Suche

Erzbischof Jacques Mourad von Homs Erzbischof Jacques Mourad von Homs  

Wie es ist, wenn man das Martyrium streift

Der Vatikan erstellt zum Heiligen Jahr 2025 eine Liste christlicher Märtyrer der Jetzt-Zeit. Einer, der das Martyrium streifte, aber seinen Peinigern entkam, ist der syrische Erzbischof Jacques Mourad. Ihn hielten Islamisten 2015 für mehrere Monate in ihrer Gewalt. Er habe jeden Tag für sie gebetet, erinnert sich Mourad in unserem Interview.

Jean-Charles Putzolu und Gudrun Sailer - Vatikanstadt

„Bekehre dich zum Islam, oder wir schlagen dir den Kopf ab“, sagten die Entführer. Diese Drohung führte den Mönch und Priester auf radikale Weise zurück zu seinem Weiheversprechen. „Ich stand genau vor dieser Entscheidung: Entweder ich trage weiterhin das Kreuz bis zum Tod mit Christus für die Liebe zur Kirche und für das Heil der Welt - oder ich verzichte und gebe auch meine Berufung auf."

Eine klare Entscheidung

Pater Mourad entschied sich für das Kreuz. „Aber nicht nur, um das Kreuz zu tragen, sondern auch, um an meine Entführer zu denken", so der Erzbischof. „Das Geschenk, das ich während dieser Erfahrung erhalten habe, ist, diese Menschen, diese Dschihadisten, in einem Geist des Gebets zu betrachten und Gott zu bitten, ihre Herzen zu erleuchten und sie zu bekehren. Nicht für mich, sondern für ihre Erlösung und für den Frieden in unserer Welt".

„Die Angst verschwand und verwandelte sich in Mut“

Mourad erinnert sich aber auch daran, was diese Entscheidung in ihm selbst auslöste: Das erneuerte Vertrauen zu Gott „hat mich von allen Ängsten befreit. Wenn man dem Tod gegenübersteht, gibt es ein gewisses Gefühl der Angst, das die Seele durchdringt. Jedes Mal, wenn ich diese Angst hatte, betete ich den Rosenkranz, die Angst verschwand und verwandelte sich in Mut.“

„Betrachten Sie diese Zeit als eine Zeit des Rückzugs“

„Heute betrachte ich diese Erfahrung als eine Gnade“, so der Erzbischof weiter. „Eine Gnade, die am achten Tag, kurz vor Sonnenuntergang, begann.“ Am Ende seiner ersten Woche als Geisel besuchte ihn der damalige Machthaber von Raqqa. Er habe nicht gewusst, erzählt Mourad, dass er den Anführer des sogenannten Islamischen Staates in Syrien vor sich hatte. „Als ich ihn fragte: ,Warum sind wir Gefangene? Was haben wir falsch gemacht, dass wir Gefangene sind?´, antwortete der Islamistenführer: Betrachten Sie diese Zeit als eine Zeit des Rückzugs."

Hier zum Hören:

„Seine Antwort hat den Rest meines Lebens verändert", sagte der Erzbischof. Eine solche Antwort hätte er niemals von einem Terroristen erwartet, „einem Feind. Auch wenn es für einen Nachfolger Christi keinen Feind gibt. Und wenn es doch einen geben sollte, wird man aufgefordert, ihn zu lieben". Also begann er sich in seiner Gefangenschaft eine Frage zu stellen, fährt Mourad fort: „Wie kann man einen Feind lieben, der einen töten will und den man selbst töten möchte? Das ist das Geheimnis der Liebe Christi, das sich so klar offenbart hat, als er am Kreuz zu seinem Vater sagte: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Das Kloster Mar Elian in Syrien
Das Kloster Mar Elian in Syrien

„Wenn du Frieden willst, musst du zuerst dein Herz öffnen“

Im fünften Monat seiner Haft gelang dem Mönch die Flucht mit Hilfe eines jungen Muslims, der zusammen mit 15 anderen die Flucht von Dutzenden von Geiseln organisierte. Mourad ist zu der inneren Gewissheit gelangt: „Gott wollte mich in dieser Welt retten, damit ich weiterhin dienen und einen wichtigen Grundsatz des Evangeliums bezeugen kann: Wenn du Frieden willst, musst du zuerst dein Herz öffnen".

