Forscher untersuchen fast 10.000 jüdische Bittbriefe im Vatikan
Die Erforschung der Bittschreiben von während der NS-Zeit verfolgten Juden an den Vatikan wird nach Einschätzung des Kirchenhistorikers Hubert Wolf noch Jahrzehnte dauern. Gefunden in den Beständen zu Papst Pius XII., der von 1939 bis 1958 amtierte, wurden die Briefe erst 2020 für die Forschung zugänglich gemacht. Nach vier Jahren intensiver Arbeit schätzt Wolf die Zahl der Briefe auf fast 10.000. „Damit hätten wir nie gerechnet," so Wolf.
Flehen um Hilfe
Die Briefe, oftmals die letzten Nachrichten vor der Ermordung der Verfasser, flehten den Papst und den Vatikan um Hilfe an. „Retten Sie uns, Heiliger Vater!", lauteten die verzweifelten Appelle. Wolf betonte im Interview die Bedeutung dieser emotionalen Dokumente: „Wir sind die ersten, die diese Schreiben nach über 70 Jahren in den Händen halten dürfen. Das verpflichtet uns, das Schicksal dieser Menschen zu rekonstruieren und ihnen eine Stimme zu geben."
Zwei Gruppen von Fällen
Erste Erkenntnisse zeigten, dass die Fälle in zwei Gruppen unterteilt werden können. In der ersten Gruppe konnte der Vatikan selbst Hilfe leisten, wenn er wollte, beispielsweise durch finanzielle Unterstützung, die Vermittlung von Wohnungen und Verstecken oder die Beschaffung von Informationen über verschwundene Angehörige. In der zweiten Gruppe wäre der Heilige Stuhl auf die Mithilfe Dritter angewiesen, etwa bei der Erteilung von Visa, Aufenthaltserlaubnissen oder der Befreiung aus Konzentrationslagern.
Kontinuierlicher Eingang von Bittschreiben
Interessanterweise kamen diese Bittschreiben von 1939 bis 1945 kontinuierlich im Vatikan an, was darauf hindeutet, dass die jüdische Community hoffte, durch diese Schreiben Gehör zu finden. Für wissenschaftlich fundierte Aussagen sei es jedoch noch zu früh, betonte Wolf. Erst wenn alle Bittschreiben und deren Bearbeitung vollständig erfasst seien, könnten belastbare Antworten gegeben werden.
(kna - sb)
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