Ukraine: Großerzbischof beklagt Zermürbungstaktik
Wörtlich sagte Schewtschuk: „Der Krieg, den wir jetzt erleben, ist nicht mehr nur ein direkter Angriff, sondern ein Krieg der Erschöpfung. …Unser Volk, unsere Familien sind durch die Kriegserfahrungen zerrissen“, erklärte der Großerzbischof. Es gäbe eine Trennung zwischen denjenigen, die das Land verlassen haben, und denjenigen, die geblieben sind, zwischen Soldaten an der Front und ihren evakuierten Ehefrauen, zwischen der Ost- und Westukraine.
In seiner wöchentlichen Videobotschaft, die am Sonntag veröffentlicht wurde, ging Schewtschuk unter anderem auf die „gute Nachricht“ ein, dass die Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union näher gerückt wird:
„Diese Woche haben wir gute Nachrichten aus dem Herzen der Europäischen Union erhalten, dass endlich Verhandlungen über den Beitritt der Ukraine zur Familie der europäischen Nationen aufgenommen werden. Für die von einer Kriegskatastrophe gedemütigte und verbrannte ukrainische Gesellschaft war es sehr wichtig, die Solidarität der europäischen Länder zu spüren. Offensichtlich steht noch ein langer Weg für den europäischen Traum unserer Bevölkerung vor uns. Aber diese offenen Türen sind für uns heute eine moralische Unterstützung, ein Trost, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer in ihrem Freiheitskampf nicht mit einem stärkeren russischen Aggressor allein gelassen werden. Wir danken den Völkern Europas für Solidarität!“
Öffnung und Einladung
Diese „Öffnung und Einladung“ der Ukraine, ihren Weg der Rückkehr zur Familie der europäischen Nationen fortzusetzen, sei verbunden mit der regelmäßigen Sitzung der Ständigen Bischofssynode der griechisch-katholischen Kirche, die in Tscherniwzi, in der ukrainischen Bukowina stattfand. Die Ständige Synode ist das höchste „Regierungsorgan“ der mit Rom verbundenen Kirche. Schewtschuk erläuterte diese Verbindung genauer:
„Diesmal arbeiteten wir in der jungen Diözese Tscherniwzi, die zwar schon eine Jahrhunderte lange Tradition unserer Kirche in Bukovina darstellt, jedoch als konkretes Bistum erst in diesem Jahr sein sechstes Gründungsjubiläum feiert. Und hier in Tscherniwzi haben unsere Bischöfe aus Amerika, Deutschland und Polen dem ukrainischen Volk gute Nachrichten gebracht. Sie bestätigten, was die Führer der Europäischen Union gesagt haben. Die Völker Europas sind solidarisch mit den Menschen in der Ukraine. Gewöhnliche Menschen - Polen, Deutsche, Einwohner skandinavischer Länder, erleben den Schmerz der Ukraine zutiefst als ihre eigenen, denn dieser Krieg hat die alten Wunden Europas irgendwie geöffnet. Diese Leute wollen nein sagen zur Aggression, nein zum Krieg. Unsere Bischöfe brachten diese gute Nachricht: Die Welt unterstützt die Ukraine!“
Katastrophale Versorgungslage bei Strom und Heizung
Die Versorgungslage sei aktuell katastrophal, besonders im Hinblick auf die Energieversorgung. Schewtschuk führte aus, dass im vergangenen Jahr bereits über die Hälfte der Strominfrastruktur des Landes zerstört wurde. Aktuell seien schätzungsweise rund drei Viertel der Bevölkerung auf Generatoren angewiesen, um ihre Wohnungen heizen oder Stromanschlüsse nutzen zu können.
Laut dem Großerzbischof seien rund 80 Prozent der Menschen in der Ukraine körperlich oder seelisch verwundet. Die Kriegstraumata würden zu einem immer größeren Problem. Seine Kirche versuche, diese Menschen zu betreuen, aber auch viele Priester seien am Ende ihrer Kräfte. Viele Menschen in der Ukraine befürchteten, dass ihr Schicksal in Vergessenheit geraten könnte. „Insofern haben die Besuche und die Hilfe von Organisationen wie ,Kirche in Not’ eine therapeutische Wirkung für uns“, hob der Großerzbischof hervor. „Neben der humanitären Hilfe ist auch die menschliche Beziehung entscheidend.“
Über 15 Millionen Euro für die Ukraine
„Kirche in Not“ hat seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine mehr als 15 Millionen Euro für 600 Projekte bereitgestellt, um die Nothilfe der griechisch-katholischen und der römisch-katholischen Kirche zu unterstützen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Heizungsprojekten in kirchlichen Flüchtlingsunterkünften, der Instandsetzung zerstörter Gebäude und den Kauf von Fahrzeugen, um Hilfsgüter in entlegene Gebiete transportieren zu können. „Kirche in Not“ unterstützt auch Schulungen zur Betreuung von traumatisierten Menschen sowie Ferienfreizeiten für Kinder aus dem Kriegsgebiet.
Hintergrund
In der mehrheitlich orthodoxen Ukraine gehören nach Vorkriegsstand etwa vier Millionen Menschen der griechisch-katholischen Kirche an. Sie pflegt Ritus und Kirchenstruktur der Ostkirchen, steht aber in Einheit mit dem Papst. Die Zahl der Angehörigen der römisch-katholischen Kirche liegt bei unter einer Million.
(pm – mg)
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