Westjordanland: „Liebe deine Feinde“ mitten im Krieg
Ain Arik liegt vor den Toren Ramallahs. Hier wie überall im Westjordanland gibt es keine äußeren Zeichen von Weihnachten, keine Deko, kein Verteilen von Süßigkeiten und Geschenken auf der Straße. Das haben die religiösen Führer so angeordnet. Aber in seiner Kirche ist Pfarrer Abedrabbo der Hausherr, stehen Krippe und Weihnachtsbaum wie eh und je.
„Es ist sicherlich kein gewöhnliches Weihnachten“
„Es ist sicherlich kein gewöhnliches Weihnachten“, sagt uns der Geistliche in einem Interview. „Wir haben die Feierlichkeiten stark eingeschränkt. Wir haben die Außenanlagen nicht dekoriert, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass wir uns nicht mit allem, was um uns herum passiert, solidarisieren. Aber für die Kinder kann es kein Weihnachten geben, ohne dass eine Feier stattfindet und Geschenke gemacht werden; das halten viele Gemeinden so, wir haben das untereinander intensiv besprochen. Denn für die Kinder ist Weihnachten doch wichtig, vor allem in dieser Situation. Uns geht es darum, sie ein wenig aufzumuntern, ganz einfach. Wir respektieren die Situation, aber gleichzeitig wollen wir ein wenig Freude bereiten – die wahre Weihnachtsfreude, die sich auf die Geburt Jesu konzentriert, und diese Zeit als Familie erleben, als eine einzige Familie.“
„Die Kinder stellen mir viele Fragen“
Die Solidarität, von der der Pfarrer spricht, gilt all jenen, die unter dem Konflikt im Gazastreifen leiden. Auch viele Familien im Westjordanland sind derzeit in einer prekären Lage und begehen ein nüchternes, bitteres Weihnachten, da keine Pilger ins Heilige Land kommen; die Pilgerwirtschaft ist seit dem 7. Oktober auf den Nullpunkt heruntergerauscht.
„Die Kinder stellen mir viele Fragen“, sagt der Pfarrer von Ain Arik. „Sie sagen zum Beispiel: Warum müssen diese Kinder in Gaza sterben? Warum müssen sich die Menschen so bekämpfen? Und dann kommen sie schnell zu einer weiteren Frage: Wird das auch hier bei uns passieren? Sie leben wirklich in Angst und mit vielen Fragen, die ich als existenziell bezeichnen würde. Sie machen sich Gedanken über den Tod, über Kinder, die sterben, über Ungerechtigkeit, aber sie drücken sie natürlich in ihrer Kindersprache aus.“
Ein ganz anderer Ansatz als bei der Hamas
Wie kann man in einem solchen Kontext Werte wie Frieden, Dialog und Versöhnung vermitteln? Ja, das sei „wirklich die Herausforderung hier“, sagt Firas Abedrabbo; alle Pfarrer stünden vor dieser Aufgabe. „Wir haben viel darüber diskutiert. Wie können wir trotz allem einen christlichen Blick auf die Situation bewahren und eine christliche Lösung für die Situation anbieten? Denn es stimmt, dass der Hass auf allen Seiten wächst, und mit ihm der politische und religiöse Fanatismus. Und wir Christen befinden uns ein wenig zwischen allen Stühlen, weil wir auf der einen Seite Palästinenser und auf der anderen Seite Christen sind. Zwangsläufig ist unser Ansatz ganz anders als zum Beispiel der der Hamas. Und unseren Kindern versuchen wir zu erklären, dass man alle Menschen lieben muss, dass man den Feind lieben muss.“
Die Ohrfeige
Liebet eure Feinde – dieser urchristliche Imperativ ist kleinen (und übrigens auch großen) Palästinensern nicht so leicht zu vermitteln. Pfarrer Abedrabbo behilft sich damit, ihnen ausführlich zu erklären, dass Jesus sich als Gefangener vor dem Hohenpriester ohne Widerstand ohrfeigen ließ. „Da werden dann natürlich harte Fragen gestellt: Wie können wir den Israeli lieben, der uns tötet? Wir antworten, dass Liebe für uns Christen nicht bedeutet, dass wir alles gutheißen, was er tut. Es bedeutet, wirklich das Abbild Gottes in ihm zu sehen und ihm auch dabei zu helfen, das Abbild Gottes in sich selbst zu sehen, indem man für ihn betet und ihm gegenüber große Nächstenliebe zeigt, die vielleicht, so hoffen wir, sein Herz bekehren wird.“
Gewalttätiger Alltag
Aber so rührend es auch ist, dass die Kinder von Ain Arik trotz aller Widrigkeiten ein schönes Weihnachten feiern können – irgendwann landen sie dann wieder unsanft im Alltag, einer Welt, die von unterschwelliger, fast permanenter Gewalt geprägt ist. Und wenn dann aus kleinen große Palästinenser werden, dann stellen sie fest, dass ihnen ihre Heimat kaum Aussichten bietet.
„Wir sagen keinem, dass er hierbleiben muss“
„Viele junge Menschen denken aus verschiedenen Gründen an Auswanderung. Vor allem wegen des Mangels an Freiheit und der israelischen Besatzung. Viele sagen, dass sie leider keine Aussicht auf Frieden in der nahen Zukunft sehen. Sie sagen auch, dass sie nicht möchten, dass ihre Kinder einmal in der gleichen Situation leben, die sie selbst erlebt haben. Daher denken sie darüber nach, wegzugehen. Aber es gibt auch viele, die sagen: Nein, wir wollen bleiben. Das ist unser Land. Das ist unsere Situation. Das ist unsere Kultur. Wir müssen hierbleiben… Wir als Kirche sagen niemandem, dass er hierbleiben muss. Aber wir unterstützen die, die bleiben.“
(vatican news – sk mit material von jean-charles putzolu)
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