischen Kompetenzen dort einzusetzen, auf diesen neuen Wegen einer synodalen Kirche.“
Synodalität gehört nach den Worten von Papst Franziskus zum Wesen der Kirche. Verwirklicht werde sie „in der Begegnung, im Einander-Zuhören und in der Unterscheidung", schrieb das Kirchenoberhaupt unlängst in der katholischen Zeitschrift „Communio“. Diese Synodalität, die die Kirche im ersten Jahrtausend prägte, so Eckholt, hatte sich im zweiten Jahrtausend die römisch-katholische Kirche selbst verengt und sich durch diesen Verlust „sich um ihre Katholizität gebracht“.
Im Bewusstsein des eigenen geschichtlichen Kontexts, will das Symposium einen positiven Beitrag zum produktiven Diskurs, besonders mit den Kontinenten des Südens leisten: „Das bedeutet einerseits, unsere eigene Kontextualität ernst zu nehmen, aber auch zu sehen, wie wir uns selbst im Grunde um die Große, die Größe und die Weite dann auch hier von Katholizität, aber Synodalität auch gebracht haben dadurch.“
60 Jahre Konzilsbeginn: Kongress in Rom
Im Rahmen des Projekts „Vatican II – Vermächtnis und Auftrag“ fand das internationale Symposium „60 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil“ am vergangenen Wochenende in Rom statt, am Montag war der öffentliche Teil anberaumt. Vertreten waren Theologinnen und Theologen aus allen Kontinenten. Zum Thema „Synodalität im Licht des zweiten Vatikanums“ sprach unter Kardinal Jean-Claude Hollerich aus Luxemburg, der zugleich Generalrelator der Weltbischofssynode zum Thema Synodalität ist.
Die Weltsynode sei ein Kind des Konzils, sagte Hollerich, und seit dem Konzil habe sich das Verständnis von Kollegialität hin zu einem Verständnis von Synodalität geweitet. „Wir sind in der Kirche alle Schwestern und Brüder dank der Taufe und der Firmung. Der Geist arbeitet im Herzen aller Menschen und in der ganzen Kirche, und er gab uns allen zusammen den Glaubenssinn, den sensus fidei.“ Papst Franziskus habe aufgegriffen, was Lumen Gentium über die Würde aller Getauften verkündet habe. „Und wir sehen, wie sich der Sinn für den Glauben entwickelt hat.“
Das habe Auswirkungen auch auf die Art und Weise, Bischof zu sein, so Hollerich. „Ich bin keine heilige Kuh, die im Himmel schwebt, sondern ich bin Bischof mit dem Volk“, so der Kardinal wörtlich. Ein Bischof müsse die Leiden der ihm anvertrauten Menschen mit-leiden, sagte Hollerich mit Verweis auf zivil wiederverheiratete Geschiedene, die nicht die Kommunion empfangen können, und auf junge Homosexuelle. „Ich bin ihr Vater als ihr Bischof. Ich kann ihnen nicht sagen, ihr seid gestört. Ich muss mitleiden, wenn sie leiden. Das ist die Art von Ekklesiologie, zu der wir gelangen müssen. Der Bischof mit seinem Volk.“ Dazu halte Franziskus die Bischöfe an.
Das II. Vatikanische Konzil wurde von Papst Johannes XXIII. einberufen und am 11. Oktober 1962 feierlich eröffnet. Zum 60. Jahrestag feiert Papst Franziskus am kommenden 11. Oktober eine Heilige Messe in St. Peter.
(vatican news – gs/sm)
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