Ein Jahr Kurienreform: „Ein längerer Lernprozess“
Radio Vatikan: Johannes Schidelko, Sie waren so überrascht wie alle anderen auch, als am Josefstag vor einem Jahr, Feiertag im Vatikan, der Grundtext zur Kurienreform erschien: Die Apostolische Konstitution Praedicate Evangelium. Wie einschneidend ist die Kurienreform von Papst Franziskus?
Johannes Schidelko: Die Konstitution ist sicherlich nicht so umfangreich und so tiefgreifend wie die Konstitution von Paul VI. unmittelbar nach dem Konzil, aber sicherlich tiefgreifender als Pastor Bonus, das Dokument, das bislang gegolten hat. Es hat sich für die Arbeit der verschiedenen Behörden, insbesondere der bisherigen Kongregationen, nicht allzu viel verändert, vieles ist ähnlich geblieben. Allerdings: In einigen Behörden hat es große Verschiebungen gegeben.
Radio Vatikan: Unter anderem hat sich die Zahl der Dikasterien, also „Ministerien“ an der Kurie, von 21 auf 16 verschlankt. Nur aus Spargründen?
Johannes Schidelko: Natürlich war das damit verbunden. Aber es hat auch etliche Doppelungen und Überschneidungen gegeben. Und es war durchaus sinnvoll, dass gerade im Sozialbereich aus vier bisherigen Räten jetzt nun ein Dikasterium geworden ist. Dass der Laien- und der Familienrat zusammengelegt worden ist, hat sicherlich auch gute Gründe gehabt.
Radio Vatikan: Welche Dikasterien haben sich von ihren Aufgaben her am meisten verändert?
Johannes Schidelko: Zum einen das Mediendikasterium: Dort sind aus den bisherigen neun selbständigen eigenen Medienbereichen das Dikasterium für die Kommunikation geworden.
Radio Vatikan: Also hier bei uns…
Johannes Schidelko: In der Tat. Damit wurde wurde der Digitalisierung der Medienwelt Rechnung getragen und das war sicherlich zweckmäßig. Der andere Bereich ist der Finanzbereich, in dem es eine komplette Neustrukturierung gegeben hat. Damit ist jetzt endlich ein einheitlicher Haushaltsplan für den gesamten Heiligen Stuhl ermöglicht worden, was mehr Transparenz schafft und frühere Pannen und ärgerliche Missstände vermeiden soll.
Radio Vatikan: Die römische Kurie steht jetzt nicht mehr zwischen dem Papst und den Bischöfen, sondern im Dienst beider: Das ist neu. Lässt sich ein Jahr nach Erscheinen von Praedicate Evangelium absehen, dass es eine diesbezügliche Änderung gibt in der Gangart der Kurie?
Johannes Schidelko: Ja, es ist zweifellos ein längerer Lernprozess. Aber es ist jetzt bereits einiges dialogisch, hat man den Eindruck. In der Tat zieht sich durch das ganze Dokument wie ein roter Faden der Appell: Die Kurie muss den Ortskirchen zuarbeiten, ist also nicht unbedingt ein Leitungs- und Kontrollinstrument, sondern soll ein Dienstinstrument sein. Die Kurie soll vom beargwöhnten Kontrollinstrument zum gesuchten Dienstleister für die Ortskirchen werden. Damit relativiert sich dann aber auch durchaus die eigene Macht der Kurie. Aber Rom muss bestimmte Vorgänge und Dokumente, die die örtlichen Kirchen betreffen, mit diesen abstimmen. Der Ton von Praedicate Evangelium ist sicher freundlicher und verbindlicher als das in früheren Dokumenten der Fall gewesen ist.
Radio Vatikan: Wobei in Konflikten wie zuletzt rund um den Synodalen Weg in Deutschland die Kurie sehr wohl als Leitungs- und Kontrollinstrument aufgetreten ist. Wie auch immer: Die vielleicht auffälligste Neuerung an der Kurienreform ist, dass Laien und damit auch Frauen sogar in höchste Ämter der römischen Kurie gelangen können, z.B. als Präfekten, also Behördenleiter. Präfekten waren bisher Kardinäle und Erzbischöfe. Welche Komplikationen könnten sich denn ergeben, wenn Getaufte mit viel Fachkompetenz, aber ohne Priesterweihe päpstliche Ministerien leiten?
