Elfenbeinküste: Streit um Gesetzentwurf zur Polygamie
„Als Menschenrechtsaktivist ist man schockiert, wenn man einen solchen Vorschlag aus dem Munde eines gewählten Vertreters der Nation hört.“ Das sagt Boga Sako Gervais, Vorsitzender der ivorischen Stiftung für Menschenrechte und politisches Leben und Dozent an der Universität Bouaké, im Gespräch mit Radio Vatikan.
„Sie müssen wissen, dass es in der Elfenbeinküste vor der Unabhängigkeit zunächst einmal die traditionelle Polygamie gab – mit all dem Leid, das sie in Wahrheit mit sich bringt. Ich meine Leiden psychologischer, moralischer und manchmal sogar physischer Natur, vor allem für die Frau, aber auch für die Kinder. Das war also die Praxis in unserem Land, bis wir im August 1960 unabhängig wurden.“
1964 verabschiedete das erste ivorische Parlament ein Zivilgesetzbuch, in dem die Polygamie verboten und die Monogamie eingeführt wurde.
„Der Trend hat seitdem klar gezeigt, dass das Verbot der Polygamie einer Gesellschaft guttut! Die Ivorer haben dadurch angefangen, eine gewisse Modernität zu leben. Dank der Monogamie bildeten sich stabile Paare und Haushalte; die Erbfolge der Kinder wurde ordentlich geklärt. Vorher hatte es in diesem Bereich rechtliche Probleme gegeben, das konnte alles geordnet werden.“
Abgeordneter will mit der „Heuchelei“ aufräumen
Es ist der Abgeordnete von Koumassi, Yacouba Sangaré, der Ende Juni den Gesetzentwurf über eine „optionale Polygamie“ eingebracht hat. Der Volksvertreter gehört zur RHDP, also zur Mehrheitsfraktion im Parlament. Er will „das Tabu der Polygamie brechen“: De facto gebe es nämlich längst die Vielehe in weiten Teilen des Landes, auch wenn sie theoretisch mit einer Haftstrafe geahndet werden kann. Sangaré fordert, die „Heuchelei“ zu beenden und es Männern, die dies wünschen, freizustellen, mehrere Ehefrauen zu haben.
„Natürlich müssen wir ehrlich zu uns selbst sein“, versetzt der Menschenrechtler Boga Sako Gervais darauf: „Auch wenn wir sehen, dass ein Mann mehrere Frauen hat – das ist lasterhaft, und wir lehnen es ab, Laster zu legalisieren. Wie können wir denn etwas gesetzlich erlauben, was der normalen Praxis widerspricht? Es geht darum, dass wir in einer modernen Welt leben, und in der modernen Welt gibt es Prinzipien, die allgemein anerkannt sind – zum Beispiel die Menschenrechte.“
Boga Sako Gervais argumentiert vor allem mit der Würde der Frauen. „Die Rechte der Frauen sind neue Werte, an die sich unsere traditionellen Gesellschaften und Kulturen anpassen müssen. Die Elfenbeinküste ist in dieser Hinsicht nicht auf dem Laufenden, während sich die Welt weiterentwickelt, und in dieser weiterentwickelten Welt haben der Mann als Mann und die Frau als Frau die gleichen Rechte. Wenn dieses Gesetz jemals verabschiedet und zugelassen werden sollte, würde es eine eklatante Verletzung der Rechte der Frau darstellen – nicht nur der Rechte, sondern auch der Würde der Frau.“
Doch auch der Abgeordnete aus Koumassi stützt sich bei seinem Ruf nach einer Legalisierung der Polygamie auf die Rechte von Frauen. Wer schütze denn heute Frauen, die de facto in einer polygamen Beziehungen lebten? Wenn die Beziehung auseinandergehe, stünden diese Frauen ohne rechtliche Anerkennung, ohne jeden Schutz da. Boga Sako Gervais, der Menschenrechtler, nimmt dem Volksvertreter Yacouba Sangaré dessen Sorge um die Rechte der Frauen nicht ab.
„Seit 1964 ist das System der Monogamie vorgeschrieben: Wird dieses Gesetz heute in der Elfenbeinküste eingehalten? Das ist die entscheidende Frage. Ich denke, das sollte die Sorge unserer Abgeordneten sein! Es mangelt nicht an gesetzlichen Regelungen, es mangelt nicht an Gesetzen – aber sie werden nicht angewendet und von denen, die uns regieren, nicht durchgesetzt! Das ist ein Systemversagen! Wir sehen, dass man bestimmten Leuten außereheliche Affären durchgehen lässt – da sagt kein Abgeordneter was, dabei weiß die ganze Welt Bescheid…“
Polygamie war in Afrika schon vor dem Einsetzen der Islamisierung tief verwurzelt. In vielen Ländern des Kontinents spielt sie weiter eine wichtige Rolle; im Senegal zum Beispiel soll ein Drittel aller verheirateten Frauen in einer Vielehe leben. Menschenrechtler sprechen von moderner Sklaverei, doch gibt es durchaus auch Verteidiger(innen) der Vielehe. Am verbreitetsten weltweit ist Polygamie in Westafrika; anders als in Elfenbeinküste ist sie in den meisten westafrikanischen Staaten legal.
(vatican news – sk)
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