Äthiopien/Eritrea: Der Frieden ist am toten Punkt
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
So viel Aufsehen hat der Frieden der zwei Jahrzehnte lang verfeindeten Brüder gemacht, so viele Hoffnungen geweckt – Abiy Ahmed, Äthiopiens Ministerpräsident, wurde in den Medien schon als afrikanischer Gorbatschow gehandelt. Doch an der Umsetzung des Vereinbarten hapert’s, wie die französische Forscherin Sonia Le Gouriellec von der Katholischen Universität Lille im Interview mit uns erzählt.
„Dieser Friedensvertrag hat vieles in Gang gesetzt: Er machte es vor allem möglich, die Grenze zu öffnen, was die Eritreer aus ihrer Isolation befreit hat. Aber es bleiben doch sehr viele Fragen. Die Unbekannte in der Gleichung bleibt Eritrea unter Präsident Isaias Afwerki; er hat die Grenze wieder geschlossen, weil Tausende von jungen Eritreern die Gelegenheit genutzt haben, um ein besseres Leben im Ausland zu suchen, in Äthiopien. In Eritrea gibt es immer noch keine Verfassung und keine Wahlen; religiöse Gruppen werden verfolgt, Andersdenkende verhaftet. Also, in Eritrea lassen die Friedensdividenden noch auf sich warten.“
Die beiden Nachbarn am Horn von Afrika entwickeln sich in verschiedene Richtungen
Unbeweglichkeit also in Eritrea, demokratische Reformen hingegen in Äthiopien: Die beiden Nachbarn am Horn von Afrika entwickeln sich in verschiedene Richtungen.
„Auf äthiopischer Seite gibt es interne Probleme; dem Regime geht der Atem aus, weil die Machtteilung so kompliziert ist zwischen den verschiedenen Bundesstaaten und Ethnien. In Äthiopien erleben wir so etwas wie die Übergangsphase von einem Regime zu einem anderen; diese interne Problematik lähmt die Konsolidierung des Friedens, den man letztes Jahr geschlossen hat.“
Einer der wichtigsten Fluchtgründe aus Eritrea besteht weiter
Heißt das, in beiden Ländern müsste jetzt eine Demokratisierung einsetzen, um den Frieden zu retten? „Nein, nicht unbedingt“, sagt Frau Le Gouriellec – „aber Äthiopien macht derzeit einen Demokratisierungsprozess durch, während Eritrea versucht, aus seiner Isolierung herauszukommen. Es gibt da große Erwartungen in der eritreischen Bevölkerung, die sich vor allem am Friedensvertrag festmachten; schließlich sah dieser ja auch wirtschaftliche Öffnungen vor und Investitionen vor allem aus den Golfstaaten. Doch die wirtschaftlichen Verbesserungen durch den Friedensvertrag für die Bevölkerung lassen noch auf sich warten.“
Damit dürften auch weiterhin viele Eritreer unter den Migranten und Flüchtlingen sein, die sich von Afrika unbeirrt in Richtung Europa aufmachen. Einer der wichtigsten Fluchtgründe für Eritreer bestand bisher darin, dass sie dem Wehrdienst, dem sogenannten nationalen Dienst, entgehen wollten. „Doch diesen nationalen Dienst gibt es immer noch – obwohl er eigentlich gar keine Daseinsberechtigung mehr hat, denn er war ja immer mit dem Dauerkriegszustand zwischen Eritrea und Äthiopien begründet worden. Trotz allem, es gibt ihn immer noch…“
Zweifel am Friedenswillen des eritreischen Regimes
Dass Eritrea in nächster Zeit zur Besinnung kommt und versucht, mit dem Frieden Ernst zu machen, glaubt die französische Expertin nicht wirklich. „Die Frage ist schon, ob ein totalitärer Staat von sich aus zu so einer politischen Umwandlung in der Lage ist. Der Präsident hat ja eine militärische Elite um sich herum, die aus der jetzigen Lage wirtschaftliche Vorteile zieht, und hat per se überhaupt gar kein Interesse daran, sich jetzt an die Spitze einer politischen Umwandlung zu setzen. Ich sehe nicht, warum das eritreische Regime auf eigene Initiative hin aktiv werden sollte. Es hat doch alles erreicht, was es wollte: Die Isolierung ist durchbrochen, ein bisschen Geld ist hereingekommen.“
Und Äthiopien? Kann Addis Abeba vielleicht das Abkommen von Dschidda retten? „Aber Äthiopien muss sich erst einmal um seine internen Probleme kümmern! Das Regime ist in Schwierigkeiten, es hat gerade erst einen Putschversuch überstanden, es gärt im Land an vielen Stellen. Ministerpräsident Abiy Ahmed hat viel geleistet, aber auch dafür gesorgt, dass die bisher dominierende Ethnie jetzt teilweise von der Macht verdrängt worden ist, und das hat zu vielen Frustrationen geführt. Abiy gehört zu den Omoro, die etwa dreißig bis vierzig Prozent der Bevölkerung stellen; er hat versucht, im Militär und der Verwaltung ein bisschen aufzuräumen, auch das hat ihm viel Gegnerschaft eingebracht.“
Wie man’s auch besieht – es bleibt noch ein schwieriger Weg, bis zwischen Äthiopien und Eritrea ein echter Frieden einkehren kann.
(vatican news)
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