Erdogan und die neue Kirche in Istanbul – ein Interview
DOMRADIO.DE: Es ist der erste Neubau einer Kirche in der fast hundertjährigen Geschichte des modernen Istanbuls. Könnte man das als historischen Tag bezeichnen?
Nadim Ammann (Türkei-Experte aus dem Referat Weltkirche des Erzbistums Köln): Es ist in der Tat etwas Besonderes. Einen Neubau hat es schon lange nicht gegeben. Es gab durchaus die eine oder andere Renovierung, wenn sie daran denken, dass die bulgarische Kirche im letzten und vorletzten Jahr aufwendig renoviert worden ist. Sie wurde dann von den Präsidenten aus Bulgarien und der Türkei neu eröffnet. Solche Sachen gab es schon. Aber ein Neubau ist in der Tat etwas Besonderes und auch für alle Christen ist das ein besonderer Tag.
DOMRADIO.DE: Jetzt kam das alles nicht so spontan, wie es klingt. Die Baugenehmigung, die durch die islamisch-konservative Regierungspartei AKP ausgesprochen wurde, kommt aus dem Jahr 2015. Und die Planungen für den Kirchenbau gehen noch weiter zurück bis ins Jahr 2009.
Ammann: In den Medien bekommt man zum Teil den Eindruck, das wäre jetzt ganz topaktuell. Über die Notwendigkeit einer Kirche für die syrisch-orthodoxen Christen in Yesilköy wird schon lange gesprochen. Denn es befinden sich viele syrisch-orthodoxe Christen in diesem Stadtteil von Istanbul, der ganz nah am alten Flughafen liegt. Und diese syrisch-orthodoxen Christen haben bis jetzt immer noch die Kirche der katholischen Kapuziner genutzt, die dort ist.
DOMRADIO.DE: Dabei würde man eigentlich von Erdogan etwas ganz anderes erwarten. Seine Politik richtet sich eher an konservative Muslime. Zum Beispiel wurde das Kopftuchverbot an den Universitäten gekippt und die Hagia Sophia rechtlich offiziell zu einem muslimischen Gebetsort erklärt. Wie passt da das Bild rein, dass er auf einmal eine syrisch-orthodoxe Kirche bauen lässt?
Ammann: Er möchte sich als Präsident aller verstanden wissen und kümmert sich um die Minderheiten. Das hat er mit den Bulgaren gezeigt und das zeigt er jetzt auch mit den Syrisch-Orthodoxen. Man muss dazu sagen, dass sowohl die Bulgaren als auch die syrisch-orthodoxen Christen türkische Staatsbürger sind.
Die syrisch-orthodoxe Gemeinde ist eine starke Gemeinde in der Türkei, das Land ist deren Stammesgebiet und die Mitglieder sind in der Mittel- und Oberschicht zu finden. Von daher ist es ein gutes Zeichen des Staatspräsidenten, dass er sich auch um diese Minderheiten kümmert. Zumal die Zahlen ja nicht so enorm groß sind, als dass sie eine Gefahr für seine Politik bedeuten würden.
DOMRADIO.DE: Man spricht von 17000 syrischen Christen, die in Istanbul leben. Bei einer Bevölkerungszahl von 15-16 Millionen ist das tatsächlich nicht die Masse. Aber oftmals soll es sich auch um Flüchtlinge handeln, die aus Syrien gekommen sind. Es gibt Umfragen, die besagen, dass die Stimmung in Istanbul gerade eher gegen diese Flüchtlinge geht – 90 Prozent sehen sie als Problem an. Wenn Erdogan jetzt eine Kirche für die bauen lässt, verscherzt er sich nicht ein bisschen die Sympathien?
Ammann: Hier muss man mit der Terminologie ein wenig vorsichtig umgehen. Es handelt sich bei den Christen aus Syrien nicht ausschließlich um syrisch-orthodoxe Christen. "Syrisch-orthodoxe Christen" ist die Bezeichnung einer Glaubensgemeinschaft, deren Gebiet sich sowohl in der Türkei als auch in Syrien befindet. Flüchtlinge aus Syrien können zum Beispiel auch Chaldäer sein.
Tatsache ist, dass diese Flüchtlinge aus Istanbul verschwinden sollen – das will übrigens auch der neue Bürgermeister, der in unseren Medien ja viel Jubel hervorgerufen hat. Nichtsdestotrotz geht die Planung der Kirche schon auf 2009 zurück. Und das zeigt, dass es den Bedarf einer solchen Kirche nicht erst seit der Flüchtlingskrise gibt, sondern dass die syrisch-orthodoxe Gemeinde schon länger in Yesilköy ansässig ist und dort eine eigene Kirche braucht.
DOMRADIO.DE: Wie sieht die katholische Kirche den Neubau?
Ammann: In der Tat ist es so, dass die katholische Gemeinde in Istanbul das Ganze zwiespältig sieht. Zum einen freut man sich über einen Kirchenneubau, das ist ganz klar. Die einen oder anderen hoffen vielleicht auch, dass mal eine katholische Kirche neu gebaut werden könnte.
Es ist auch eine Tatsache, dass die Kapuziner um ihr Grundstück gekämpft haben. Der Friedhof liegt auf ihrem Grundstück, soll aber in den 50er Jahren bereits von der Vorgängerregierung enteignet worden sein. Entsprechend hat sich Erdogan starkgemacht, dass die Besitzverhältnisse noch einmal geklärt würden. Vermutlich haben die Kapuziner und der Vatikan zunächst geschaut, was für sie noch dabei herausspringen könnte.
Aber eigentlich herrscht ein gutes Verhältnis zwischen den Kirchen und insofern war man etwas betrübt, dass der Anspruch auf dieses enteignete Grundstück bestand. Vermutlich ist da an die katholische Kirche Geld geflossen.
DOMRADIO.DE: Sie waren vor ein paar Monaten erst in Istanbul. Was denkt denn eigentlich der Mensch auf der Straße über die syrisch-orthodoxen Christen?
Ammann: Ich glaube, dass sich die meisten Türken gar keine großen Gedanken über die Christen machen, weil es einfach so wenige sind. Politisch pflegt man eine durchaus gute Beziehung zu den einheimischen Christen. Denn sowohl die syrisch-orthodoxen als auch die armenisch-orthodoxen Christen und die Chaldäer gehören zu den wirtschaftlich interessanten Partnern. Sie haben eigene Betriebe, investieren und so weiter. Von daher wird da eine gute Beziehung gepflegt.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.
(domradio/vatican news – sk)
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