Tansania: Bischof kämpft gegen weibliche Genitalverstümmelung
Brigitte Schmitt - Rom/München
In seiner Diӧzese fӧrdert er diverse Initiativen, um ein Umdenken bei den Betroffenen wie bei den Eltern und den Dorfältesten zu bewirken. Unterstützt wird er dabei vom päpstlichen Missionswerk missio München. Bei einem Besuch in München erzählte er von Erfolgen und Rückschlägen:
„Es war 2009, als ich als Bischof nach Musoma kam“, erinnert sich Bischof Michael Msonganzila. „Nachdem ich viele Pfarreien in der Diözese besucht hatte, stellte ich fest, dass diese Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung weit verbreitet ist, selbst unter Christen, unter Katholiken. Manchmal kamen sie nicht zur Kirche, weil die Führer ihrer Gemeinden sie dazu zwangen. Was ich sagen will ist, dass der gesellschaftliche Druck in diesen Dörfern sehr groß ist. Als ich nachfragte und wissen wollte, warum dieser Ritus so verbreitet ist, sagte man mir, es gehöre zur Tradition. Dieser Initiationsritus mache ein Mädchen zu einer erwachsenen, heiratsfähigen Frau, die ihre Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen kann. Ich traf auch auf Fälle, in denen sehr junge Mädchen beschnitten worden waren und man sagte mir, sie seien nun bereit zur Verheiratung.
Da hatten wir die Idee, eine Alternative für diesen Initiationsritus zu schaffen. Von den 36 Pfarreien in unserer Diözese wurde dieser Ritus durchgeführt. So sagten wir, wir müssen hier Aufklärung betreiben. Unser Argument war ganz einfach: Gott hat den Menschen als vollkommenes Wesen geschaffen und niemand hat das Recht, diese Vollkommenheit zu ändern.“
Eine Alternative bieten
Luciana Borgna von missio München betreut das Bildungsprojekt. Sie erklärt, wie man sich diesen alternativen Ritus vorstellen muss: „Wenn der Bischof von alternativem Initiationsritus spricht, dann geht es nicht um eine Art Feier, sondern um verschiedene Aktionen der Diözese. So kommen in der Karwoche alle Mädchen und Jungen zusammen. In diesen Tagen machen sie mit bei verschiedenen Aktivitäten, die Wertebewusstsein vermitteln. Dabei wird den Jugendlichen in sehr einfacher Sprache vermittelt, was der Eintritt in das Erwachsenenalter bedeutet. So erklärt der Bischof den jungen Mädchen, dass wenn sie sich später für eine Stelle bewerben werden, nicht danach gefragt wird, ob sie beschnitten sind. Kein Arbeitgeber wird danach fragen. Es wird vielmehr nach ihrer Qualifikation, ihrem Werdegang, ihren Erfolg in der Schule gefragt. Es gibt auch das Programm der ,Theology of the Body‘, das heißt, vermittelt wird die Idee des Heiligtums des menschlichen Körpers. Alle unsere Körperteile sind heilig und wichtig und wer würde sich schon freiwillig ein Ohr abschneiden lassen. Da geht es um das Bewusstsein über den eigenen Körper.“
Das Problem ist komplex. Es gibt viele Gründe, sagt der Bischof, weshalb beschnitten wird, doch gebe es ebenso viele Gründe, aus denen er als Bischof beschlossen habe, dass diese Praxis enden müsse: „Erstens ist es entmenschlichend. Frau und Mann, Mädchen und Jungen, sind gleich. Durch die Beschneidung werden Mädchen nicht nur körperlich verletzt. Die Verletzungen können manchmal den Tod nach sich ziehen. Sie tragen auch psychische Schäden davon. Das Problem ist, dass jene, die nicht beschnitten sind, diskriminiert, ausgeschlossen und mit Schimpfworten bedacht werden.“
Diskriminierung ein Ende bereiten
Dem Bischof geht es um ein Ende der Diskriminierung in der ärmlichen Region am Viktoriasee, wo Subsistenzwirtschaft die Haupteinnahmequelle ist. Übrigens geht die Stadt Musoma zurück auf eine Gründung im Jahr 1912 durch die damalige deutsche Kolonialregierung. Die Kirche sieht sich dort besonders an der Seite der Armen, sagt Bischof Msonganzila: „Wir wollten als Kirche intervenieren und eine Grenze aufzeigen. Um den Armen und Diskriminierten zu helfen. So fing alles an. Wir starteten mit Schulungen, Aufklärung und mit alternativen Angeboten für die Beschneiderinnen. Man muss nämlich wissen, dass die Beschneiderinnen für ihren Dienst sehr gut bezahlt werden. Für jede Beschneidung bekommen sie 10.000 Schilling, das sind ungefähr 4,50 Euro. Und nicht nur das. Sie müssen in der Regel auch 10 Prozent ihres Verdienstes an die Dorfältesten abgeben. So arbeiteten wir an neuen Jobs für die Beschneiderinnen. Wir haben Vereine gegründet, an Grund- und Mittel-Schulen, um gegen diese sexuelle Gewalt und die Beschneidung zu kämpfen. Wir veranstalten Camps für Mädchen, die nicht beschnitten werden wollen und organisieren Aufklärungskampagnen. Keiner meiner Vorgänger hat sich gegen dieses traditionelle Ritual ausgesprochen.“
Starke Tradition
Msonganzila, der neue Mann, wollte, dass mit dem grausamen Beschneiden Schluss gemacht wird. Doch erkannte er bald die Herausforderungen, die eine seit Jahrhunderten praktizierte Tradition darstellten.
