Amazonas-Synode: „Ganz neuer Zugang zu indigenen Völkern erwünscht“
Gudrun Sailer – Vatikanstadt
Dabei erstellten die Organisatoren der Synode zusammen mit dem Synodensekretariat den Grundlagentext, das sogenannte Instrumentum Laboris. Im Gespräch mit uns äußerte Bischof Kräutler die Einschätzung, dass das Dokument durchaus spannungsreich sei.
Bischof Kräutler: „Für Unruhe wird sorgen, dass da zwei pastorale Linien aufeinanderprallen. Denn die Europäer sehen viele Dinge ganz anders als wir. Wir [am Amazonas, Anm.] kommen von der Basis her, und das ist ein ganz anderer Zugang zu den Fragen. Ich denke jedes Mal, wenn man mir eine Frage stellt, an meine Leute. In unseren Versammlungen sagen die Leute einfach, was sie sich denken. Darauf muss ich ja Rücksicht nehmen. Ich kann nicht hinkommen mit einem Vorsatz, ich leite das und ich habe die Verantwortung, sondern ich höre dann zu. Der Bischof muss zuerst ein hörender Bischof sein.“
Vatican News: Schält sich in dem Grundlagendokument schon eine große Linie heraus?
Bischof Kräutler: „Man kann schon sagen, dass wir einen ganz neuen Zugang speziell zu den indigenen Völkern wollen. Wir wollen ihre Kultur berücksichtigen. Man hat früher immer gedacht: „Wir kommen zu den Indios und sagen denen, wo es langgeht. Wir bringen praktisch eine religiöse Überzeugung, eine Erfahrung von Europa dorthin.“ Ich kann mir jetzt nicht vorstellen, dass wir jetzt zurückgehen ins 19. Jahrhundert, nach dem Ersten Vatikanum und sagen, das war das Richtige. Wir als katholische Kirche sind auch gewachsen, und verschiedene Dinge sieht man heute ganz anders. Aber in Europa geht das viel langsamer. Die Leute fordern das von uns: Die Berücksichtigung ihrer besonderen Art und ihrer besonderen Ausdrucksform ist für uns unbedingt wichtig.“
Vatican News: Eine zentrale Rolle spielen in Ihren Ortskirchen gerade auch die Frauen in der Gemeindearbeit, in der Pastoral. Wie wird sich das spiegeln in der Synode?
Bischof Kräutler: „Ganz hundertprozentig wird dies ein Punkt sein, ein besonders zu behandelnder Punkt: die Frauen. Ich kann mir unsere Kirche da drüben nicht vorstellen ohne die Frauen. Sie machen mit und werden nicht einfach von oben diktiert. Nein: Die Frauen haben ihre eigene Art und kommen in bestimmte Realitäten und Situationen hinein, wo wir gar nicht hineinkommen als Männer. Ich glaube, man muss einfach sagen, es gibt keine „Männerkirche“ in dem Sinn. Sondern es gibt eine Kirche, wo Männer und Frauen gleichberechtigt sind in der pastoralen Arbeit, und das muss berücksichtigt werden. Ich denke, bei der Synode wird die Wertschätzung der Frau – sie muss einfach ganz besonders herausgeschält werden. Ich persönlich denke auch an die Diakonie.“
Vatican News: Das ist ein großer Streitpunkt derzeit in der katholischen Kirche. In Deutschland ist es auch gerade so, dass Katholikinnen streiken. Wäre so etwas im Amazonas-Gebiet auch vorstellbar?
Bischof Kräutler: „Wenn bei der Synode wirklich nichts herauskommt, dann kann ich mir schon vorstellen, dass die Frauen einfach einmal aufstehen, auf die Barrikaden gehen und sagen: „Also wir hätten uns schon viel mehr erwartet.“ Wir haben eine unendliche Verantwortung! Der Papst hat die Synode einberufen aus Liebe zu Amazonien. Wir können jetzt nicht einfach so tun, als wäre das einfach eine Versammlung, wo ein paar Bischöfe zusammenkommen und sagen, „ich bin dieser Meinung und du bist jener Meinung“. Ich glaube, wir müssen uns schon „zusammenraufen“, damit wir zu einer Lösung kommen auch für die Frauen in der Kirche.“
Vatican News: De facto ist das, was die Frauen in Ihrer Ortskirche am Amazonas machen, das, was eine Diakonin schon macht, oder?
Bischof Kräutler: „Eigentlich ja. In der Diözese, in der ich tätig bin, werden ungefähr 800 Gemeinden, zwei Drittel, von Frauen geleitet. Der Priester kommt zwei oder drei Mal im Jahr dorthin. Das ist eine Herausforderung sondergleichen. Wenn die Frauen das nicht übernähmen...! Man meint übrigens auch immer, es sei eine „machistische“ Gesellschaft, aber es ist nicht so: Die Männer sind eigentlich froh, dass die Frauen das tun, weil sie es besser können. Frauen können besser lesen. Meistens sind sie auch Lehrerinnen und übernehmen diese Verantwortung für die Gemeinden. Sie leiten den Wortgottesdienst mit allem Drum und Dran. Sie machen auch eine Predigt, auf ihre Art. Ich habe so etwas schon gehört und bin ganz begeistert davon. Ich könnte mir nie vorstellen, wenn man jetzt den Frauen sagte, „es ist nicht euer ‚Business‘, ihr müsst jetzt wieder zurück“, das geht einfach nicht. Auch im Altarraum sind die Frauen.“
Vatican News: Das zweite große Anliegen der Amazonassynode ist die ökologische Frage. Es geht um eine ganzheitliche Ökologie, und das ist auch eine Lebens- und Überlebensfrage für die Bevölkerung am Amazonas.
