Konflikt in Chile mit Indigenen: „Viel reden ohne Zuhören“
Carlos Huenupi kommt selbst aus der Unruheregion Araucanía, sein Geburtsort liegt unweit der Stadt Temuco, dem Zentrum der Mapuche. Der Nachname Huenupi verrät: der Kapuzinerpater gehört zu den Mapuche und ist somit Teil der größten indigenen Ethnie in Chile. Im Interview mit Vatican News vor dem tödlichen Überfall am vergangenen Samstag sprach er über die pastorale Arbeit der katholischen Kirche in Araucanía und die Probleme, die unter der scheinbar beruhigten Lage vor Ort weiterschwelen.
„Starke Religiosität“ für Mapuche wichtig
„Es war mir schon immer wichtig, die Lebensrealität der Mapuche zu studieren. Ich habe dazu viele Bücher gelesen und war als Kapuzinerpater lange in der Pastoralarbeit tätig“, erklärt Huenupi. Seine Eltern seien sehr erfreut gewesen, als er Kapuzinerpater werden wollte, denn „ein wichtiges Element der kulturellen Werte der Mapuche ist eine starke Religiosität“. „Meine Eltern haben eine Synthese aus ihrer eigenen Religiosität und dem Inhalt des christlichen Glaubens geschafft.“ Der Sinn für die eigene Kultur sei, so Huenupi, bei den Mapuche sehr stark, aber auch der Sinn für Anpassung.
Staat führt einseitigen Diskurs
Der Konflikt zwischen den Mapuche und dem chilenischen Staat hat seinen Ursprung in der Kolonisierung des Gebiets der Mapuche durch die Spanier ab 1540. Von Anfang an widersetzten sich die Mapuche vehement den Kolonisierungsversuchen, teilweise mit weitreichendem Erfolg. Doch auch mit der Unabhängigkeit Chiles im 19. Jahrhundert fand der Konflikt kein Ende. Der Staat startete den sogenannten „Pazifizierungsprozess“, bei dem er unter anderem „die Region Araucanía militarisierte und viele Grundstücke an Immigranten vergab, die meist aus Europa kamen, zum Beispiel aus Italien oder Deutschland“. Bis heute, so Huenupi, führe der chilenische Staat einen meist einseitigen Diskurs mit den Mapuche-Vertretern. „Die Situation ist derzeit von außen gesehen ruhig, aber die Lage wird immer komplexer, und es wird immer schwieriger, sich den Problemen richtig anzunehmen“, so die Sorge des Kapuzinerpaters. „Es herrscht eine scheinbare Ruhe, doch die Probleme bestehen weiter.“
Mapuche fordern Rückgabe von Grundstücken
Der chilenische Staat schließe Abkommen mit den Mapuche ab, auch über Sozialhilfen, doch er behandle die Mapuche weiter, „als seien sie halt einfach ein armes Volk“. Es mangle nicht vorrangig an Bildung, wie der Staat zum Beispiel oft argumentiere, das Problem sei ein ganz anderes, sagt Huenupi: „Es werden Lösungen gesucht ohne zuzuhören, das ist das Problem“. Die wichtigste Forderung der Mapuche ist die Rückgabe von Grundstücken, „denn inzwischen haben Forstunternehmen viele Gebiete in zukünftige Wüsten verwandelt. Sie schaffen Monokulturen, bauen nur Pinien und Eukalyptusbäume an“.
Brandanschläge auf Kirchen als Widerstand
In seinen fast vierzig Jahren als Kapuzinerpater hat Carlos Huenupi einige Jahre in Pfarreien in der Region Araucanía verbracht, wo viele christliche Mapuche leben. Er war in der pastoralen Arbeit tätig und stand in engem Kontakt mit den Gemeindemitgliedern. Die vielen Brandanschläge in den vergangenen Jahren, die radikalisierte Gruppen der Mapuche unter anderem auch auf Kirchen verübt haben, begründet Huenupi damit, dass die Kirche von diesen Gruppen als Verbündete des Staates angesehen wird.
Kirche könnte noch mehr tun
„Die katholische Kirche könnte jedoch ihre Instanzen, die sie schon hat, noch verstärken“, so Huenupi. Die Hauptaufgabe liege jedoch beim chilenischen Staat selbst, der in den letzten Jahren die Region Araucanía stark militarisiert und so für oberflächliche Ruhe gesorgt habe. „Alles sollte im Dialog geschehen, im gegenseitigen Zuhören, Verständnis und Wertschätzen“, fordert Huenupi. Solange die Komplexität des Konflikts ungelöst bleibe, werde die Ruhe nur vorübergehend sein.
Dreitägige Staatstrauer nach Attentat auf Polizisten
Die Befürchtungen des Kapuzinerpaters wurden am vergangenen Samstag wahr. In der Mitteilung der Carabineros heißt es, dass die drei getöteten Polizisten auf Patrouille waren, als sie von bewaffneten Angreifern überfallen wurden, deren Identität derzeit nicht bekannt ist. Präsident Gabriel Boric berief nach dem Überfall eine Dringlichkeitssitzung ein und ordnete Sofortmaßnahmen „als Reaktion auf diesen feigen Angriff“ an. Es wird keine Straffreiheit geben", erklärte Boric und kündigte eine dreitägige Staatstrauer an.
Das Interview führte Valerie Nusser.
(vatican news / vn)
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