„Man muss noch ein Weiteres bedenken, eine religiöse Interpretation: Wenn ein Mädchen beschnitten wird, dann geschieht das in ihrer vertrauten Umgebung in ihrem Dorf. Dort sickert ihr Blut in die heimatliche Erde und stellt dem Glauben nach eine Verbindung her zwischen den Lebenden und den Toten. In unseren Katechsen, unseren Aufklärungsprogrammen sprechen wir auch dieses Thema an. Ich wusste nicht, dass man mich als den ersten Bischof auf der Welt sieht, der dieses Thema aufgegriffen hat, aber es macht mich froh, dass ich so etwas bewirkt habe.“
Der erste Bischof überhaupt, der sich gegen Genitalverstümmelung einsetzte
Missio München sieht in Msonganzila den ersten Bischof in Afrika, ja der Welt, der sich laut gegen die weibliche Genitalbeschneidung ausgesprochen hat. Aber er hat auch viele Mitstreiter. Ein Beispiel ist die Witwe des früheren Präsidenten von Mosambik, Graςa Machel, die später auch mit Nelson Mandela verheiratet war. 2010 gründete die Politikerin und Aktivistin den Garςa Machel Fund. Diese Organisation setzt sich für Frauen und Kinderrechte weltweit ein. Mit ihr startete Bischof Msonganzila ein Bildungsprojekt für Mädchen und Jungen, von dem letztlich 22 000 Kinder profitierten. Doch der Bischof weist noch auf ein weiteres Phänomen hin, an das man vielleicht gar nicht denkt.
„Ein anderes Problem ist, dass nicht wenige Mädchen selbst beschnitten werden wollen, weil es sie wichtig macht, sie halten sich für ewachsen, und sie werden verheiratet. Das bedeutet, sie verlassen die Schule und sind dann nicht mehr durch Lehrer und Aufklärung zu erreichen. Sie halten sich für groß, obwohl sie noch unreife Kinder sind. Darum haben wir in der Diözese beschlossen, wir müssen in die Köpfe dieser Kinder vordringen, wir müssen andere Werte der Reife vermitteln und dabei mit anderen Organisationen zusammenarbeiten.
Diese Mädchen müssen die Schule lieben lernen, sie müssen von modernen Werten durchdrungen werden. Wenn sie dann einen Schulabschluss haben, dann haben sie eine andere geistige Reife erreicht, dann können sie verantwortungsvolle Mitglieder ihrer Gesellschaft werden. Mit diesem Empowerment werden sie wertvoll für ihre Gemeinde, ihren Distrikt, ihr Land und die internationale Gemeinschaft. Später werden sie nur nach ihren Credentials gefragt, nach ihren Schulleistungen, und nicht, ob sie beschnitten sind oder nicht.“
Werte und Bewusstsein vermitteln
Missio München hat ein auf drei Jahre anberaumtes Bildungsprojekt laufen, das Werteprogramm an der St. Alberto School. Luciana Borgna erklärt: „Dort finden während der Ferien im November Kurse für Mädchen aus unterprivilegierten Verhältnissen statt, aus kleinen Dörfern, die besonders GFM gefährdet sind. Die kommen in diese Kurse gerade während der Cutting Season und da haben sie die Möglichkeit, schulischen Stoff nachzuholen. Außerdem bekommen sie eine Werte- und Bewusstseinsvermittlung.“
Wie Bischof Michael Msonganzila bemerkt, kämpfe man weiter gegen diese tief verwurzelte und schwer zu ändernde Mentalität: „Aber ich habe Hoffnung, dass wir einmal Erfolg haben, auch wenn diese Beschneidung noch immer praktiziert wird. Darum arbeiten wir mit solchem Nachdruck, mit Aufklärungskampagnen und Informationsabenden. Das Schlimme ist diese Mentalität, die noch weit verbreitete Annahme, dass ein unbeschnittenes Mädchen automatisch eine Prostituierte wird. Damit ist der Ruf des unbeschnittenen Mädchens ruiniert. Die Befürworter argumentieren, dass mit der Beschneidung auch Prostitution verhindert wird. Aber das ist nicht wahr. Das ist Entmenschlichung, das ist Liebesentzug.“
In der Entwicklungszusammenarbeit hat man gelernt, die Lokalbevӧlkerung mit in die Projekte einzubeziehen. Dies geschieht auch in diesem Zusammenhang, erläutert Luciana Borgna: „Man muss auf allen Ebenen arbeiten. Alle Akteure einbeziehen. Deshalb gibt es eine sehr enge Zusammenarbeit mit den Bezugspersonen im Dorf, auch die Polizei muss informiert werden. Und man arbeitet mit den Cutters, die ja dann das Geld einkassieren. Die Diözese bietet verschiedene Programme an: Seminare, Zusammenkünfte, bei denen man versucht, alle zu informieren, auch die Eltern. Denn es sind die Eltern und paradoxerweise auch die Mütter, die aus Tradition das fortsetzen, obwohl sie es selbst erlitten haben.“
Luciana Borgna von missio München konnte die Arbeit des Bischofs bei Besuchen selbst in Augenschein nehmen und war beeindruckt von seiner Hartnäckigkeit, seinem Mut und seinem menschlichen Einfühlungsvermӧgen.
