Br. Faltas: 10.000 Kinder im Nahost-Konflikt gestorben – wo ist das Gewissen?
„Die Situation wird immer schlimmer, ist immer schrecklich. Eine wirklich grauenhafte Situation, die wir jeden Tag leben, jeden Tag immer mehr Tote, Kinder, Frauen, alte Menschen, Behinderte…“: Der Franziskaner Ibrahim Faltas ist Vikar der Kustodie für das Heilige Land und entsetzt über die Folgen der Scharmützel, die sich zu einem „Dritten Weltkrieg“ ausweiten könnten, so die Sorge des Kirchenmannes:
„Der Papst hat von Kindern gesprochen, von den Unschuldigen, und all diese sind wirklich unschuldig. Wir sind mittlerweile bei fast 30.000 Toten angekommen, mehr als 62.000 Verletzten, und 40.000 Kinder sind wegen dieses Krieges verwaist. Also könnt ihr euch vorstellen, wie unsere Situation im Westjordanland ist.“
Auch dort habe es mehr als 400 Tote gegeben, neben 5000 Festnahmen und mehr als 10.000 Verletzten, zählt der Franziskaner fassungslos auf: „Überall Zerstörung. Eine schreckliche Sache, was wir derzeit im gesamten Heiligen Land machen.“ Mit Sorge blickt er auch auf die Situation im Nahen Libanon und im Roten Meer, auf einen Krieg, der sich immer weiter ausweite: „Und es besteht die Angst, das sage ich immer, es besteht die Angst, dass wir in Richtung eines Dritten Weltkrieges gehen, und das ist gerade das, was wir nicht wollen.“
Bis jetzt fehle jedoch der entschiedene Aufschrei in der internationalen Gemeinschaft, eine Forderung nach einem Waffenstillstand, wie sie der Papst angesichts der 60 Kriege in der Welt, und insbesondere angesichts der schlimmen Situation im Nahen Osten, immer wieder stelle. Die Kirche sei dabei an vielen Fronten aktiv, betont Bruder Ibrahim: „Die Kirche tut alles, was in ihrer Macht steht, vom Papst bis hin zum Letzten, und wir tun sehr viel für die Christen in Gaza, wo 600 in der Kirche der Heiligen Familie untergekommen sind und 200 in der Kirche der griechisch-orthodoxen, und man kann es sich vorstellen, heute gut 100 Tage nach Kriegsausbruch, für 600 Menschen zu sorgen, um sie zu verpflegen, wo es weder Essen noch Wasser gibt, keinen Strom, es gibt keine Kommunikationsmittel, nichts, keine Grundversorgungsmittel, einfach gar nichts!“
Christen suchen Zuflucht in den beiden Gemeinden
Dabei sind auch die Kirchengebäude, wie in letzter Zeit angesichts der Erschießung zweier Frauen im Innenhof der Heiligen Familie durch israelische Militärs auf traurige Weise ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte, keineswegs sichere Horte. Man spreche jedoch mit allen und tue alles dafür, wenigstens die Kinder aus Gaza, die Hilfe benötigten, für eine Behandlung nach Italien zu schicken, auch wenn die Möglichkeiten der Kirche trotz aller Anstrengungen begrenzt seien, räumt Br. Faltas ein.
„Wir haben begrenzte Möglichkeiten, aber wo sind die Mächtigen der Welt, wo sind sie?! Gibt es denn einen von ihnen, der einen Waffenstillstand gefordert hat? Bis jetzt haben wir das nicht gehört, wir haben von keinem gehört, der wie der Papst gesagt hat, dass sie die Waffen schweigen lassen sollen.“
Und doch seien es die Schwächsten, die den Preis für diesen Krieg zahlten, die Kinder, Frauen, Behinderten und alten Menschen, klagt der Franziskaner: „Mehr als 10.000 Kinder sind getötet worden. Könnt ihr euch das vorstellen, 10.000 Kinder! Und dazu kommen diejenigen, die noch unter den Trümmern liegen, es sind noch so viele Kinder unter den Trümmern, und wo ist das Gewissen der ganzen Welt, der Mächtigen dieser Welt, und alle sehen diese Dinge vor ihren Augen. Wo sind sie?! Wo sind sie? Und ich weiß wirklich nicht, wo wir mit diesem Krieg noch hinkommen.“
Hoffnung auf die Zweistaatenlösung
Beobachter zeigten sich pessimistisch, was ein rasches Ende der Kampfhandlungen angehe, so sprächen einige von Monaten, andere befürchten einen jahrelangen Konflikt, neben der Gefahr eines Flächenbrandes in der Region, neben mehr Tote, mehr Waisen, so der sichtlich erschütterte Kirchenmann. Und doch gebe es eine Hoffnung:
„Unsere Hoffnung ist, dass es nach all diesen Opfern eine endgültige Lösung für dieses Problem gibt. Jetzt ist der Moment, dass sie eine Lösung finden. Und auch wenn niemand zu einem Waffenstillstand aufgerufen hat, so haben doch alle die Zweistaatenlösung ins Gespräch gebracht, die Amerikaner, auch viele Israelis und alle mächtigen Staatenlenker sprechen von der Zweistaatenlösung, um dieses Problem zu beenden, das wir seit 75 Jahren leben. Das ist unsere Hoffnung, denn im Heiligen Land geht es niemandem gut, weder den Israelis, noch den Palästinensern, den Christen, den Muslimen oder den Juden.“ Erst an diesem Freitag hatte US-Präsident Joe Biden nach einer mehrwöchigen Funkstille wieder mit Israels Premier Netanjahu gesprochen und trotz gegenteiliger Aussagen des israelischen Politikers erneut bekräftigt, dass eine Zweistaatenlösung „nicht unmöglich“ sei.
Jedenfalls litten alle unter dieser Situation, schließt Br. Ibrahim seinen beherzten Appell für eine Lösung, die der Heilige Stuhl seit jeher vertritt und in der beiden Volksgruppen, Israelis wie Palästinensern, ihr eigener Staat und ihr unantastbares Territorium zugesprochen werden sollte. So könnten alle in Frieden leben, zeigt sich der Vikar des Heiligen Landes überzeugt.
(vatican news - cs)
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