Jerusalem: „Wir sind optimistisch, aber nicht euphorisch“
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Markus Bugnyar: Als die Pandemie angefangen hat, haben wir in Jerusalem genauso wie irgendwo anders in der Welt gehofft, dass das eine Episode bleiben wird. Je länger es gedauert hat, dann schon im ersten Sommer, desto mehr ist uns klar geworden: Wir stehen mit unserem Pilger-Gästehaus an der Via Dolorosa wirklich vor einer großen Herausforderung, vor einem massiven Problem. Über Nacht sind natürlich die Reservierungen weggebrochen, der Flughafen wurde geschlossen, das Haus stand leer. Das war für uns eine sehr, sehr große Herausforderung.
Eben auch existenziell. Denn das Hospiz lebt von den Einnahmen der Pilger, die im Haus übernachten. Was haben Sie sich einfallen lassen?
Markus Bugnyar: Wir haben in den ersten Wochen versucht, unseren Freundeskreis in Österreich und in Deutschland zu aktivieren und zu mobilisieren. Und dann sind es unterm Strich zwei Jahre geworden, in denen wir ausschließlich auf die Unterstützung und auf die Spenden unseres Freundeskreises angewiesen waren. Wir haben wöchentlich unseren Freundeskreis informiert, unsere Situation geschildert, erklärt, in welcher Lage wir sind, warum wir auf Spenden angewiesen sind, wofür wir diese Spendengelder brauchen.
Sie haben ja auch viele Mitarbeitende in Ihrem Haus, die alle bezahlt werden wollten.
Markus Bugnyar: Ein großer Teil unserer Mitarbeiter ist - genauso wie in Europa – unter die Kurzarbeit- Regelungen gefallen von Seiten der israelischen Regierung. Für die war in gewisser Weise gesorgt. Es hat allerdings Mitarbeiter gegeben, für die eben keine dieser Regelungen in Betracht kam. Entweder weil sie noch nicht lange genug im Betrieb waren, weil sie selber zu jung sind, oder aber keine israelischen Staatsbürger sind, sondern aus den Westbank-Gebieten kommen. Mein erstes Anliegen war, dafür zu sorgen, dass diese Mitarbeiter, die genauso ihren Alltag bestreiten können müssen, die ja auch Familie haben, die ja auch Kinder haben, dass diesen Mitarbeitern genauso beigestanden wird wie allen anderen auch.
Und das ist geglückt?
Markus Bugnyar: Das ist sehr gut gelungen. Dafür bin ich unendlich dankbar. Wir haben dann gemerkt: Okay, es braucht mehr. Je länger die Pandemie gedauert hat, desto klarer wurde, dass wir auch Spenden für die laufenden Betriebskosten dieses Hauses brauchen. Das Hospiz ist groß und alt, Teile davon sind renovierungsbedürftig. Ein Wasserrohrbruch fragt mich nicht, ob das Haus gerade voll ist oder nicht... Oft genug bin ich abends durchs Haus gegangen und habe alle Notlichter ausgeschaltet, um Strom zu sparen. Wir haben mit ganz kleiner Besatzung die Stellung gehalten, das Haus versucht in Schuss zu halten und wöchentlich unseren Freundeskreis zu informieren und um Spenden zu bitten. Diese Zeit war sehr, sehr lehrreich für mich. Wenn jemand spendet, dann gibt es ja für mich die Verpflichtung, auch Danke zu sagen, und zwar möglichst zeitnah. Auch deshalb, weil die Pandemie uns gezeigt hat: Wir waren noch nie in diesem Ausmaß auf unseren Freundeskreis angewiesen und auf die Mitarbeit unserer Freiwilligen im Haus.
Täglich Reservierungen wie Stornierungen
Seit Ostern 2022 hat sich die Lage entspannt. Wie sieht es in diesem Jahr aus für das Hospiz?
Markus Bugnyar: Ostern war ein erster Höhepunkt. Wir sehen jetzt im zweiten Quartal, dass sich die Besucherzahlen in gewisser Weise stabilisieren. Ich sehe allerdings auch, dass das Ganze noch sehr, sehr verhalten wahrgenommen wird. Wir bekommen jeden Tag neue Reservierungsanfragen. Wir bekommen aber auch jeden Tag neue Stornierungen. Also wir sind optimistisch, aber wir sind nicht euphorisch.
Themenwechsel: Wir haben seit mehr als zwei Monaten einen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Auch bei uns war die Rede davon, dass von diesen geflüchteten Menschen aus der Ukraine überraschend viele auch nach Israel kommen. Wie geht Israel mit diesen Menschen um?
