Nigeria: Mehr als 200 Terroropfer in einer Woche
Christine Seuss und Michele Raviart - Vatikanstadt
In Nigeria wurden in der vergangenen Woche bei mehreren Angriffen von Bewaffneten im nordwestnigerianischen Bundesstaat Zamfara mindestens 200 Menschen getötet. Hunderte von bewaffneten Männern auf Motorrädern griffen zehn Dörfer in den Bezirken Anka und Bukkayum an; Zivilisten wurden ohne Zögern kaltblütig erschossen. Bei den Gräueltaten könnte es sich um eine Reaktion auf die Razzien der Armee handeln, bei denen am vergangenen Montag mehr als 100 Kämpfer, im Regierungsjargon gemeinhin „Banditen“, getötet wurden.
30 Schüler und ein Lehrer befreit
Der nigerianische Präsident Muhammadu Buhari hatte die Anschläge umgehend verurteilt und den Willen der Regierung bekräftigt, die Urheber der Verbrechen aus dem Verkehr zu ziehen. Unterdessen wurde auch bekannt, dass 30 Schüler und ein Lehrer, die im Bundesstaat Kebbi entführt worden waren, nach sieben Monaten Gefangenschaft wieder freigelassen wurden.
Allein im vergangenen Jahr wurden landesweit 1.400 Minderjährige entführt; etwa 200 werden nach wie vor vermisst. Eine schwierige Situation, die Christen und Muslime gleichermaßen betrifft. Angesichts dieser Zahlen kann sich der emeritierte Erzbischof von Abuja, Kardinal John Olorunfemi Onayekan, über die jüngste Freilassung von Geiseln nur eingeschränkt freuen, wie er im Interview mit Radio Vatikan darlegt:
„Ich sehe das nicht als ,gute Nachricht‘, denn es ist nach wie vor inakzeptabel, dass die Banditen Hunderte von Kindern und ihre Lehrer in den Wäldern festhalten und dass die Polizei, die Sicherheitsdienste und die nigerianische Armee nicht in der Lage sind, sie aufzuspüren", so der Kardinal resigniert.
Darüber hinaus würden diejenigen, die freikämen, gar nicht aus freien Stücken freigelassen, sondern nur deshalb, weil ein Lösegeld für sie bezahlt wurde, klagt der emeritierte Erzbischof, der selbst mit vielen Fällen von entführten Kirchenmitarbeitern zu tun hatte. Offiziell zahlt die Kirche jedoch kein Lösegeld für Entführte, immer wieder gibt es auch Tote zu beklagen. Nigeria gilt als eines der gefährlichsten Länder für Priester. Kardinal Onayekan:
„Es gibt immer noch viele Entführungsopfer, deren Eltern und Verwandte keine Möglichkeit haben, die geforderte Summe zu zahlen. In der gegenwärtigen Situation spielt es keine Rolle, wer Präsident ist, wenn sich diese Situation nicht ändert, ist alles nutzlos.“
Viele Konfliktherde
Der aktuelle Präsident Nigerias, Muhammadu Buhari, ist seit 2015 an der Macht. Kritiker werfen ihm eine zu laxe Reaktion auf die terroristischen Akte vor, mit denen das Land seit Jahren überzogen wird. Allerdings hat Nigeria mit vielen komplexen Sicherheitsproblemen zu tun. Neben dem Dschihadismus – man denke nur an die Terrorgruppe Boko Haram – und dem Banditentum, das für viele teils auch blutige Entführungen und Repressalien verantwortlich zeichnet, kommt es auch immer wieder zu tödlichen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Volksgruppen, die jeweils als Farmer oder als Hirten tätig sind. Der Präsident gehört selbst der Volksgruppe der Fulani, oder Fulbe, an, die von der Tradition her (muslimische) nomadisierende Hirten sind. Religion will der emeritierte Erzbischof von Abuja bei den tödlichen Angriffen, denen erst vor Kurzem hunderte von Menschen zum Opfer gefallen sind, jedoch nicht ins Spiel gebracht sehen.
„Es ist die Bösartigkeit der Terroristen, die beschließen, Menschen ohne jede Rechtfertigung zu töten, und man kann sicher nicht sagen, dass sie die islamische Religion in Nigeria vertreten. Wir alle trauern um diese Opfer.“ Zwar spreche die Regierung von „Banditen“, doch für ihn seien die Menschen, die in den vergangenen Jahren vor allem im Süden und Nordwesten immensen Schaden angerichtet hätten und für eine Destabilisierung des Landes gesorgt haben, nur „Terroristen“, betont der Kardinal.
„Sie greifen die Felder der Farmer an, töten die Farmer, und niemand sagt etwas. Dann begannen sie mit Entführungen. Die Regierung sagt, sie könne nicht genau feststellen, wo sich diese Banditen aufhalten und wohin sie ihre Opfer bringen: Einige aus Schulen entführte Kinder werden seit mehr als einem Jahr vermisst, einige Mädchen seit sieben Jahren!“
Christen wie Muslime betroffen
Insgesamt haben die Menschen in Nigeria mit einer sehr komplexen Situation zu tun, doch hierbei, und das ist dem Kardinal wichtig zu unterstreichen, handele es sich keineswegs um die Verfolgung von Christen durch Muslime, wie von manchen Beobachtern dargestellt. Vielmehr seien alle gleichermaßen betroffen.
„Für mich besteht die einzige Möglichkeit, diese Situation zu überwinden, darin, eine Regierung zu finden, die uns hilft, unsere Einheit und das nationale Zusammenleben wiederherzustellen. Natürlich brauchen wir auch das Gebet. Ich bete für alle meine katholischen und christlichen Glaubensbrüder, und ich bete auch für alle meine muslimischen Mitbürger, die seit Jahren in der Hand von Terroristen sind. Je schneller wir ein stabiles Land für alle schaffen, desto besser wird die Situation auch für uns Christen sein.“
(vatican news)
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