Helen und die nigerianischen Mädchen im Herzen von Schwester Rosalia
Giada Aquilino und Christine Seuss - Vatikanstadt
Es sind „zerstörte“ und „gebrochene“ Frauen, die praktisch wieder „zusammengesetzt“ werden müssen, damit sie begreifen, dass sie nur dann, wenn sie „sich selbst in den Blick nehmen“, entdecken können, dass sie „eine schöne Mission zu erfüllen haben“. Denn auch wenn sie selbst Hilfe brauchen, so haben sie doch auch „viel zu geben“. Es sind Mädchen, fast alle Nigerianerinnen, die Opfer von Menschenhandel, Gewalt und Missbrauch wurden, von denen Schwester Rosalia Caserta, Leiterin des Instituts San Giuseppe in Catania, spricht. Die Dienerin der Göttlichen Vorsehung war zunächst als Missionarin in Uruguay und dann als Freiwillige unter den Insassen des Gefängnisses Piazza Lanza in der sizilianischen Stadt tätig. Sie erzählt von ihrer Gemeinschaft, die sich aus vier Bereichen zusammensetzt: „Casa di Agata“, in der alleinstehende Mädchen in Schwierigkeiten Hilfe finden; „Casa Padre Pino Puglisi“, für minderjährige Jungen; „Il Vasaio“, für Mädchen im Teenageralter und „Casa Maria Marletta“, für Mütter mit Kindern. Gegenüber Vatican News berichtet sie von der „Casa di Agata“: Es ist „ein wirklich großer Reichtum, diese Mädchen getroffen zu haben“, sagt sie.
„Im Jahr 2012 gegründet, hat das „Casa di Agata“ von Anfang an junge Mädchen aufgenommen, die ein wenig orientierungslos waren. Dann haben wir angefangen, in einer strukturierteren Weise junge Mädchen aufzunehmen, die mit den Flüchtlingsbooten ankamen. Denn vor allem in den Jahren 2014-2015 haben wir gesehen, dass es zwar Aufnahmezentren für Männer gibt, aber viel weniger Plätze für Frauen.“
Es habe sich bei den Neuankömmlingen meist um nigerianische Mädchen gehandelt, da sie stärker vom Menschenhandel bedroht waren, berichtet Schwester Rosalie. Bereits am Hafen hätten Mitarbeiter der NGOs und der Migrationsbehörde verdächtige Fälle von Menschenhandel registriert – und die betroffenen Mädchen direkt in das Casa di Agata geschickt. Seit eineinhalb Jahren registriere man keine massiven Ankunftswellen mehr, doch einige Mädchen, die das Haus bereits einmal verlassen hätten, kämen wieder, nachdem sie sich angesichts der schwierigen Arbeitsmarktsituation ohne Arbeit und Wohnung wiederfänden…
„Im Durchschnitt sind sie zwanzig Jahre alt: Die Mädchen, die vielleicht im Alter von 16-17 Jahren zu uns gekommen sind, sind erwachsen geworden. Viele von ihnen haben jetzt Kinder, weil sie bereits schwanger angekommen sind. Sobald die Kinder geboren wurden, sind sie dann in unsere Gemeinschaft übersiedelt, die Mütter mit Kindern aufnimmt.“
Voodoo-Rituale und Drohungen sollen die Mädchen gefügig machen
Helen, eine Nigerianerin, die seit vielen Jahren mit der Gemeinschaft arbeitet, bringt die Schwestern mit den notleidenden Mädchen in Kontakt: „Die Mädchen vertrauen dieser Frau sehr: sie kommt aus ihrem Land, sie nennen sie Mutter, sie vertrauen ihr. Sie erzählen ihre Geschichten von erlittener Gewalt, auch von Voodoo-Ritualen vor der Abreise.“
Dabei kämen noch weitere beunruhigende Details ans Licht: Einige Mädchen wurden von ihren eigenen Müttern zu den als „Madame" bezeichneten Mittlerinnen der Menschenhändler begleitet und darauf eingeschworen, ihnen Gehorsam zu erweisen.
„Sie erzählen uns auch von dem Leid, das sie in Libyen erlitten haben: Alle unsere Mädchen, jetzt Frauen, sind durch Libyen gereist und erzählen schreckliche Geschichten von Gewalt, Missbrauch und Hunger. Wenn wir sie bei ihrer Ankunft hier in Catania ins Krankenhaus brachten, um sie untersuchen zu lassen, gaben wir ihnen beispielsweise eine Packung Kekse – und die Mädchen waren dafür so unglaublich dankbar! Eine sehr beeindruckende Sache, zumindest am Anfang.“
Statt Arbeit geht es in die Prostitution
Die „Madames“ spielen eine Schlüsselrolle beim Handel von jungen Nigerianerinnen: manchmal sind sie mit ihnen verwandt, aber es sind auch Italienerinnen oder Südamerikanerinnen, die mit der italienischen Unterwelt in Verbindung stehen und die Mädchen unter dem Vorwand, ihnen eine Arbeit zu besorgen, nach Italien locken. Doch bald müssen die Mädchen erkennen, dass die „Arbeit“ aus Prostitution am Straßenrand besteht.