Markus Bugnyar: Natürlich lassen sich die Zahlen nicht vergleichen, aber ich glaube, die Herzlichkeit und die Aufnahmebereitschaft ist sehr wohl auch vergleichbar. Der Ukraine Krieg hat auch in Israel viele Menschen überrascht und schockiert. Ich habe es selber einmal gesehen, dass man am Flughafen in Tel Aviv ein Auffanglager eingerichtet hat, um die ersten Menschen willkommen zu heißen. Es sind auch Waisenhäuser, ich glaube zwei Waisenhäuser von Israelis evakuiert worden, und man hat die Kinder und Jugendlichen nach Israel gebracht - natürlich unter dem Vorzeichen, dass es hoffentlich eine vorübergehende Phase sein wird und diese Menschen früher oder später wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Israel hat natürlich insgesamt eine sehr, sehr starke Tradition, wenn es darum geht, Menschen aufzunehmen, wenn sie selbst jüdischer Herkunft sind. Das heißt, bei den Flüchtlingen, die aus der Ukraine nach Israel kommen, gilt es zu unterscheiden: Haben wir es hier mit Menschen aus der jüdischen Gemeinschaft in der Ukraine zu tun, oder sind es Ukrainer, die vor dem Krieg flüchten und in Israel ein sicheres Land sehen, in dem sie aufgenommen werden? Israel ist in der aktuellen Phase sehr, sehr hilfsbereit, so wie ich es wahrnehme.
Der russische Präsident Putin hat seinen Angriffskrieg auf die Ukraine unter anderem damit gerechtfertigt, er habe dort die Mission, das Land zu “entnazifizieren”. Wie kommt eine solche Rede in Israel an?
Markus Bugnyar: In Israel kann das kaum irgendjemand nachvollziehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es in der Ukraine eine sehr, sehr große jüdische Gemeinde vor dem Krieg gegeben hat und dass die Ukraine auch ein beliebtes Reise- und Pilgerziel von ultraorthodoxen Juden aus Israel gewesen ist. Der Besucherstrom, der Tourismus zwischen den beiden Ländern war schon so ausgeprägt, dass man nicht behaupten kann, irgendjemand in Israel hätte sich ernsthaft mit der Frage beschäftigt, ob in Kiew ein Naziregime an der Macht wäre. Das wäre ja gerade auch im Hinblick auf die Familiengeschichte des Präsidenten vollkommener Irrsinn gewesen, das anzunehmen.
Herr Bugnyar, Sie sind seit 18 Jahren in Jerusalem: eine heilige Stadt, gleichzeitig eine extrem komplizierte Stadt. Was überwiegt denn für Sie derzeit, heilig oder kompliziert?
Markus Bugnyar: Wir kommen gerade von den hohen Feiertagen und sind in der Osterzeit. In solchen Phasen überwiegt natürlich fraglos die Heiligkeit dieser Stadt, und ich habe sie dieses Jahr nochmal neu erleben dürfen. Die Pandemie hat auch den Vorteil, dass man plötzlich mehr Zeit für sich selber hat und weniger Termine; dass man weniger reisen muss, um Vorträge zu halten. Das war auch durchaus eine sehr schöne Erfahrung, wo ich plötzlich wieder für mich Zeit hatte, nicht nur zu lesen und mehr zu beten, sondern tatsächlich auch die Stadt neu zu entdecken. Wenn man in der Zeit der Pandemie durch Jerusalem gegangen ist, traf man eben nur Einheimische, nur Menschen, die da wohnen. Und nach ein paar Monaten sind die Einheimischen gar nicht mehr davon ausgegangen, dass Ausländer da sind, sondern es war dann plötzlich ganz normal, dass man auf Hebräisch und Arabisch angesprochen wurde, weil einfach sonst niemand mehr da war. Und ab einem gewissen Moment wusste einfach jeder, der noch da war, unter Anführungszeichen, dass er dazugehört, dass er zu dieser Community gehört, dass er in gewisser Weise ein Einheimischer ist. Und dann hatten wir, die Einheimischen, tatsächlich mal die heiligen Stätten eine Zeit lang nur für uns selber. Und das waren sehr, sehr schöne Momente.
Nun lebt allerdings nicht nur ein Pilgerhaus davon, dass Pilger zu Besuch kommen, sondern auch die heiligen Stätten wollen besucht werden. Denn die Orte für sich alleine sind ja nicht selbstgenügsam, sondern sie wollen ja, dass Menschen sich an ihnen versammeln, um aus ihrer Präsenz, aus ihrer Aura Kraft zu schöpfen. Deswegen ist es auch gut so, dass das eine Phase war, die vorüber gegangen ist, wo wir uns selbst noch mal neu der Heiligkeit der Stadt vergewissern konnten für unser eigenes Leben, für unsere eigene Spiritualität. Aber jetzt ist auch gut. Und jetzt wird es Zeit, dass die Pilger zurückkommen.
(vatican news - gs)
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