Zentralafrika: „Eigentlich müsste der Papst nochmal kommen“

Seit neun Jahren lebt Federico Trinchero schon in Zentralafrika, und in den Jahren hat er schon alles gesehen: Krieg, Staatsstreich, Hunger, Flüchtlingselend – und einen Papstbesuch.

Stefan Kempis und Giada Aquilino - Vatikanstadt

„Eigentlich müsste Franziskus noch einmal kommen“, sagt der aus Norditalien stammende Unbeschuhte Karmeliter im Gespräch mit Vatican News, „oder aber das Land nimmt selbst seine Geschichte und sein Vorwärtskommen in die Hand.“ Aber das scheint die unwahrscheinlichere Alternative zu sein.

Willkommen in Bangui, einer der unwirtlichsten Hauptstädte der Welt. 2013 hat Trinchero hier erlebt, wie Präsident François Bozizé gestürzt wurde und wie blutige Kämpfe zwischen Seleka- und Anti-Balaka-Milizen ausbrachen – die einen muslimisch, die anderen christlich geprägt. „Es gab eine sehr akute Phase, 2013 bis 2014. Dann kam 2015 der Papstbesuch und brachte eine Art Waffenstillstand mit sich, der ein Jahr lang hielt. Und dann hat es leider im ganzen Land wieder Guerilla-Aktionen und Zusammenstöße gegeben, die in letzter Zeit auch Bangui erreicht haben.“

 

Der Konflikt hat nicht allein eine religiöse Komponente

 

Anfang Mai war das: Da griffen Bewaffnete eine Pfarrkirche in der Hauptstadt mit Granaten und halbautomatischen Waffen an. Bilanz: etwa zwanzig Tote, darunter der Pfarrer Albert Toungoumale-Baba. Von Gewalt mit religiöser Grundierung sprach die Weltpresse, aber in Wirklichkeit kennt dieser Konflikt viele Bruchlinien, darunter auch ethnische, soziale, wirtschaftliche.

„Es läuft noch eine Untersuchung, um die Dynamiken dieses Anschlags zu verstehen. Die angegriffene Pfarrei, Unsere Liebe Frau von Fatima, wird von den Comboni-Patres geleitet und liegt nur einen Steinwurf entfernt von ‚Kilometer fünf‘, diesem berühmten Handels- und Wirtschaftsviertel der Stadt, die durch den Krieg zu einer Art muslimischer Enklave geworden ist. Es gab noch andere Gewalt Anfang Mai, nämlich Zusammenstöße zwischen den Sicherheitskräften und Rebellen – diese Gewalt könnte sich sozusagen in Richtung der Pfarrei fortgepflanzt haben. Das war jedenfalls ein Massaker.“

Zum Nachhören

Ehemalige Sölder verfolgen jetzt eigene Ziele

 

Aber muss man die Gewalt wirklich erst untersuchen, um da die „Dynamiken zu verstehen“, wie der Missionar formuliert? Weiß man denn nicht längst, aus welcher Ecke die Übeltäter kommen? Nein, es ist alles nicht so einfach, sagt Trinchero.

„2013 und 2014 waren die streitenden Lager noch klar voneinander unterschieden – Seleka gegen Anti-Balaka. Die mehrheitlich muslimische Seleka stützte sich am Anfang auf viele Söldner aus dem Tschad und dem Sudan. Ich erinnere mich gut an den Kriegsbeginn: Das wirkte gar nicht so sehr wie ein Staatsstreich als vielmehr wie eine Invasion aus dem Ausland. Auch, weil viele Kämpfer nicht wie Zentralafrikaner aussahen und kein Sango sprachen (das ist die örtliche Sprache). Dann wurde die Seleka offiziell aufgelöst, und mittlerweile haben diese Gruppen, die im ganzen Land verstreut sind, jede ihre eigenen Ziele und ihre eigenen Operationen. Im Moment erleben wir also eine Phase großer Unordnung.“

 

Ausländische Mächte haben Interesse an Bodenschätzen

 

Achtzig Prozent des Landes – die Zahl muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – sind derzeit in der Hand von Bewaffneten. Sprich: Außerhalb von Bangui herrscht eigentlich überall Unsicherheit. Sechs religiöse Führer in der Hauptstadt haben sich vor kurzem getroffen und in einer Erklärung die Einmischung ausländischer Mächte in die internen Spannungen beklagt. Wen haben sie denn da im Auge?