Das Martyrium des Jesuiten Frans Van der Lugt

Ein Jahr vor Mourads Entführung wurde der betagte niederländische Jesuit Frans Van der Lugt ebenfalls in Homs im Garten seines Klosters ermordet. 2015 wusste Jacques Mourad also, worauf er mit seinen dschihadistischen Kerkermeistern zuging. „Pater Frans war für mich und für alle Menschen in Syrien das beste Beispiel für die Treue zu seinem Meister, Jesus Christus. Er widmete sein Leben der Liebe zu Syrien und dem syrischen Volk. Sein Beispiel ist das des fleischgewordenen Christus, der die Botschaft der Liebe des Vaters zu allen bringt, und die wahre Erlösung kann nur durch Liebe und Selbsthingabe geschehen."

Seit 10 Jahren verschwunden: Paolo Dall'Oglio 

Noch davor, im Juli 2013, war zudem in Syrien der italienische Jesuit Paolo Dall'Oglio entführt worden, von dem bis heute jede Spur fehlt. Mit ihm hatte Pater Mourad fast dreißig Jahre seines Lebens geteilt. Gemeinsam hatten der syrische und der italienische Pater in Syrien das Kloster Mar Moussa wieder hergerichtet. Sie kannten einander seit 1986: „Ich habe Pater Paolo so gut kennengelernt, wie ich mich selbst kenne, und ich habe ihn so geliebt, wie ich mich selbst liebe. Für mich ist er ein lebender Märtyrer. Ob er nun tot ist oder noch lebt“, so Mourad in unserem Interview. „Denn ein Märtyrer ist jemand, der immer im Gedächtnis der Kirche, im Herzen der Kirche und des Volkes Gottes weiterlebt."

„Ein Märtyrer ist jemand, der immer im Gedächtnis der Kirche, im Herzen der Kirche und des Volkes Gottes weiterlebt“

Pater Paolo habe das Leben vieler Menschen geformt, weil er ihnen in allem half, so der Mitbruder. „Die Menschen kamen von überall her, um ihn zu treffen, man könnte eine Enzyklopädie zusammenstellen aus den Botschaften und Briefen, die er erhielt oder schickte. Er war immer für alle da, für den Kleinsten wie für den Größten, für den Unwissenden wie für den Gelehrten, für den Gläubigen wie für jeden anderen Menschen.“

Pater Paolo Dall’Oglio vor seinem Verschwinden - Archivbild
Pater Paolo Dall’Oglio vor seinem Verschwinden - Archivbild

Das Gebet

„Ich kann bezeugen, dass das Gebet das Einzige ist, was meiner Gefangenschaft, meinem täglichen Leben einen Sinn gegeben hat", hält Erzbischof Mourad fest. Der Mensch sei schließlich „geschaffen, um frei zu denken, frei zu sprechen, sich frei zu bewegen". Einen Menschen zum Gefangenen zu machen, sei „ein Akt gegen den Willen Gottes in seiner Schöpfung". In einer solchen Lage sei das Einzige, was hilft, um die Freiheit zu leben, das Gebet, „denn das Gebet macht es möglich, aus sich selbst herauszugehen, um bei Gott zu sein und um mit dem zu leben, den man liebt". Er habe da, schließt Erzbischof Mourad, ein Paradox erlebt: Seine Zeit in Gefangenschaft sei „die großzügigste Zeit in meinem spirituellen Leben, in meiner Beziehung zu Gott und zur Jungfrau Maria" gewesen.

Jacques Mourad, geboren vor 54 Jahren in Aleppo, legte 1993 seine Gelübde in der syrischen Mönchsgemeinschaft Deir Mar Mussa Al-Abashi ab, deren Mitbegründer er ist. Im selben Jahr empfing er die Priesterweihe. 2000 bis 2015 leitete er das Kloster Mar Elian. Nach der Zeit seiner Entführung hielt er sich in den Filialklöstern von Cori (Italien) und Sulaymanyah (Irak) auf. 2020 kehrte er in sein Kloster Mar Elian in Syrien zurück und wurde dort Prior der Gemeinschaft. Im Januar 2023 bestätigte Papst Franziskus die Wahl Jacqes Mourads zum Erzbischof von Homs durch die Bischofssynode der Patriarchatskirche von Antiochien.

(vatican news – gs)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

15. August 2023, 09:04