Tunesien: Der plötzliche Rassismus
Myriam Sandouno und Stefan von Kempis - Vatikanstadt
Ausgelöst wurde dieser plötzliche Rassismus durch einen scharfen Kommentar von Präsident Kais Saied. Der Staatschef, der zunehmend erratischer und autokratischer agiert, hatte sich am 21. Februar gegen die illegale Einwanderung gewandt. Die Anwesenheit dieser „Horden“ auf tunesischem Boden führe zu „Gewalt und Verbrechen“; diese Afrikaner seien Teil eines „kriminellen Unternehmens“, das darauf abziele, die „demografische Zusammensetzung“ des Landes zu „verändern“.
Was folgte, war eine „Jagd auf Schwarze“; und vielen afrikanischen Migranten wurde gekündigt, sie fanden sich auf der Straße wieder. Es passierte aber auch Studierenden – darunter solchen, die über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügen. Viele Studenten kehren deshalb nun, wie andere Afrikaner aus Ländern südlich der Sahara, in ihre Heimatländer zurück. Am 1. März organisierte Guinea einen ersten Flug zur Rückführung seiner Staatsangehörigen, gefolgt von Mali und der Elfenbeinküste, die seit dem 4. März nach eigenen Angaben insgesamt 725 Personen aufgenommen hat.
„Jagd auf Schwarze“
„Überall im Land kam es zu Übergriffen, Vertreibungen, rassistischen und diskriminierenden Handlungen, zum Verbot, in öffentliche Verkehrsmittel einzusteigen, und zum Verbot, sich auf Bänke an Bushaltestellen zu setzen.“ Das sagt Jean Bedel Gnably, Vorsitzender des Verbands der in Tunesien tätigen Ivorer, Radio Vatikan im Interview.
„Unsere Gemeinschaft hat Angst und schottet sich teilweise ab. Die Leute haben tagelang aus Angst ihre Häuser nicht verlassen. In der Stadt Sfax wurde unsere Gemeinde in einem Stadtteil von mehreren Tunesiern angegriffen. Es gab mehrere Verletzte, drei Schwerverletzte. Es bedurfte der Intervention einiger Nichtregierungsorganisationen, damit diese Verletzten in Krankenhäusern behandelt werden konnten. Andere hatten Angst, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten, da sie sich sagten, dass man sie dort vielleicht festnehmen würde.“
Am Mittwoch vergangener Woche wurden 64 burkinische Staatsangehörige aus Tunesien zurückgeführt. Weitere Gruppen werden möglicherweise in den nächsten Tagen in ihr Land zurückkehren, wie die burkinischen Behörden erklären. Jean Bedel Gnably kritisiert in unserem Interview das Verhalten der tunesischen Behörden.
„Es gab weder Erklärungen noch starke Unterstützungsmaßnahmen, die sich zum Beispiel in medizinischer Versorgung oder der Rückgabe von Eigentum niedergeschlagen hätten. Der tunesische Staat hat bisher nicht reagiert. Jedes Mal, wenn es zu solchen Handlungen kommt, wird aber die Polizei gerufen, und die greift dann vor Ort ein.“
Man werfe den Afrikanern aus Ländern südlich der Sahara vor, illegal nach Tunesien gekommen zu sein, und nenne sie „Invasoren“. Man verdächtige sie, den Reichtum im Land abschöpfen zu wollen und Tunesiern die Arbeitsplätze wegzunehmen. Der plötzliche Hass auf die Afrikaner mag damit zu tun haben, dass Tunesien seit Jahren von einer schweren sozialen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt politischen Krise gebeutelt wird – da ist der Ärger über Ausländer ein naheliegendes Ventil.
Derzeit scheint sich die Lage etwas beruhigt zu haben
Jean Bedel Gnably ist seit 2017 in Tunesien und sagt, er habe diese Krise kommen sehen.
„Abgesehen von den Aggressionen werden immer mehr Menschen aus ihren Häusern vertrieben, da die meisten Schwarzen und Subsahara-Afrikaner, die in Tunesien leben, keinen richtigen Mietvertrag mit ihren Vermietern abgeschlossen haben. Diese Leute werden daher von ihren Vermietern einfach vor die Tür gesetzt. Das ist auch vielen Ivorern so gegangen; die Elfenbeinküste hat innerhalb einer Woche vier Rückführungsflüge durchgeführt. Es ist unklar, wie es jetzt weitergeht. Für den Moment scheint sich die Lage etwas zu beruhigen…“
(vatican news)
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