Droht ein Krieg um den Nil?
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Äthiopien hat vor kurzem die zweite Phase der Flutung seines Staudamms am Nil begonnen, der 2023 in Betrieb gehen soll. Der „Renaissance“-Staudamm ist seit 2011 im Bau – ein pharaonisches Projekt, direkt an den Wassern des sogenannten Blauen Nils. Doch Sudan und Ägypten fürchten, dass sie wegen des Damms künftig nicht mehr genug vom kostbaren Nilwasser abbekommen.
Auch der UNO-Sicherheitsrat hat sich schon zweimal mit diesem Konflikt beschäftigt, der jederzeit eskalieren könnte – bis hin zu einem Waffengang.
„Es ist nicht so, als hätte man’s nicht versucht...“
„Es ist nicht so, als hätte man’s nicht versucht – aber bisher gibt es keine Einigung. Noch nicht mal am Horizont.“ Das sagt uns Franck Galland, ein französischer Wissenschaftler und Experte für Sicherheitsfragen in Nordafrika. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er den Schwarzen Peter in diesem Spiel bei den Äthiopiern verortet.
„Leider ist eine Seite völlig unflexibel und tut so, als ob ihr Werk überhaupt kein Sicherheitsproblem aufwerfen würde. Natürlich ist dieser Staudamm ein wichtiger Faktor für Entwicklung – er sichert einem Land von 110 Millionen Einwohnern den größten Teil seiner Stromversorgung. Aber für Sudan und Ägypten stellt der Damm eindeutig ein schwerwiegendes Problem dar. 98% der Wasserversorgung Oberägyptens hängen nun mal vom Nil ab!“
Für Ägypten ist der Nil eine Frage der nationalen Sicherheit
Schon der ägyptische Assuan-Staudamm brauche einen geregelten Wasserzufluss, damit seine Turbinen ordentlich laufen, erklärt Galland. „Und davon abgesehen leben 95% der Ägypter auf einer Insel, und Ägypten ist mit einer demographischen Bombe mit Zeitzünder konfrontiert. Es braucht das Wasser einfach, vor allem für seine Lebensmittel. Man kann also schon verstehen, dass Ägypten diese Frage des Staudamms als eine Frage seiner nationalen Sicherheit behandelt.“
Die Regierungen in Kairo und Khartum verlangen von Äthiopien, bindende Verpflichtungen zum Betrieb und zum Stauvolumen der Talsperre einzugehen. Ägypten wedelt außerdem mit einem Vertrag aus der Kolonialzeit, der ihm den Löwenanteil des Nilwassers zugesprochen hat; Äthiopien wird in dem jahrzehntealten Dokument gar nicht erwähnt. Addis Abeba hingegen behauptet, der Wasserzufluss nach Ägypten und in den Sudan werde durch die Talsperre gar nicht beeinträchtigt.
Kann China vermitteln?
„Bisher sind alle Vermittlungsversuche gescheitert – aber eine hat man noch nicht ausprobiert. China nämlich. China ist in allen drei afrikanischen Ländern ein strategischer Akteur und hat sich aus dem Konflikt bisher rausgehalten. Dabei könnte es seinen Einfluss nutzen, um die Gemüter zu beruhigen. Und auch die Türkei hat sich zu einer Vermittlung bereit erklärt – das ist also eine interessante Phase.“
Immerhin: Die Tatsache, dass sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schon zweimal mit dem Nil-Dossier beschäftigt hat, macht dem französischen Forscher Hoffnung, dass es in der Region nicht zum Schlimmsten kommt, sondern doch eine diplomatische Lösung gefunden wird. Trotzdem ist die Sache brandgefährlich. Die ägyptische Führung droht offen damit, „das Recht des Landes aufs Überleben zu schützen“. Das ist nicht nur Säbelrasseln.
„Leider glaube ich nicht, dass das nur Worte sind. Je länger wir abwarten, desto höher das Risiko einer Eskalation. Äthiopien erlebt derzeit einen schweren inneren Konflikt; seine Führung könnte geneigt sein, die Bevölkerung durch ein strategisches Projekt hinter sich zu vereinen. Also, auf der einen wie auf der anderen Seite kann es zu Provokationen kommen.“
Der Informationskrieg habe längst eingesetzt, auf beiden Seiten, berichtet Galland: „ Und jeder weiß doch, wie schnell vergiftete Informationen bei den Menschen heftige Reaktionen auslösen können. Also, wir müssen wirklich sehr aufpassen: Da stehen sich starke politische, militärische und diplomatische Mächte feindlich gegenüber, nämlich Ägypten und Äthiopien – mit einem schwächeren Sudan als Scharnier dazwischen.“
Vorbild Senegal
Aber wie könnte eine Lösung in diesem Krieg ums Nilwasser aussehen? Der Franzose kennt da ein historisches Vorbild: Die Einigung, die die Anrainer des Senegal-Flusses im Jahr 1972 gefunden haben.
„Damals haben sich Senegal, Mauretanien, Guinea und Mali zusammengetan und beschlossen, gemeinsam die Infrastruktur zu finanzieren. Also haben wir da heute den Diama-Staudamm, der entscheidend ist für die Nahrungsmittelsicherheit von Nouakchott, der Hauptstadt von Mauretanien, und von Dakar, der Hauptstadt des Senegal. Da haben wir doch ein Beispiel für ein gelungenes Gemeinschaftswerk: mit einer untereinander abgesprochenen Verwaltung der Staudämme, mit einem Teilen der wissenschaftlichen und technischen Infos, gemeinsamen Leitungskomitees. Eine Lösung dieser Art sollte man suchen, statt einfach zu sagen: Ich bau da jetzt meinen Staudamm, wo ich will, und dabei ist mir ganz egal, was die anderen sagen… Das wird auf längere Sicht nicht funktionieren.“
Auch Papst Franziskus hat sich zur Nil-Frage schon geäußert. Im August vor einem Jahr mahnte er Ägypten, Äthiopien und den Sudan, „den Dialog fortzusetzen, damit der ewige Fluss die Geschwisterlichkeit nährt und nicht den Konflikt“.
(vatican news)
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