Johannes Schidelko: Über diese Frage ist intensiv bei dem Konsistorium der Kardinäle diskutiert worden, das im August 2022 – nach der Veröffentlichung des Dokuments – über die Kurienreform stattgefunden hat. Es ist wohl eines der schwierigen Probleme. Es muss vertieft werden, und es ist bereits ein Dokument darüber angekündigt worden. Das Verhältnis zwischen Weiheamt und Leitungsamt muss geklärt werden. In der Tat, es gibt ja in mehreren Behörden bereits Laien an der Spitze des Dikasteriums für Kommunikation: Im Mediendikasterium und im Wirtschaftssekretariat. Der Papst hat angekündigt, dass demnächst auch noch weitere Institutionen einen Laienchef bekommen können, etwa im Dikasterium für Laien, Familie und Leben, durchaus auch eine Frau. Allerdings: Es gibt auch durchaus administrative oder protokollarische Gründe, die für Kardinäle und Erzbischöfe an höchster Stelle sprechen.
Radio Vatikan: Welche?
Johannes Schidelko: Die katholische Kirche ist hierarchisch strukturiert und wird als solche wahrgenommen, insbesondere bei Außenkontakten, bei Spitzenbegegnungen zwischen der katholischen Kirche und islamischen Stellen oder orthodoxen Behörden. Wenn der Papst dorthin einen Laien entsenden würde als seinen Repräsentanten, der mit einem Patriarchen oder mit einem islamischen Religionsführer spricht, könnte das bei der Wertschätzung des hierarchischen Amts in der Kirche gerade in der orthodoxen Kirche mitunter zu Missverständnissen führen.
Radio Vatikan: Die Dikasterien sind laut Praedicate Evangelium alle gleichrangig. Allerdings ergibt sich, das steht im Dokument, aus ihrer Reihung eine Gewichtung. An erster Stelle steht jetzt nicht mehr das Dikasterium für die Glaubenslehre, sondern das Dikasterium für die Evangelisierung, und erst dann die Glaubenslehre. An dritter Stelle kommt bereits das Dikasterium für die Nächstenliebe, das frühere päpstliche Almosenamt. Was heißt das für die Kurie?
Johannes Schidelko: Es ist ein sehr starkes symbolisches Signal. Der Papst wollte bereits in der Struktur seines Leitungsapparats die Prioritäten seines Dienstamtes deutlich machen: Verkündigung des Glaubens, also Evangelisierung, dann die Förderung des Glaubens und die tätige Nächstenliebe als wichtige Schritte. Für ihn steht an erster Stelle der missionarische Charakter der Kirche, die Evangelisierung, die Verkündigung des Glaubens. Die Glaubensbehörde soll die Bischöfe bei der Verkündigung des Evangeliums in der ganzen Welt unterstützen, indem sie die Unversehrtheit des katholischen Glaubens und der Sittenlehre fördert und schützt.
Radio Vatikan: Allerdings hat es auch Kritik an dieser Reihung gegeben.
Johannes Schidelko: Es ist gesagt worden, dass die Verkündigung den Glauben ja voraussetzt. Dass außerdem das Caritas-Dikasterium an die dritte Stelle gerückt ist, ist ein starkes Signal. Das war ja bislang eine nachgeordnete Behörde, die jetzt praktisch zu einem großen Dikasterium aufgewertet worden ist. Es steht nun an der dritten Stelle des Kurientableaus, und das unterstreicht das große Interesse des Papstes und die Solidarität mit den Armen und Unterdrückten. Und der Präfekt ist ja nicht nur für Arme und Bedürftige in Rom zuständig. Er reist ja auch in die Ukraine, gibt dort die Solidarität und Hilfsgüter des Papstes ab, hat auch beispielsweise in Bangui in der Zentralafrikanischen Republik ein Kinderkrankenhaus im Auftrag des Papstes eröffnet.
Radio Vatikan: Das Dikasterium für die Glaubenslehre verstand sich bisher, wie Sie schreiben, als eine Art Feuerwehr, das den Brandherd in Form einer irrigen Lehrmeinung löschen muss, bevor das Feuer auf das ganze Haus übergreift. Inwiefern stellt Praedicate Evangelium die Weichen für einen anderen Umgang mit theologisch grenzgängerischen Autoren?
