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Kardinal Pizzaballa in Gaza Kardinal Pizzaballa in Gaza 

Patriarch von Jerusalem: „Wir leben wie in einer langen Nacht“

Im Interview mit den vatikanischen Medien hat der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, betont, dass es immer noch schwierig sei, einen Weg zum Frieden im Heiligen Land zu sehen. Doch wenn jeder Barrieren errichte, müsse die Kirche stattdessen weiterhin ihre Hand nach dem anderen ausstrecken, so Pizzaballa über die Situation zwischen Israel und der islamistischen Hamas.

Andrea Tornielli und Mario Galgano - Vatikanstadt

„Der Moment ist sehr schmerzhaft, wir durchleben eine sehr lange Nacht. Aber wir wissen auch, dass Nächte enden. Dies ist der Moment, in dem die Kirche mit all jenen zusammenarbeiten muss, die bereit sind, etwas Schönes und Gutes für alle zu tun“, sagt Kardinal Pierbattista Pizzaballa auf der Durchreise in Rom gegenüber den vatikanischen Medien über die Situation in Israel, im Gazastreifen und im Westjordanland.

Zum Nachhören - was Patriarch Pizzaballa sagt

Zur aktuellen Lage in Israel und vor allem im Gazastreifen sagt er:

„Die Situation hat sich im Vergleich zu den letzten Monaten nicht sehr verändert, mit Höhen und Tiefen. Der Gazastreifen ist jetzt in Nord und Süd, Rafah und Gaza-Stadt geteilt. Es gab eine Zeit, in der vor allem im Norden mehr humanitäre Hilfe ankam. Jetzt ist es wieder ein bisschen kompliziert. Es fehlt zum Beispiel an Fleisch. Die Wasserversorgung ist problematisch, und wir können sagen, dass sich die Situation insgesamt sehr verschlechtert hat und es sehr schwierig ist, einen Ausweg zu finden.“

Wille fehlt

Er habe nicht den Eindruck, dass die Verhandlungen zu etwas führen würden und dass die Parteien wirklich zu einem Abschluss kommen wollten. Das sei es, was man wahrnehme, auch in Anbetracht der Front im Süden des Libanons, die sich immer mehr aufheize. Die Aussichten seien nicht gerade erfreulich, fügt Pizzaballa hinzu:

„Die Stadt Gaza ist völlig zerstört, und es gibt viele Opfer. Es ist schwierig, Zahlen zu nennen, aber sie sind sehr zahlreich. Es ist eine Tatsache, dass es immer viele zivile Opfer gibt.“

Auf die Frage, wie ein soziales Gefüge und ein Zusammenleben angesichts des Geschehenen wiederaufgebaut werden könnten, erklärt er:

„Ich denke, es ist zu früh, um darüber zu sprechen, denn der Krieg und das Trauma dauern noch an. Es wird Zeit brauchen, um das Ausmaß des Traumas, das alle betroffen hat, und seine Folgen zu verstehen. Es ist klar, dass ein Wiederaufbau stattfinden muss. Der Wille zum Wiederaufbau ist vorhanden, das habe ich sehr deutlich wahrgenommen. Aber auf welche Weise, nach welchen Kriterien und mit wem? Es ist noch zu früh, das zu sagen.“

Am Rand einer Explosion

Zur Lage im Westjordanland sagte der Patriarch von Jerusalem:

„Das Westjordanland steht immer am Rand einer Explosion, die Probleme sind kontinuierlich, praktisch täglich, vor allem in einigen Gebieten im Norden, in der Gegend von Jenin und Nablus. Es kommt immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Siedlern und arabischen Dorfbewohnern, was eine Situation der Zermürbung schafft, die zu nichts Gutem führen wird.“

In den vergangenen Wochen habe man in Israel eine sehr hitzige Debatte über die Zukunftsaussichten an der Grenze zum Libanon erlebt. Zu dem, was zu erwarten sei, sagt er:

„Die interne Debatte gibt es in Israel und auch im Libanon: Niemand will Krieg, aber es scheint, dass niemand ihn verhindern kann, und das ist das Problem. Sollte sich die Nordfront öffnen, wäre das eine Tragödie, vor allem für den Libanon, der Gefahr läuft, ein zweites Gaza zu werden, zumindest im südlichen Teil. Ich bin kein Militärexperte, aber die Lage bleibt sehr angespannt, immer am Rand einer weiteren Eskalation.“

Christen leben, was alle leben

Das Leben der Christen in einem solchen Kontext sei natürlich „kompliziert“, fügt Pizzaballa hinzu:

„Die Christen sind kein gesondertes Volk, sie leben, was alle leben. Wir kennen leider die Situation in Gaza, aber auch im Westjordanland ist sie sehr problematisch, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Es herrscht eine Situation der Lähmung, es gibt wenig oder keine Arbeit, und das macht die Aussicht auf Auswanderung immer attraktiver, leider besonders für Christen.“

„Die internationale Gemeinschaft muss einen Weg finden, um Israel und die Hamas dazu zu bringen, den Konflikt zu beenden und zu einem Waffenstillstand zu kommen, der einen ersten Schritt zu etwas Substanziellerem, Soliderem und Stabilerem darstellt“

Mit Blick auf die Zeit nach dem Krieg stelle sich die Frage, was die internationale Gemeinschaft tun könnte. Der Kardinal hat klare Vorstellungen davon, wer am meisten dazu beitragen könnte, den Frieden zu erreichen:

„Zum jetzigen Zeitpunkt Frieden zu schaffen, scheint ein zu fernes Ziel zu sein. Im Moment muss die Politik, die internationale Gemeinschaft, vor allem daran arbeiten, den Konflikt zu beenden. Frieden zu schaffen und zu ernsthafteren politischen Perspektiven zu gelangen, wird sicherlich viel Zeit in Anspruch nehmen. Die internationale Gemeinschaft muss einen Weg finden, um Israel und die Hamas dazu zu bringen, den Konflikt zu beenden und zu einem Waffenstillstand zu kommen, der einen ersten Schritt zu etwas Substanziellerem, Soliderem und Stabilerem darstellt.“

Doch auch der Ausgang der bevorstehenden US-Wahlen werde Einfluss auf diese Landschaft haben, bemerkt der Kardinal mit Blick auf die weltweite politische Gemengelage: „Sicherlich werden die US-Wahlen einen Einfluss haben. Ich glaube jedoch, dass Lösungen vor Ort gefunden werden müssen. Zwischen den beiden Seiten. Zwischen Israel und der Hamas“, fügt Pizzaballa in diesem Zusammenhang hinzu. Doch die Hilfe für den Gazastreifen sei derzeit eine Priorität:

„Es wird daran gearbeitet, und auch das Lateinische Patriarchat setzt sich dafür ein, dass die Hilfe ankommt. Morgen soll der erste Vorrat von einigen Tonnen an Lebensmitteln und lebensnotwendigen Gütern eintreffen. Es gibt so viel zu tun, es sind mehr als zwei Millionen Menschen.“

Hoffnung ist ein Kind des Glaubens

Die Hoffnung sei ein Kind des Glaubens, bermerkt Kardinal Pizzaballa abschließend.  Zwar sei die aktuelle Lage schmerzlich, doch die Christen wüssten, dass auf die schlechten wieder gute Zeiten folgten. Für die Kirche bedeute dies, dass sie präsent sein und mit gutwilligen Menschen zusammenarbeiten müsse.  

(vatican news)

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26. Juni 2024, 10:12