Erzbischof Heße in Kenia: „Einfachste Verhältnisse, große Aufnahmebereitschaft"
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Herr Erzbischof, die größten Flüchtlingslager der Welt stehen ja nicht etwa in Europa, sondern in armen Ländern, wie zum Beispiel Kenia. Sie wollten sich jetzt auf Ihrer Kenia-Reise als Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz ein Bild von der Lage machen. Welche Eindrücke haben Sie gewonnen?
Erzbischof Heße: Die Zahlen sind natürlich riesig. Ich bin in einem Flüchtlingslager gewesen, in Kakuma mit 300.000 geflüchteten Menschen. Das ist eine Stadt. Und dann kommt noch mal die einheimische Bevölkerung dazu. Und dann spricht man über eine halbe Million Menschen irgendwo im Nirgendwo. Kakuma heißt landläufig übersetzt: nirgendwo. In Ostafrika sind es 5 Millionen Flüchtlinge. Und dann gibt es noch mal 18 Millionen Binnenvertriebene. Und das Zweite, was mir in Erinnerung geblieben ist, sind natürlich einfachste Verhältnisse in den Flüchtlingslagern. Da fehlt es eigentlich an allem. Und trotzdem bin ich begeistert von dem, was dort geleistet wird, wenn man da eine Schule besucht, ein Krankenhaus besucht. Einfachste Verhältnisse, aber große Hilfsbereitschaft, große Aufnahmebereitschaft und Menschen, die wirklich etwas aus ihrem Leben machen, die sich nicht hängen lassen, die sich nicht selber aufgeben, sondern die versuchen, mit einfachsten Mitteln und miteinander einen Weg in ihre Zukunft zu machen. Sehr resiliente und starke Charaktere und Personen.
Welche Rolle spielen eigentlich Naturkatastrophen als Fluchtursache in Ostafrika?
Erzbischof Heße: Eine große. Wir hatten ja gerade vor einigen Wochen starke Flutkatastrophen, die Menschen zum wiederholten Mal ihre Lebensgrundlage entzogen haben. Und wenn man so durch Nairobi bei den abendlichen Regenfällen fährt, sieht man, zu welchem Chaos das führt. Es fehlt da auch an Kanalisation. Dann kann man sich schon einigermaßen ausmalen, wie das sein muss, wenn so eine Flut Katastrophe über längere Zeit ein Land prägt. Bei den Binnenvertriebenen sind wir einer Gruppe begegnet, da erzählt uns eine Frau, dass sie zum sechsten, siebten Mal alles verlassen musste. Und sie leben jetzt in simplen Zeltbehausungen mit Planen des Roten Kreuzes. Also Flut ist das eine. Und das andere ist natürlich Dürre. Wir sind in Regionen gewesen, gerade im Norden, wo es zum Teil seit ein paar Jahren nicht mehr geregnet hat. Der Klimafaktor ist da. Eine klimainduzierte Migration ist eindeutig gegeben. Diesen Herausforderungen zu begegnen, wird dort ziemlich schwierig sein. Deswegen ist es ganz gut, dass es zum Beispiel auch Projekte gibt, wo Menschen versuchen, landwirtschaftliche Bedingungen zu studieren und zu verbessern, damit man unter solchen Dingen trotzdem eine Lebensgrundlage schaffen kann.
Die deutsche Bundesregierung hat mit einigen Ländern Migrationsabkommen geschlossen. Es geht um die Rücknahme von Geflüchteten, die nach Deutschland gekommen sind, und im Gegenzug eine erleichterte Einreise aus diesen Ländern für Fach- und Arbeitskräfte. Und ein solches Migrationsabkommen will Berlin jetzt auch mit Kenia schließen. Wie beurteilen Sie das nach Ihrer Erfahrung im Land selbst?
Erzbischof Heße: Das Abkommen war hier und da Gespräch. Kanzler Scholz ist ja da gewesen und im Herbst wird Präsident Ruto aus Kenia nach Deutschland kommen. Insofern war das immer mal wieder Thema. Wenn es dabei fair zugeht und Kenia nicht gerade um die Fachkräfte gebracht wird, auf die das Land selber angewiesen ist, dann ist gegen so ein Abkommen überhaupt nichts zu sagen, sondern es kann ein Gewinn sein. Aber man muss auch sagen: Das wird aufs Ganze gesehen, glaube ich, keine Rolle spielen. Schon allein deshalb, weil Kenia glücklicherweise kein nennenswertes Herkunftsland von Asylbewerbern ist. Wir sprechen über kleinste Größen, um die es da geht.
Kenia ist kein Land, das derzeit groß in den Schlagzeilen ist. Die Tatsache, dass wenige Menschen von dort flüchten, scheint ja auch ein Indikator dafür zu sein, dass das Land in Ordnung ist. Wie geht es den Menschen dort im Großen und Ganzen?