Johannes Schidelko: Der Umgang mit irrigen Lehrmeinungen ist mit Praedicate Evangelium formal nicht anders geregelt worden als zuletzt. 1997 hat es ein Dokument gegeben, das eine neue Ordnung für solche Verfahren erließ, die gegenüber früher die Einbindung des Autors stärkt. Die Behörde prüft Schriften und Meinungen, die dem rechten Glauben zuwiderlaufen oder ihn verletzen, wie es heißt. Und sie sucht den Dialog mit dem Autor und legt geeignete Abhilfemöglichkeiten vor. Die meisten der Überprüfungen, hört man aber auch, werden im Dialog gelöst. Auch in diesem Fall sind ja die Bischöfe gebeten, Verfahren dieser Art vor Ort zu lösen. Man hört, dass nach Rom pro Jahr etwa zehn Fragen oder zehn Vorgänge geschickt werden, die lokal nicht zu lösen sind, aber nur alle zehn Jahre kommt es zu einem formalen Beanstandungsverfahren.
Radio Vatikan: Zehn Fälle jährlich kommen aus der ganzen Weltkirche nach Rom? Das ist wahrscheinlich weniger, als viele denken.
Johannes Schidelko: Ja, das allermeiste kann vor Ort geklärt werden. Erst wenn die Bischöfe nicht weiterkommen oder wenn es sich um einen international sehr bekannten Autor handelt, soll Rom eingeschaltet werden.
Radio Vatikan: Wie würden Sie denn das Kernanliegen von Papst Franziskus mit der Kurienreform zusammenfassen?
Johannes Schidelko: Er will Strukturen verbessern, Transparenz fördern, Mentalitäten verändern und dabei die Kurie möglichst noch effizienter und kostengünstiger gestalten. Franziskus hat die Kurienreform in den Kontext der Mission, des missionarischen Charakters der Kirche und der missionarischen Umkehr gestellt. Für ihn ist die Reform kein Selbstzweck, sondern sie soll den ökumenischen Geist fördern und ist ein Mittel, um eine wirksame Evangelisierung zu unterstützen. Und damit ist Praedicate Evangelium mehr als bloß eine Modernisierung eines historisch gewachsenen oder hochkomplexen Apparats. Die neue Verfassung soll eine Reform der Kirche gemäß dem Prinzip der Synodalität, der Subsidiarität und der Dezentralisierung fördern. Auch bleibt die Frage, inwieweit es der Konstitution gelingt, einen überbordenden Zentralismus so zu reduzieren, dass die Rolle Roms als verbindendes Element und Zentrum der Weltkirche nicht geschmälert wird.
Radio Vatikan: Neun Jahre war Praedicate Evangelium gleichsam unterwegs, und in dieser Zeit gab es viele Vorschläge zur Kurienreform. Was davon wurde eigentlich verwirklicht?
Johannes Schidelko: Ja, am Anfang der Überlegungen dachte man ohnehin, die Kurienreform sei eine Sache von wenigen Monaten und man würde den Apparat total umkrempeln. Es war ja die Rede davon, dass man das Staatssekretariat degradieren könnte und dann nur noch einen Kurienkoordinator brauche. Es gab Überlegungen, dass der Dialograt und der Ökumenerat zusammengelegt werden sollten, was aber faktisch unmöglich ist oder eine Überforderung des Chefs wäre, der so viele Termine im Auftrag des Papstes wahrnehmen soll. Dann ist auch einmal die Rede davon gewesen, warum den Ökumenerat nicht an die Glaubenskongregation anschließen? Und warum ist beispielsweise an den Bereich für Kultur und Bildung nicht auch das Museum drangehängt worden? Das war ja auch eine Überlegung gewesen. Aber die Kurie ist ein Apparat, der jahrhundertelang arbeitet, fest aufeinander abgestimmt ist. Es ist wenig zu ändern. Der Papst hat selber gesagt, die Kurie reformieren zu wollen, ist so, als würde man die Sphinx in Ägypten mit einer Zahnbürste reinigen wollen. Es ist ein Apparat, der sehr eingespielt ist, und eine grundlegende, totale Änderung ist sicherlich nicht möglich.
Die Fragen stellte Gudrun Sailer. Johannes Schidelko wirkte vor seiner Pensionierung viele Jahre lang als Redakteur im Rom-Büro der Katholischen Nachrichtenagentur und ist nach wie vor als Vatikanist tätig.
Johannes Schidelko: Kurienreform. Hintergründe, Zuständigkeiten, Veränderungen. Alles, was man wissen muss. Verlag: Bonifatius, 2022, Kosten etwa 34,00 Euro.
(vatican news – gs)
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