Erzbischof im Libanon: „Keiner will Krieg“
Zumindest diejenigen, die in der Region geblieben sind – denn seit dem 8. Oktober des vergangenen Jahres sind Tausende von Menschen aus den Dörfern unweit der israelischen Grenze geflohen, um in Beirut oder anderen Städten weiter nördlich Zuflucht zu finden. Seitdem kommt es täglich zu Kämpfen zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah.
Klar, dass die Angriffe auf Telekommunikationsgeräte der schiitischen Miliz in den letzten Tagen für zusätzliche Angst und Unsicherheit sorgen. Aber das ist nur ein zusätzlicher Dominostein in einem seit Monaten andauernden Spiel der Angst, sagt uns Charbel Abdallah, der maronitische Erzbischof von Tyrus, der großen Stadt im Süden des Libanon.
Eine Frage von Leben oder Fortbestand
„Es sind nicht so sehr die Ereignisse, die vor kurzem stattgefunden haben, die uns in Sorge und Angst vor der Zukunft versetzen, denn tatsächlich befinden wir uns hier im Süden, im Grenzgebiet, und hier verschärft sich die kriegerische Situation immer mehr. Es ist immer häufiger und sozusagen schärfer von einem bevorstehenden Krieg die Rede. Für uns ist das eine Frage von Leben oder Fortbestand, also ob wir in diesem Gebiet bleiben können.“
Da hat der Erzbischof vor allem die Schulen im Auge. Und den Anfang des nächsten Monats. Am 8. Oktober wird es ein Jahr sein, dass die Hisbollah ihre Aktionen gegen Israel gestartet hat. Damit wollte sie für Israel eine zweite Front öffnen, um die Hamas-Terroristen im Gazastreifen zu entlasten.
Im Oktober sollen die Schulen wieder öffnen - eigentlich
„Wir stehen vor einer großen Herausforderung, vor allem weil im Oktober die Kinder und Jugendlichen in ihre Schulen zurückkehren sollen. Und jetzt haben sie ein ganzes Jahr außerhalb der Schule verbracht. Wenn die Schulen in diesem Jahr nicht geöffnet werden, dann riskieren wir, viel zu verlieren – denn dann sind die Menschen und Familien tatsächlich dazu verurteilt, die Region zu verlassen.“
Die israelische Armee hat erneut Luftangriffe auf Stellungen der Hisbollah und ein Waffenlager im Südlibanon durchgeführt. Derweil hat die Regierung von Benjamin Netanjahu angekündigt, zusätzliche Truppen in den Norden des Landes zu verlegen, nah an die Grenze zum Libanon. „Wir hören immer häufiger solche Reden“, sagt Abdallah dazu. „Und diese Reden geben uns natürlich noch mehr Anlass zur Sorge, da die Menschen in sehr prekären sozialen und finanziellen Verhältnissen leben.“
Beten gegen die Eskalation
Keiner im Süden des Libanon wolle Krieg, beteuert der Erzbischof, alle wollten nichts als Frieden.
„Die Menschen können den Gedanken an einen neuen Krieg nicht ertragen, weil wir den Krieg von 2006 noch nicht vergessen haben. Der ist immer noch in den Köpfen der Menschen. Wir haben diesen Krieg nicht vergessen, weder physisch noch psychisch. Wir wollen in unsere Häuser, auf unser Land, zu unserer Arbeit, zum normalen Leben zurückkehren. Dabei wissen wir, dass der drohende Krieg nicht nur den Süden betrifft. Der ganze Libanon ist von dieser Gefahr bedroht.“
Die Christen im Süden wissen, dass sie einen Krieg nicht durch schlaue Analysen oder „durch Reden“ aufhalten können, so Abdallah. „Es gibt den Reflex, sich dem Gebet anzuvertrauen. Alle Priester in den Pfarreien haben Gebetsmaßnahmen ergriffen, so gibt es beispielsweise jeden Tag den Rosenkranz oder eine Stunde der Anbetung mit den Menschen. Wir versuchen, den Geist im Gebet wieder aufleben zu lassen, um den Frieden des Herrn zu erbitten.“
Das Interview mit Erzbischof Abdallah führte Olivier Bonnel von Radio Vatikan.
(vatican news – sk)
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