Erzbischof Heße: Das Land scheint einigermaßen stabil zu sein, politisch. Man ist sehr praktisch orientiert. Man ist im Hinblick auf Flüchtlinge sehr aufnahmebereit und empfangsbereit. Alles in allem ist aber natürlich ein hoher Entwicklungsbedarf da und der ist sicher nun mal sehr unterschiedlich, wenn man Stadt und Land vergleicht. Es gibt dann gute landwirtschaftlich geprägte Gegenden wie in der Nähe von Eldoret. Aber wenn man weiter in den Norden geht, dann kommt man eben sehen viele Gegenden und da sind die Herausforderungen ziemlich schwierig. In der Nähe des Flüchtlingslagers Kakuma mussten wir feststellen, dass es zum Teil der einheimischen Bevölkerung schlechter geht als den Geflüchteten in den Camps, die dort eine garantierte Versorgung haben. Aber die einheimische Bevölkerung, die muss eben jeden Tag darum ringen und das Leben dort ist ziemlich hart. Deswegen bewundere ich schon, dass zum Beispiel Kirche mitten drin ist und dass sie sich ganz eindeutig auf die Seite der Armen und auch der Geflüchteten immer wieder konkret stellt.
Was gilt eigentlich das Engagement von Papst Franziskus in der Flüchtlingsfrage? Was haben Sie dazu gehört in Ostafrika?
Erzbischof Heße: Papst Franziskus ist ja in Kenia gewesen, und wir waren am letzten Abend noch in der Pfarrei in Kangemi, wo er selber auch gewesen ist. Daran erinnert auch noch eine Tafel dran. Das ist wohl sehr präsent. Das ist eine Pfarrei mitten im Slum. Die Menschen sind dort ganz tief im Glauben verwurzelt. Sie bringen von ihrem Glauben das auch immer wieder zum Ausdruck in feierlichen und engagierten Liturgien, wenn sie singen, wenn sie tanzen bei der Gabenbereitung, Glaube spielt für die Menschen dort eine große Rolle. Und die sind eigentlich ganz normal katholisch, das heißt, sie fühlen sich mit der Weltkirche verbunden. Einer sagte uns: Ich bin stolz, zur Kirche zu gehören. Ich bin stolz auf meine Kirche, das ist eine Selbstverständlichkeit. Und deswegen waren sie auch dankbar für den Solidaritätsbesuch, den wir gemacht haben. Denn Solidarität lebt auch immer davon, dass man sich sieht, dass man sich hört. Natürlich sind wir auch mit vielen Bitten bestückt worden. Die nehmen dann mit nach Hause und ich bin dankbar, die dann auch weitergeben zu können an die Hilfswerke und andere Institutionen, die im Land sich tatkräftig engagieren.
Papst Franziskus hat ja vor ungefähr einem halben Jahr die Möglichkeit eröffnet, dass auch homosexuelle Paare einen kirchlichen Segen erhalten können. Wir wissen, dass es da viele Proteste gab, aus Afrika zumal. War das im Zug Ihres Besuchs auf irgendeine Weise Thema?
Erzbischof Heße: Es war in der Tat Thema bei einer Begegnung mit Studierenden, mit Stipendiaten, mit denen wir zusammengekommen sind, die über die Flüchtlingssituation im Land gesprochen haben. Und da gab es eine Dame, die explizit auch in ihrem Vortrag über LGBTQ-Gruppen gesprochen hat und dieses Thema markiert hat. Sie hat sich offenbar in ihren Studien damit beschäftigt. Es scheint ein größeres Thema zu sein, als die offizielle Seite wahrhaben will. Uns ist auch begegnet, dass in einem der Lager eine Gruppe von homosexuellen Menschen sozusagen zusammen lebte, um sich zu schützen. Und die sind durchaus dort gewalttätigen Angriffen ausgesetzt. Man hat versucht, deren Hütten abzubrennen. Das ist im afrikanischen Kontext ein Thema, und zwar ein schwieriges Thema. Aber die Wirklichkeit ist vorhanden und bedarf ja der Diskussion, bedarf der Bearbeitung. Ich glaube, es braucht im ersten Schritt überhaupt erst mal eine Sprachfähigkeit dazu, weil natürlich die traditionellen Werte ganz anders ausgerichtet sind und sie offenbar im Moment sich noch sehr schwer mit dieser Wirklichkeit tun.
Wenn Sie an Ihre katholischen Gläubigen im Erzbistum Hamburg denken: Was würden Sie ihnen wünschen, mit welchen Augen sollen sie auf ihre Mit-Glaubenden in Kenia schauen?
Erzbischof Heße: Ich würde ihnen auch so einen Besuch wünschen. Für mich war es das dritte Mal in Afrika, zum ersten Mal in Kenia. Mich hat das bewegt: diese engagierten Gemeinden, die feierlichen Gottesdienste, dieser tiefe Glaube, der sich in einer großen Freude Bahn bricht, und das in einer Wirklichkeit, die ich als sehr viel herausfordernder ansehen würde als das, was ich von Europa, was ich aus Deutschland kenne. In einem der Camps bin ich einem Mann begegnet, der der Moderator der örtlichen Gemeinde ist. Und ich habe dann im Nachhinein erfahren, dass gerade erst sein Geschäft abgebrannt ist. Das heißt, er steht auch vor dem Nichts, aber im Glauben ganz stark, ganz einsatzbereit für diese Gemeinde. Und da sieht man, welche Triebfeder, welcher Motor der Glaube auch für das Leben dieser Menschen sein kann. Und das hat mich sehr beschenkt. Und ja, davon können wir uns richtig eine Scheibe abschneiden.
(vatican news - gs)
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