Bischof Kräutler: „Am Amazonas und für die ganze Welt. Amazonien hat eine klimaregulierende Funktion für den ganzen Planeten Erde, und das ist auch eine andere Verantwortung. Da möchten wir auch als Kirche nicht sagen, „das gehört irgendeiner politischen Partei“, das wäre ihr Anliegen. Nein. Wir glauben an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und wir sind verantwortlich für diese Schöpfung nach dem Genesis-Bericht. Wir tragen Verantwortung für diese Schöpfung, die uns gegeben ist. Wir sind verantwortlich für die nächsten Generationen. Wenn ein Kind heute auf die Welt kommt, dann frage ich mich immer: Welche Welt hat dieses Kind, das heute auf die Welt kommt, in ein paar Jahren?“
Vatican News: Ökologie ist letztlich eine Frage des Lebensschutzes.
Bischof Kräutler: „Des Überlebens, würde ich sogar sagen! Wenn wir so weitermachen wie jetzt, dass jeder meint, es kommt ohnehin nichts Schlimmes, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass wir eine schöne Zukunft vor uns haben.“
Vatican News: Die Politik in Brasilien ist derzeit auf einem Weg, der der katholischen Kirche sicher große Sorgen machen muss, gerade im ökologischen Bereich. Wie positioniert sich die Bischofskonferenz, die katholische Kirche zu den Entscheidungen, die Präsident Bolsonaro trifft und die gerade den Amazonas anlangen?
Bischof Kräutler: „Ja. Das ist eine schwierige Situation, in der wir leben. Ich weiß nicht, wie das weitergeht. Man weiß eigentlich nicht, was Bolsonaro will. Ich sage auch ganz klar, er kennt Amazonien gar nicht. Er denkt nur vom Export her, von der wirtschaftlichen Dimension her. Amazonien muss geöffnet werden. Für wen? Für die großen internationalen Konzerne. Die Indios existieren für ihn eigentlich nicht. Und als katholische Kirche: Es gibt einen bischöflichen Rat für indigene Völker (CIMI). Ich war 17 Jahre Vorsitzender dieses Rates. Bolsonaro will das beschneiden oder überhaupt rückgängig machen, und das ist eine Katastrophe. Da brauchen wir internationale Hilfe. Es kann nicht sein, dass wir, statt nach vorne, zurückgehen und sagen, die Indios sollen integriert werden – das war früher der Fall – in die so genannte nationale Gesellschaft. Sie sind die Ersten, die dort gelebt haben!“
Vatican News: Wie sehen indigene Menschen gerade in diesem Kontext, den sie da aufgeblättert haben, Jesus Christus? Wer ist der für sie?
Bischof Kräutler: „Es kommt ganz auf die Leute an. Es gibt Völker, die schon seit Jahrhunderten mit dem Christentum zusammengekommen sind. Und es gibt Völker, gerade in unserer Gegend, die erst vor Kurzem davon erfahren haben. Ich bin der Meinung, bin überzeugt davon, dass unser Zugang ein ganz anderer sein muss, als das früher der Fall gewesen ist. Ich komme mit dem Kreuz zu diesen Indios? Nein, ich muss davon ausgehen, was sie bereits haben. Wie sehen sie den lieben Gott? Sie wissen schon, sie sagen sogar zum Gekreuzigten, zum Kruzifix „unser Väterchen“. Wie gesagt: Der liebe Gott war vor uns da. Man muss einmal sehen, welche religiöse Erfahrung sie haben. Sie haben auch ihr Altes Testament, also von uns aus gesehen. Sie erzählen Dinge, die sehr ähnlich sind. Die Sintflut kommt bei ihnen vor, auch Kain und Abel. Das erzählen sie natürlich ganz anders. Aber man sieht sofort: Die Geschichten, die sie erzählen, sind „urreligiöse Erfahrungen“. Statt dass man sagt, „wir haben alles“ - nein, wir gehen von dem aus. Jede Religion ist offen für neue Impulse. Manchmal können wir sehr viel von ihnen lernen. Sie haben immer noch das Wir-Empfinden. Der Natur gegenüber sind sie ganz anders eingestellt als wir.“
Vatican News: Sehen Indigene Jesus Christus als jemand, der an ihrer Seite steht und ihre Freiheit möchte?
Bischof Kräutler: Ganz entschieden ja. Wir glauben, dass Jesus Christus mit uns ist, und das heißt, gerade im Exodus-Bericht: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne sein Leid. Ich bin herabgestiegen, um es der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen“. Der Befreiende, das sagt den Leuten etwas. Wir sind in einer Situation, in der wir immer geknechtet wurden und werden. Und Jesus Christus, also dieser Gott, den wir verkünden und ihnen zeigen, ist der Gott, der befreit. Das ist für uns wichtig und zwar ganz entschieden im Zusammenhang mit dem Exodus-Bericht. Aber es gibt noch etwas anderes im Neuen Testament: Im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums, worin Jesus sich identifiziert. Er sagt nicht: „Tut etwas für die Armen!“, er sagt: „Ich war arm. Ich war durstig. Ich war hungrig. Ich war krank.“
Vatican News: …und ihr habt mir geholfen. Das ist eine Stelle, die auch Papst Franziskus sehr oft nennt.
Bischof Kräutler: „Gott sei Dank, ja! Er ist ganz auf unserer Linie. Er wird sich nicht als Befreiungstheologe outen, aber er hat genau diesen Ansatz: Es geht nicht darum, dass wir darauf warten, dass die Leute zu uns kommen. Sondern er will eine Kirche, die bis zu den äußersten Peripherien geht, und zwar nicht nur zu den geographischen, sondern den existenziellen. Da meine ich, muss die Synode ein paar Schritte weitergehen. Das hoffen wir einfach.“
(vatican news)
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