Naher Osten: „Westliche Stereotypen helfen uns nicht“
Es würde zu oft das Leiden der Christen auf übertriebene Art und die Theorie der systematischen Verfolgung durch die Muslime falsch dargestellt, heißt es in dem Dokument, das die vatikanische Nachrichtenagentur Fides vorstellt. Einige kirchliche Akteure würden auf die Strategie der „Allianz zwischen Minderheiten“ oder den Schutz autoritärer Regime als einzige Möglichkeiten aufzeigen, „um das Überleben der einheimischen christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten zu sichern“. Dies seien jedoch „irreführende Orientierungen“, die sich negativ auf die Zukunft der christlichen Präsenz im Nahen Osten auswirken und die eigentliche Mission verleugnen würden, so das Fazit des Dokument.
Langer und dichter Beitrag
Die Schrift trägt den „Christen im Nahen Osten: für eine Erneuerung der theologischen, sozialen und politischen Entscheidungen“. Der lange und dichte Beitrag, der sich in hundert Absätzen gliedere, stelle einen systematischen Versuch dar, die gegenwärtige Situation der christlichen Gemeinschaften im arabisch-nahöstlichen Kontext eingehend zu betrachten, berichtet Fides. Diese Initiative sei in der jüngeren Geschichte der theologischen und pastoralen Reflexion über die Gegenwart und Zukunft der Christen im Nahen Osten einmalig. Das Dokument wurde im Rahmen einer offiziellen Präsentation im Konferenzsaal der Kirche St. Elias in Antelias (Libanon) vorgestellt und sei das Ergebnis einer langwierigen Arbeit eines ökumenischen Teams aus Fachleuten für Theologie, Sozialstudien und geopolitische Fragen. Es seien „Männern und Frauen, ordinierten Amtsträgern und Laien, die sich offen und frei miteinander auseinandersetzen wollten, auch über Themen, die manche als nicht geeignet für eine öffentliche Debatte ansehen“, hebt Fides hervor. Zu dem Team gehören Professor Souraya Bechealany, ehemaliger Generalsekretär des Rates der Kirchen des Nahen Ostens, und der maronitische Priester Rouphael Zgheib, nationaler Direktor der Päpstlichen Missionsgesellschaften im Libanon.
In vielen Passagen in dem Dokument werde von den Stereotypen berichtet, die die vorherrschende Darstellung in den westlichen Medien über die christlichen Gemeinschaften des Nahen Ostens prägen und verschleiern würden. Es sei also falsch, stets von bedrängten „Minderheiten“ zu sprechen, „die des externen Schutzes bedürfen, sei es in finanzieller oder geopolitischer Hinsicht“.
Enorme Notlagen und Provokationen
Die Christen im Nahen Osten - so erkennen die Verfasser des Dokuments an - seien mit enormen Notlagen und Provokationen konfrontiert, „die uns vor Entscheidungen stellen, von denen unsere Existenz und unsere zukünftige Präsenz abhängen“. Die „allmähliche Schwächung unserer Präsenz und unseres Zeugnisses“ mache es aber „zwingend erforderlich, eine gründliche Prüfung unserer Situation vorzunehmen, die sich auf eine ruhige kritische Lektüre stützt“. In den geopolitischen Verwerfungen im Nahen Osten, die in dem Dokument mit einer Fülle von klaren historischen Bezügen zu den Zeiten der arabischen „Renaissance“ und des „islamischen Wiedererwachens“ analysiert werden, werde darauf hingewiesen, dass die heimtückischste Gefahr für die derzeitigen christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten der „reduktionistische Ansatz ist, der ausschließlich auf der Logik von Mehrheit und Minderheit beruht“.
Das ausführliche Dokument beschreibt realistisch die Folgen von Sektierertum und religiösem Fanatismus als verheerende Faktoren für jedes Projekt der „Koexistenz zwischen verschiedenen Völkern“, das die „pluralistische Matrix“ der Geschichte der Völker und Zivilisationen des Nahen Ostens wiederentdeckt. Es wird anerkannt, dass die christlichen Gemeinschaften in den Ländern der Region in Gesellschaften leben, die „vom Islam durchdrungen“ seien und in denen „der Islam zu einem wesentlichen Faktor“ geworden sei, auch was die Verkündigung des Evangeliums betreffe. Es wird betont, dass die Auswanderung von Christen, die in den letzten Jahrzehnten zugenommen habe, nicht ausschließlich als direkte Auswirkung des Aufkommens gewalttätiger islamistischer Bewegungen interpretiert werden könne, während viele Faktoren der „inneren Schwäche“, die den christlichen Geist von Institutionen und kirchlichen Realitäten belasten, ebenfalls aufgezeigt werden. Unter anderem wird festgestellt, dass „die vom religiösen Establishment verwendete Sprache in vielen Fällen noch weit von der täglichen Realität, den Leiden und Ängsten der Christen vor Ort entfernt ist“ und allmählich ihre Anziehungskraft auf die jüngeren Generationen verliert, unter denen eine wachsende Tendenz zum Indifferentismus und sogar zum Atheismus zu beobachten ist, die noch nicht wahrgenommen wurde.
(fides – mg)
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