Frankreich: Sterbehilfe als Pflegeleistung nicht hinnehmbar
Delphine Allaire und Mario Galgano - Vatikanstadt
Die französische Gesellschaft für Palliativbegleitung und -pflege ist der Ansicht, dass „die Parlamentarier den Zugang zum herbeigeführten Tod weiter geöffnet haben, als es Belgien und Kanada getan haben“, indem sie das Kriterium der kurz- oder mittelfristigen Lebensprognose durch den unschärferen und weiter gefassten Begriff „fortgeschrittene oder terminale Phase der Krankheit“ ersetzten.
In einer Botschaft an die Teilnehmer eines Symposiums, das von der Päpstlichen Akademie für das Leben vor zwei Wochen in Kanada veranstaltet wurde, hatte der Papst erneut betont, dass Sterbehilfe „ein Versagen der Liebe ist, das eine Kultur der Ablehnung widerspiegelt“. Die Theologin, Ärztin und Ethikprofessorin Marie-Jo Thiel, Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben, entschlüsselt die ethischen und anthropologischen Hintergründe für die Gesetzgebung über den Tod. Im Gespräch mit Radio Vatikan erläutert sie:
„Wir befinden uns in einer Steigerungsgesellschaft, in der jeder gerufen wird, für das Wachsen von Produktivität einzustehen und sich selbst zu bestimmen sowie Entscheidungen zu treffen. In der neoliberalen Welt, die von bestimmten post- und transhumanistischen Strömungen geprägt ist, wird diese Selbstbestimmung weitgehend als autark statt als relational verstanden. Das heißt, das Ich ist wichtiger als das Wir. Ausgehend von dieser Selbstbestimmung muss nach dieser Perspektive die Frage des Todes selbst beherrscht und kontrolliert werden. Jeder soll dann sagen können: ,Ich beanspruche für mich, zu diesem und jenem Zeitpunkt sterben zu wollen´“.
Umwälzungen
Es gebe somit anthropologische und metaphysische Umwälzungen, die den sensibelsten Teil des Gesetzestextes in Frankreich, nämlich die Beihilfe zum Suizid durch einen Dritten, impliziere, fügte sie hinzu:
„Die ersten vier Artikel des aktuellen Gesetzentwurfs beziehen sich auf die Palliativmedizin. Jeder ist für Palliativmedizin und -begleitung, aber in einem Drittel der französischen Departements gibt es keine stationäre oder ambulante Palliativversorgung. Ein Bericht, der der Regierung Ende 2023 über Begleitstrukturen vorgelegt wurde, diente als eine Falle. Denn Begleitung ist keine Pflege. Normalerweise sagt das französische Gesetz, wenn man von Palliativpflege spricht, dass die Pflege, ich betone die Pflege, und nicht nur die palliative Pflege, jedem zusteht. Dies ist derzeit nicht der Fall, da ein Drittel der französischen Departements keine solche Versorgung hat“.
Die Frage der Hilfe beim Sterben sei hingegen eine beträchtliche Umkehrung, denn den Tod zu geben sei nicht das Gleiche wie sterben zu lassen, erläutert die Fachfrau:
„Als Ärztin weiß ich nur zu gut, dass man mit der Komplexität bestimmter Fragen umgehen und sie verstehen muss. Nun ist die Übertretung eines Gesetzes nicht mit einer Gesetzesänderung vergleichbar, die besagt, dass dort ein Mensch das Recht hätte, einem anderen Menschen den Tod zu geben.“
Unklare Semantik
Die Begriffe Euthanasie und assistierter Suizid würden zugunsten der Formel „Hilfe beim Sterben“ umgangen, fügt sie an. Die Richtung der Debatte mit einer derart unklaren Semantik nehme eine bestimmte Wendung:
„Niemand ist eigentlich darüber im Bilde, was geschieht. Diese Debatte findet auch vor dem Hintergrund statt, dass die Verfassungsgerichte in Deutschland, aber auch in Italien, dazu neigen, Gesetze zu kippen, die den assistierten Suizid nicht erlauben.“
Das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte im November 2020 das Verbot von geschäftsmäßiger Sterbebeihilfe gekippt und den Gesetzgeber aufgefordet, eine Neuregelung umzusetzen. Allerdings fanden zwei Gesetzesentwürfe im deutschen Bundestag im Sommer 2023 keine Mehrheit, die Debatte geht weiter.
Zweitens würden die Bedingungen des Gesetzes in Frankreich viele Fragen aufwerfen. „Wird eine Patientenverfügung verpflichtend sein? Die Alzheimer-Krankheit ist derzeit nicht Teil des Gesetzentwurfs, ebenso wenig wie Minderjährige. In allen Ländern, in denen das Gesetz bereits in Kraft getreten ist, wurden diese Fragen jedoch sehr schnell wieder aufgegriffen“, so Marie-Jo Thiel.
(vatican news)
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