„Man spricht da von einer Reihe von Ländern. Anfangs vor allem Tschad, Frankreich, Sudan; dann wurde viel von China gesprochen, und im Moment gibt es eine Präsenz Russlands. Dahinter stecken verschiedene (wirtschaftliche) Interessen, weil das Land reich an Bodenschätzen ist und genau in der Mitte Afrikas liegt.“

Kardinal Dieudonné Nzapalainga ist Erzbischof von Bangui, preisgekrönt wegen seiner Bemühungen, gemeinsam mit einem hochrangigen Imam Versöhnung und gutes Auskommen zwischen Christen und Muslimen zu stiften. Der Kardinal spricht oft von den ausländischen Interessen an Gold, Diamanten und anderen wertvollen Bodenschätzen, die aus seiner Sicht den zentralafrikanischen Konflikt anheizen.

„Er redet oft von einer Art Geheimplan, der den Friedensprozess immer wieder blockiert. Aber er insistiert gleichzeitig darauf, dass es die Verantwortung der Zentralafrikaner selbst ist, für eine Geste, einen Neuanfang zu sorgen und aus Liebe zum eigenen Land seine Geschicke endlich in die Hand zu nehmen.“

 

Das eigentliche Problem ist die Armut

 

Um siebzig Prozent ist die Zahl der Binnenflüchtlinge im Lauf eines Jahres gestiegen, sagen neue UNO-Zahlen zu Zentralafrika. „In Bangui gibt es keine Gruppen von Flüchtlingen mehr – anders als von 2013 bis 2016, als Kirchen, Klöster und Priesterseminare von Flüchtlingen besetzt waren. Das waren in der Regel Christen… Und dann gab es natürlich auch muslimische Flüchtlinge im Stadtviertel ‚Kilometer fünf‘. Jetzt im Moment gibt es vor allem im Nordteil des Landes noch Flüchtlinge – aber man muss gleich dazusagen, dass das eigentliche Problem des Landes die Armut ist. Es war schon vor dem Krieg arm: Jetzt ist es bitterarm.“

Statt Fortschritten gebe es in diesem Bereich nur Rückschritte zu melden: Zentralafrika schaffe es einfach nicht, „auf den Zug der Entwicklung aufzuspringen“. Trotzdem wolle nach seinem Eindruck kein Missionar seine Sachen packen und das Land verlassen, so Pater Trinchero – es gebe immer noch spürbare Hoffnung, dass das Land irgendwann wieder auf die Füße kommt.

„Wir wollen Sieger sein!“

„Ich finde, man müsste jetzt auf kirchlicher, aber auch gesamt-gesellschaftlicher Ebene hart arbeiten, um eine neue Führungsklasse auszubilden. Ich hoffe sehr, dass aus den katholischen Schulen, der Pfarreiarbeit, den Bewegungen wenigstens eine kleine Gruppe von Leuten hervorgeht, die fähig wäre, das Land wieder in die Hand zu nehmen.“

Als Papst Franziskus im November 2015 Bangui besuchte, ließ er Jugendliche vor der Kathedrale die Worte nachsprechen: „Kein Hass, viel Vergebung!“ Auf Sango, der örtlichen Sprache. Und dann fragte er sie rhetorisch: „Wollt ihr Besiegte oder wollt ihr Sieger sein im Leben?“ Die Antwort der Jugendlichen: „Wir wollen Sieger sein!“ Eine etwas zweideutige Antwort. Vielleicht müsste der Papst tatsächlich noch einmal nach Bangui kommen, um den Menschen dort zu erklären, dass Siegen – christlich gesehen – nur durch Liebe und Vergebung möglich ist. Und nicht etwa mit der Waffe in der Hand.

(vatican news)

Unser Video aus dem News-Archiv: Papst Franziskus Ende November 2015 in Bangui
 

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06. Juni 2018, 10:39