Dialog auch mit den Priestern
„Wir haben auch Kinderschutzprogramme eingeführt“, berichtet Bischof Michael Msonganzila weiter. „Aber leider gibt es auch das Problem, dass Priester in manchen Pfarreien, in manchen Gegenden, zögern, über dieses Thema zu sprechen. Das braucht viel Dialog.“
Luciana Borgna relativiert: „Ich glaube, man muss ehrlich sagen, wir haben nicht mit erstaunlichen Erfolgszahlen zu tun. Es gibt keine kurzfristigen eklatanten Erfolge, aber es ist ein langsamer Wandel in der Mentalität. Und es ist immer ein Erfolg, wenn eine Mutter sagt, Nein, meine Tochter soll nicht dasselbe erleiden, was mir passiert ist.“
Leicht wird verkannt, welchen Einfluss die jeweiligen Ethnien haben. So muss man bedenken, dass östlich des Viktoriasees im Grenzgebiet von Tansania und Kenia die Gruppe der Kuria lebt - man schätzt sie auf etwa 400 000. Und sie bringen ihre Kinder zum Initiationsritual zu den Beschneiderinnen in Richtung Musoma.
„Wir reden von Traditionen, die seit alters her praktiziert werden, lange bevor das Christentum nach Tansania kam“, erläutert Luciana Borgna. „Die ethnische Zugehörigkeit ist wie die Haut und die Religion ist wie das Hemd, um ein Bild zu geben. Da ist es schon schwierig, Priester, die einer gewissen Generation angehören, zu überzeugen. Auch diese Arbeit leistet die Diözese - ein ständiger Dialog mit den Priestern. Durch den Einsatz von Ordensschwestern kann man die Menschen unmittelbarer erreichen. Aber einfach ist die Arbeit nicht.
Und wenn ich an die Gruppe der Kuria denke. Das sind die Männer, die bei der Armee sind. Sie haben den Ruf, dass sie kein Leid verspüren. Das sind sehr starke Menschen. Es ist also eine Arbeit, die nicht ganz ungefährlich ist. Aber der Bischof hat von Anfang an gezeigt, dass er furchtlos ist, dass er mit viel interkultureller Kompetenz, aber auch mit großer Entschlossenheit, sich für Frauenrechte einsetzen will. Dabei hat er eine große Unterstützung. Ich denke, jedes Mädchen, das die St. Albert School besucht, alle jungen Leute, die in der Karwoche bei diesen Clubs mitmachen, die sind schon ein Erfolg. Irgendwas bleibt, was sie von den Ideen und der Wertevermittlung des Bischofs mit nach Hause nehmen.“
Ein Eindringling
Doch leicht hat es der Bischof nicht. Er wird wegen seiner Initiativen als Eindringling gesehen, räumt er ein: „Man macht mir den Vorwurf, ein Eindringling zu sein, weil ich nicht von dort stamme. Ich bin aus einer anderen Diözese, aufgewachsen mit anderen Traditionen. Sie sagen, ich bin nicht da, um ihr Leben zu verbessern, sondern um sie zu kritisieren. So, manchmal habe ich das Gefühl, dass man nicht akzeptiert, dass man mich nicht haben will. Aber ich bin überzeugt, dass Gott mich dazu berufen hat, und mit Gottes Hilfe werde ich weitermachen.
Wir bringen Awareness in die Dörfer, wir bringen medizinisches Personal, das neben der Behandlung auch Aufklärung leistet. Wir treffen auch beschnittene Mädchen und Frauen, die bereit sind, über ihre Erfahrungen über ihr Leiden offen zu sprechen. Und wer weiß, in 10, 20 Jahren bringen wir diese Töchter wieder zurück zu ihren Familien, und wir sehen, dass die Eltern sie wieder akzeptieren.“
Michael Msonganzila ist seit 14 Jahren Bischof von der Diӧzese Musoma am Viktoriasee in Tansania. Bestürzt über die weitverbreitete weibliche Genitalverstümmelung auch unter den Katholiken seiner Diözese machte er es sich zur Lebensaufgabe, ein Umdenken bei den traditionsbehafteten Menschen in der Region herbeizuführen. Aufklärungskampagnen, Katechesen, Bildungsprojekte und Clubs für benachteiligte Jugendliche gehören zum Repertoire. Das päpstliche Missionswerk missio München unterstützt die Initiativen des Bischofs seit 2014.
(vatican news)
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