Französische Juristin: Abschotten löst illegale Einwanderung nicht
Xavier Sartre und Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt
Seine erste Reise als Papst hat Franziskus 2013 auf die italienische Insel Lampedusa vor Sizilien geführt, auf der damals - so wie aktuell- zahlreiche Bootsmigranten ankamen. Damals - wie heute - ruft das katholische Kirchenoberhaupt Europa angesichts der Lage zu Solidarität auf. Jüngst etwa beim Mittelmeertreffen in Marseille. Auch auf dem Rückflug von dort nach Rom bei der „Fliegenden Pressekonferenz" bekräftigte der Papst seine Aufforderung und prangerte Ausbeutung und Menschenhandel an. Italien hat unterdessen neue Maßnahmen angekündigt, um die illegale Ankunft von Migranten an der Küste einzudämmen: Die Regierung von Giorgia Meloni will mehr Auffanglager einrichten und die Haftdauer für abgelehnte Asylbewerber verlängern und eine Kaution von ihnen verlangen. Die EU-Kommission schlägt zur Entlastung Italiens vor, den Transfer von Migranten in andere europäische Länder zu fördern und die Rückführung in die Herkunftsländer zu erhöhen. So wird weiterhin hauptsächlich auf Abschottung und eine harte Linie gesetzt. Die Juristin Delphine Perrin, die in Marseille beim französischen Institut für Forschung und Entwicklung „IRD" arbeitet, hält davon nicht viel:
„Der Misserfolg ist seit mehr als dreißig Jahren erwiesen. Die Europäer versuchen seitdem, die Grenzen immer weiter zu schließen, indem sie in immer mehr und teurere personelle, technische und materielle Ressourcen investieren, Mauern bauen wollen etc. Es gibt die Illusion, Einwanderung so zu stoppen. Auch die nordafrikanischen Anrainerstaaten will man in diesen Kampf einbeziehen, sie sollen auch die Kontrollen verstärken. Das Ergebnis ist aber, dass das Drama sich verschärft: Die Zahl der irregulären Ankünfte nimmt zu und der Menschenhandel wächst", erklärt sie im Interview mit Radio Vatikan.
Abschottungspolitik spiele Menschenhändlern in die Hände und auch bestimmten politischen Parteien, die Einwanderung als „Problem" deklarierten und Einwanderer als Sündenbock nutzten:
„Die Politiker sagen oft, sie müssten ja so eine harte und abschottende Politik betreiben, weil die Bevölkerung nicht so viele Menschen aufnehmen könne. Die Integration ist natürlich etwas, das angegangen werden muss. Die Frage ist aber: Hat die Regierung versucht, die Bevölkerung vorzubereiten und legale Möglichkeiten zu schaffen, oder nicht? EU-Regierungen sprechen immer von einem Migrations-Problem. Es ist sehr einfach, andere ausznutzen. Das sehen wir übrigens zum Beispiel auch in Tunesien, nicht nur in Europa - um Sicherheitsprobleme und Wirtschaftsprobleme zu begründen: Schuld ist immer der Fremde", führt die Juristin aus.
Visapflicht abschaffen?
Dabei gehe es durchaus anders: Sie erinnert daran, dass zum Beispiel bis in die 1980er Jahre für die Einreise in die meisten europäischen Länder kein Visum erforderlich war:
„Man neigt zweifellos dazu, zu vergessen, dass es mal mehr Bewegungsfreiheit gab. Freizügigkeit bedeutet nicht, dass es keine Kontrollen gibt oder alle in allen europäischen Ländern leben dürfen. Dann haben die europäischen Länder in den 1980er Jahren schrittweise das Einreisevisum eingeführt. Dieses Einreisevisum wurde in den 1990er Jahren auf alle Länder ausgeweitet, mit denen es ein großes wirtschaftliches und entwicklungspolitisches Gefälle gibt, und auch auf alle Länder, aus denen Flüchtlinge kommen. Warum weigert man sich, schutzsuchende Menschen aufzunehmen und zu unterstützen? Illegalität wird durch die Schließung der legalen Wege verursacht."
Bisher weigerten sich die Regierungen jedoch, die Abschaffung der Visumspflicht auf den Tisch zu legen. Die Ausstellung humanitärer Visa könne aber ein erster Schritt sein, meint Delphine Perrin. Der Wahlkampf für die Europawahlen könne die Debatte vielleicht wiederbeleben.
(vatican news)
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