„Das Merkwürdige ist, dass diese ,Madames‘, die in Italien auf die Mädchen warten, diese regelrecht suchen gehen: Sie tauchen in den Aufnahmezentren auf, in den Krankenhäusern, sogar in den Schulen, in die wir sie schicken. Sie verfolgen sie. Aber die jungen Frauen fühlen sich von ihrer Familie moralisch verpflichtet, diese Personen anzurufen, weil sie das Gefühl haben, dass ihre zu Hause gebliebenen Eltern in Gefahr sind. Unsere kulturelle Vermittlerin spricht dann mit ihnen und erklärt ihnen, dass es zu Hause keine Vergeltung geben wird. Aber in 80% der Fälle fragt die Familie nach Geld, und die Mädchen können es kaum erwarten, etwas zu verdienen, um es nach Hause zu schicken.“
Die Mädchen fühlen sich von ihren Familien verraten
Besonders bitter: oft weiß die Herkunftsfamilie, welches Schicksal die Mädchen in Italien erwartet. Einige der Mädchen reagieren mit Ablehnung, wechseln ihre Telefonkarte und entscheiden sich dafür, mit ihrer Familie zu brechen, berichtet Schwester Rosalia. Manchmal versöhnen sie sich später wieder mit der Familie. Doch wichtig ist vor allem eines: das Bewusstsein, auf eigenen Füßen zu stehen und sich eine Zukunft aufbauen zu können, als selbstbestimmte und unabhängige Frau.
„Wir helfen ihnen auf verschiedene Weise dabei. Zunächst einmal gehen sie zur Schule und lernen Italienisch: es ist wichtig, sich verständlich zu machen und zu verstehen. Dann haben wir die handwerklichen Ausbildungen bei uns erweitert, von Keramik bis zum Nähen, von der Tischlerei bis zur Konditorei. Die italienische Bischofskonferenz hat uns bei der Projektfinanzierung unterstützt. Wir haben einen Kurs für frische Teigwaren, einen für Bäckerei und dieses Jahr einen für Produkte für Zöliakiebetroffene durchgeführt.“
Auch ein Kurs zum Jugendunternehmertum, der im vergangenen Jahr mit UNICEF durchgeführt wurde, trug Früchte: Schwester Rosalias Gemeinschaft erbat sich von der Diözese die Möglichkeit, ein Ladengeschäft zu eröffnen – und das wird nun mit Unterstützung eines Mitarbeiters von den Mädchen selbst betrieben. Es gehe vor allem darum, den Mädchen ihre eigenen Fähigkeiten bewusst zu machen, unterstreicht Schwester Rosalia:
„Sie haben uns so bereichert! Sie besitzen so schöne handwerkliche Fähigkeiten, sie gebrauchen ganz andere Farben als unsere, lebendigere. In die Näh- und Keramikwerkstätten haben sie mehr Schönheit gebracht. In unseren Werkstätten achten wir sehr auf die Ästhetik des Produkts. Wir sagen jedem Mädchen: Du bist eine Frau, wisse, dass du, auch wenn du eine hässliche Geschichte in dir trägst, schön bist, nach dem Bild Gottes. Wenn du dich also ein wenig bemühst und dir dabei helfen lässt, kommt diese Schönheit auch nach außen. Und durch die Freiheit, die wir ihnen bei der Gestaltung lassen, erzählen sie ihre Geschichten, ihre Bräuche, ihre Traditionen. Sie offenbaren das Glück, das sie in sich tragen. Sie sind Menschen, die es nicht nur nötig haben, zu empfangen, sondern die auch viel geben können.“
Ein besonderes Geschenk sei es jedoch, wenn die Mädchen beispielsweise mit spontanen Umarmungen unversehens und aus eigenem Antrieb ihre Zuneigung, Dankbarkeit und Anhänglichkeit für ihre Helferinnen zeigten, lässt Schwester Rosalie einige Momente mit ihren jungen Schützlingen Revue passieren. „Es ist eine sehr schöne Sache, ein wirklich großer Reichtum, diese Mädchen getroffen zu haben. Ich zum Beispiel fühle mich sehr privilegiert, weil die Vermittlerin, die mit uns arbeitet, selbst ein Mädchen ist, das sich von einer Welt der Gewalt und Sklaverei befreit hat: Sie hat uns die schönste Antwort darauf gegeben, sie hat geheiratet, hat eine wunderbare Familie, und widmet sich diesen Mädchen auch außerhalb der Arbeitszeit. Es ist eine Freude zu sehen, dass die gleiche Begeisterung auch jetzt noch bei Helen und anderen Mädchen wie ihr vorhanden ist, die vielleicht in anderen Gemeinschaften als Vermittlerinnen tätig sind und gleichzeitig einer normalen Arbeit nachgehen.“
(vatican news)
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