Erneut Geiseln in Gaza getötet, unter ihnen Hersh, Rachels Sohn
Roberto Cetera
Ich traf Rachel ein paar Tage nach dem 7. Oktober. Ein israelischer Freund hatte uns miteinander in Kontakt gebracht. Ich rief sie an und schlug vor, dass wir uns in einer Bar in der Altstadt oder in einem Hotel treffen sollten. Aber sie bestand darauf, dass ich zu ihr nach Hause komme, wo sie zusammen mit ihrem Mann Jon und den beiden jüngeren Schwestern von Hersh war. Es macht einen großen Unterschied, wenn ein Interview im Haus des Gesprächspartners stattfindet. Man versteht so viel mehr, man tritt in seine Intimsphäre ein.
An diesem stillen, noch sommerlichen Morgen im Spätoktober ließ ich mich auf ihren Schmerz ein, auf ihre religiöse Sensibilität, ihre zarte und kraftvolle Stärke, ihr Mitgefühl für die Leidenden. Und dabei blieb es. Denn während dieser elf Monate des Kampfes und des Schmerzes sahen wir uns immer wieder bei anderen Gelegenheiten. Mir gefällt es, zu sagen, dass wir Freunde wurden. Wir sprachen nicht über die Entführung, nicht über den Krieg oder die Politik, sondern sie erzählte mir alles über Hersh. Über seine 23 Jahre. Davon, dass er acht Jahre alt war, als sie von den USA nach Israel gezogen sind. Von seiner Neugierde auf die Welt und die Menschen. Von seinen Reisen per Anhalter durch Europa. Von seiner Liebe zu Italien. Von den Tickets, die er bereits gekauft hatte, um ein Jahr lang um die Welt zu reisen. Von seiner Leidenschaft für die Musik, die ihm später bei diesem verdammten Supernova-Konzert zum Verhängnis wurde. Von seiner Ausbildung zum Rettungssanitäter („aber sag das nicht, weil es für ihn gefährlich werden könnte, wenn die Entführer davon erfahren“). Von seiner ausgeprägten Kontaktfreudigkeit, die ihm viele Freunde einbrachte, „sogar Araber“. Kurzum, ein einfaches und bündiges Porträt eines guten Menschen voller Lebensfreude.
Ich war beeindruckt von der Gelassenheit dieser Frau, die Ausdruck einer tiefen inneren Spiritualität ist. Und ich war beeindruckt von ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit, Stärke und Sanftheit zu verbinden. Kein Wort der Wut, der Verzweiflung oder des Grolls kam aus ihrem Mund. Sondern nur Worte der Liebe: „In Gaza gibt es Mütter, die so leiden wie ich, und viele noch mehr als ich, weil sie nicht einmal mehr Hoffnung haben“, oder „Ich bin überzeugt, dass Hersh jetzt auch in Gaza von einer Mutter betreut wird, und das tröstet mich, denn Mütter kennen keinen Hass“.
Ihre Geschichte hat mich stark berührt. Sie hat es bemerkt. Wir umarmten uns innig. Eine Umarmung, die das Zeichen eines Paktes war. Es schien ein wenig paradox, dass sie es war, die mich tröstete. Bevor sie ging, sagte sie zu mir: „Könntest du Papst Franziskus eine Nachricht zukommen lassen?“ „Ich weiß es nicht, wir werden es versuchen“. Wir nahmen ein kurzes Video auf, in dem Rachel um nichts bat, sondern dem Papst für seine Worte und Gebete für die Freilassung der Geiseln dankte. Sobald ich die Treppe herunterkam, schickte ich das Video an meinen Chefredakteur, damit er einen Weg finden konnte, es dem Papst zu zeigen. Ein paar Tage später beschloss der Papst, eine Delegation von Verwandten der Geiseln im Vatikan zu empfangen; Rachel war diejenige, mit der er sich am längsten unterhielt. Als sie herauskamen, wurden sie von israelischen Leibwächtern eskortiert, die Journalisten daran hinderten, sich ihnen zu nähern.
Sie war überrascht, mich in Rom zu sehen, und stahl sich aus dem Pulk, um mich zu umarmen und mir ihre Rührung bei der Begegnung mit dem Papst mitzuteilen. In diesen elf Monaten sahen wir uns dann noch mehrere Male. Ich habe sie Kardinal Zuppi vorgestellt, als er nach Jerusalem kam. Das letzte Mal vor ein paar Wochen mit unserer Kollegin Maria Gianniti des Senders RAI, die ihr ein schönes Interview gewidmet hat. Sie erzählte mir von den Trost, den ihr das ständige Beten der Psalmen gab. Und, immer hoffnungsvoll, sagte sie mir: „Sobald sie ihn freilassen, wirst du zu den ersten gehören, die ich anrufe, um mit uns zu feiern“.
Am Samstagabend erhielt ich dann einen Anruf von einem israelischen Freund: „Es tut mir leid, dir das zu sagen, aber sie haben sechs Leichen in Gaza gefunden, und es scheint, dass eine davon Hersh ist.“
Hersh wird nicht mehr zurückkommen. So haben es die Hamas-Verbrecher beschlossen, und diejenigen, die wegen ihrer eigenen armseligen Interessen nicht über seine Freilassung verhandeln wollten.
In diesen elf Monaten habe ich schreckliche Dinge gesehen und geschrieben. 40.000 Tote in Gaza, viele im Alter von Hersh. Aber dieser Anruf stürzte mich in Verzweiflung. Denn so wie ich in das Leben von Rachel und Jon eingetreten war, so war Hersh in meines eingetreten.
Rachel sagte mir einmal: „Ich weiß, dass ihr Christen viel über Vergebung nachdenkt. In dieser Situation von Vergebung zu sprechen, ist schwierig, vielleicht unmöglich. Aber es gibt eine Sache, die den Weg für zukünftige gegenseitige Vergebung öffnen kann. Und das ist, sich des Leidens der anderen bewusst zu sein. Wir sind nicht die einzigen, die leiden. Hinter der Mauer in Gaza gibt es so viele unschuldige Menschen, die leiden. Wir können das nicht ignorieren“.
Rachel ignoriert es nicht.
(l'osservatore romano - cs)
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