Pınar Karabulut: „Theater als Safe Space für Bedürftige öffnen“
Christine Seuss - Vatikanstadt
Es war geballte Kunstprominenz, die sich an diesem Freitag in der Sixtinischen Kapelle zusammenfand, um im Gedenken an das Treffen von Paul VI. 1964 mit Künstlern an einer Neuauflage des Freundschaftspaktes zwischen Kunst und Kirche teilzuhaben. Anlass der Audienz was das Jubiläum der Sammlung für moderne und zeitgenössische Kunst der Vatikanischen Museen. Sie war vor genau 50 Jahren, nämlich am 23. Juni 2023, durch Papst Paul VI. eingeweiht worden.
Unter den anwesenden Künstlern war der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer, man sah Ken Loach, Roberto Saviano, Susanna Tamaro, Jean Nouvel, Renzo Piano, André Rieu, den Ratzingerpreisträger Mario Botta und viele andere bekannte Gesichter. Franziskus hielt seine Ansprache wesentlich früher als ursprünglich angesetzt - und sichtlich gut gelaunt. Die Audienz war insgesamt beeindruckend, verriet uns Pınar Karabulut im Anschluss in den Räumlichkeiten der Vatikanischen Museen, wo die Teilnehmer noch zu einem Umtrunk zusammenkamen.
„Es ist natürlich super spannend und toll, dabei sein zu dürfen, wie verschiedene Künstler aus aller Welt zusammenkommen, und dann auch noch in dieser großartigen Sixtinischen Kapelle“, so Karabulut: „Wir wollen ja alle etwas ändern an der Welt und wir wollen uns bewegen. Da ist es schön zu merken, es gibt so viele Menschen, die die gleiche Kraft haben und alle an einem Ziel arbeiten, an dem man auch selber arbeitet.“
Theaterburgen öffnen
Mit seiner Forderung, Bedürftige nicht vom Kunstgenuss auszuschließen und ihrem „stummen Schrei“ Gehör zu verschaffen, hat Papst Franziskus jedenfalls bei der Münchner Kunstschaffenden offene Türen eingerannt: „Das ist ja auch ein großes Thema in Deutschland, dass es so schwer ist, in diese Theaterburgen reinzukommen“, bekräftigt Karabulut. „Und wenn ich daran denke, wie teuer zum Beispiel Eintrittskarten sind... das wäre doch so eine kleine Lappalie, die so schnell zu beheben wäre.“
Sie selbst denkt schon seit Jahren darüber nach, wie man Kunstgenuss auch niederschwelliger anbieten könnte, noch unter dem Eindruck der eigenen Studentenzeit in München, wo sie selbst kaum einmal eine Theatervorstellung besuchen konnte, geschweige denn nach Berlin zu hochkarätigen Veranstaltungen fahren konnte: „Das wäre also etwas, was man zuerst angehen sollte und dann schauen könnte, wie kann man auch diese ganzen Häuser vielleicht generell öffnen für Menschen in Schwierigkeiten? Ihnen auch eine Unterkunft bieten, zum Beispiel mittags mit einem Mittagstisch und der Möglichkeit, einen Safe Space und ein offenes Foyer zu finden“, meint Karabulut.
Künstler sensibilisieren für Probleme
Auch der Schriftsteller Albert Ostermaier zeigte sich von dem Rahmen der Audienz und der Ansprache des Kirchenoberhauptes beeindruckt: „Man merkt, dass sie von einem Jesuiten geschrieben ist, aber mit Blick auf den Dialog auch die Konflikte und die Differenzen anzusprechen… Ich denke, es ist ganz wichtig für jeden Dialog, dass man das ausspricht, was auszusprechen ist - und dass man da auch wirklich in eine offene Diskussion geht. Und in diesem Rahmen, der so eine Geschichte hat, der so einen Resonanzraum hat, wäre es natürlich wunderbar, wenn man so ein Gespräch auch vertiefen könnte!“
Das Gespräch vertiefen
Mit der Einschätzung und zugleich Aufforderung des Papstes, Künstler stellten eine Art von Propheten dar, konnte sich Ostermaier allerdings nicht hundertprozentig anfreunden, wie er mit einem Augenzwinkern zu verstehen gibt:
„Man weiß ja, was mit vielen Propheten passiert ist, so dass es durchaus ein sehr riskanter Job ist, Prophet zu sein! Aber es ist klar: Künstler und Künstlerinnen müssen seismographisch sein dadurch, dass sie eine Sensibilität dafür haben, was kommen wird, und das Gefühl haben, das in dem Menschen, in der Gesellschaft zu entdecken. Und vor allem trifft sich das mit der Aussage, dass man sich natürlich auch um die Armen und die Ausgeschlossenen kümmert, dass man hier eine Sensibilität entwickelt und darauf aufmerksam macht, welche Konflikte kommen. Wir sehen es ja alle, und Politik reagiert zum Beispiel immer erst dann, wenn wir das Problem da haben. Wenn wir dieses Elend der Geflüchteten in aller Welt sehen... das sind alles Probleme, von denen man sieht, dass sie auf uns zukommen werden, dass es so weit kommen wird.“
Probleme sind vorhersehbar
Genau hier liege eine wichtige Funktion der Künstler, nämlich auf derartige Situationen aufmerksam zu machen, vor ihnen zu warnen, die Menschen zum Handeln zu mahnen und im Schulterschluss auch andere dazu zu bringen, gemeinsam anzupacken, meint der Münchner Autor überzeugt. Eigentlich gar nicht so weit weg von der Rolle eines Propheten…
„Wir tun das, was unsere Notwendigkeit ist, und wir können auf jeden Fall sensibilisieren. Also, die Kunst kann unsere Wahrnehmung stärken, kann unsere Sensibilität stärken für Unrecht, für das, was falsch läuft… Und Kunst ist vor allem eine Möglichkeitsform! Wir können Dinge ermöglichen, indem wir sie denken, indem wir sie aussprechen, indem wir sie in die Welt bringen. Und wenn man sie dann aufnimmt, kann es vielleicht sein – das ist die Hoffnung -, dass es besser wird. Brecht sagt zum Beispiel, die Welt hat es verdient, dass wir sie verändern.“
Daheim werde er die Ansprache des Papstes vor den rund 200 versammelten Künstlern noch einmal genau studieren, meint Ostermaier abschließend: „Und ich finde diesen Gedanken der Harmonie sehr gut und spannend, also die Harmonie in dem Sinn, dass das Disparate sich in der Harmonie zusammenfügen kann oder in dem Sinne auch ein Klang wird, der dann natürlich etwas ermöglichen kann. Denn die Harmonie ist der Moment, der die Menschen öffnet.“
(vatican news)
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