Benediktiner im Heiligen Land: „Wir bleiben hier!“
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Seit zwölf Monaten seien die Benediktiner in ihren zwei Klöstern – in Jerusalem auf dem Zionsberg, und in Tabgha am See Gennesaret – von einem „Ozean von Leid umgeben“, so der 45-jährige deutsche Theologe, der im Februar letzten Jahres zum Abt gewählt wurde.
„Unfassbares Leid, auf der israelischen wie auf der palästinensischen Seite! Und was wir versuchen, ist mit unseren beiden Klöstern Hoffnungsinseln zu sein. Da zu sein – als Ausländer auszuharren.“ Viele europäische Staaten, darunter Deutschland, hätten Reisewarnungen für die Region ausgesprochen. „Aber wir sagen: Nein, wir gehören hierhin, wir bleiben hier! Und zwar mit offenen Türen. Beide Klöster waren nicht einen Tag lang geschlossen, auch unsere Läden nicht, unsere Cafeteria nicht.“
Ein Ozean von Leid
Abt Nikodemus spricht von einem „ganz wichtigen Zeichen“, das die Gemeinschaft allerdings finanziell stark belaste. „Ich habe 24 lokale Mitarbeiter - Juden, Christen, Muslime. Die Christen unter ihnen sind palästinensische Christen. Wenn ich die entlassen würde, würde ich die direkt zu Bettlern machen…“ Auch in dieser Hinsicht sei jetzt das Ausharren, die benediktinische Stabilitas wichtig.
„Meine Mitarbeiter haben zusammen 29 Kinder im schulpflichtigen Alter. Das heißt, da hängen ja ganz, ganz viele Familien, ganz viele Biografien und menschliche Leben dran! Und deswegen die Entscheidung meiner Gemeinschaft: Wir stehen mit unseren Mitarbeitern zusammen, wir entlassen niemanden, und wir öffnen jeden Tag treu unsere gesamte Infrastruktur für Pilger. Das bedeutet, dass wir manchmal eben nur vier Cappuccino am Tag verkaufen. Davon kriege ich nicht mal die Stromrechnung bezahlt.“
Auf Kultur setzen, um Menschlichkeit zu vermitteln
Es gehe, in dieser wie in jeder Hinsicht, um das klare Signal: Wir sind da. Und wir gehen nicht, auch wenn die Umstände schwierig werden. Das wollen die Benediktiner von Jerusalem und Tabgha auch über die religiösen Kreise hinaus, in die Gesellschaft hinein vermitteln. Dazu öffnen sie ihre Räume für Konzerte und Ausstellungen – in einem Moment, in dem dem kulturellen Leben die Puste ausgegangen ist.
„Wenn wir gemeinsam glauben als Juden, Christen, Muslime, dass jeder Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist – wenn wir sagen, das ist ja etwas, was uns ganz kostbar ist, also nach dem Bild des „‘Creator‘, des Schöpfers… dann kommt, glaube ich, jeder Mensch mit seiner Würde am meisten im Kontakt, wenn er schöpferisch sein darf, wenn er kreativ sein darf. Und deswegen haben wir gesagt: Ja, wir wollen auch Menschen einen Ort beziehungsweise zwei Orte anbieten, wo sie sozusagen Kultur tanken können und auch erleben: Ja, ich bin mehr als nur so ein höheres Säugetier. Es geht mehr als nur darum, mir Kalorien zuzuführen, mich irgendwie zu kleiden, ein Dach über den Kopf zu haben, sondern wirklich: Ich bin Mensch! Denn das kommt gerade total unter die Räder.“
Nicht Tiere oder Monster, sondern Menschen
Das Schlimmste am derzeitigen Krieg sei „diese Dehumanisierung, diese Entmenschlichung“, so Nikodemus Schnabel. Wenn politisch oder militärisch Verantwortliche den Gegner nur noch als „Tier“, als „Monster“ darstellten. Aber auch, wenn Diskussionen über humanitäre Hilfe sich vor allem darum drehten, wie viel Kalorien der Mensch brauche, um noch gerade so zu überleben.
„Da glaube ich, dass es wichtig ist, dass wir sagen: Nein, jeder Mensch – wirklich jeder – ist nach dem Bild Gottes geschaffen und hat eine unverlierbare Würde.“ Wenn das im Blick bleibe, dann werde auch irgendwann mal eine Friedenslösung für die Region vorstellbar. „Gott hat uns die Fähigkeit zur Kommunikation geschenkt. Und ich finde, Friede ist möglich, wenn sich einfach beide Seiten hinsetzen (vielleicht mithilfe von anderen) und sagen: So, was sind deine Anliegen, was sind meine Anliegen? Was sind deine Ängste, was sind meine Ängste? Was sind deine Sehnsüchte, und was sind unsere? Und wenn sie sich dann einfach einigen.“
Was wirklich göttlich ist
Es sei wichtig, „die unteilbare Würde eines jeden Menschen“ jetzt „starkzumachen“, so Abt Nikodemus. Das, was aus der Sicht aller drei großen monotheistischen Religionen „wirklich göttlich ist: die Menschenwürde“. Das sei ein Punkt, „wo wir als Menschen alle sehr, sehr demütig werden müssten und uns, glaube ich, auch ziemlich versündigt haben“. Oft würden die Dinge in diesem Bereich sprachlich verunklart: „Also, Soldaten ‚fallen‘, Terroristen werden ‚neutralisiert‘ und es gibt dann halt ‚Casualities‘, also irgendwelche ‚Vorfälle‘. Dabei wird völlig verschleiert, dass eigentlich die Menschheit gerade verliert. Wir reden darüber: Menschen töten Menschen. Menschen werden durch Menschen getötet. Und ich glaube, diesen Skandal dürfen wir nicht weichzeichnen, sondern hier ist wirklich eine Niederlage der Menschheit.“
In den beiden Klöstern der Benediktiner sei „jeder, der Mensch ist, als Mensch willkommen“, formuliert Nikodemus Schnabel. Hier werde nicht gefragt „Was ist deine Religion, was deine Hautfarbe, was ist deine Muttersprache, was dein legaler Status?“ Jeder Mensch solle hier die Möglichkeit haben, seine „unfassbare, kostbare Würde zu erleben“. Er sei, so der Benediktiner, „ein Mensch der Hoffnung“.
Doppelte Verliebtheit
„Wir Mönche als Benediktiner haben ja sozusagen eine doppelte Berufung und eine doppelte Verliebtheit; wir stehen ja sozusagen auf zwei Beinen. Das eine ist dieser Way of life, dieser, sag ich mal, Lebensstil von Mönchen, also Gebet, Arbeit, Studium, stark rhythmisiertes Leben. Und dann gibt es - und das ist eben für einen Benediktinermönch unaufgebbar – die Berufung zum ganz konkreten Ort. Wir sind Liebhaber des Ortes. Deswegen kann ich jetzt auch so ganz treu sagen: Ich bleibe in Jerusalem, wir bleiben in Tabgha - denn wir haben nicht nur entschieden, dass wir Mönche sein wollen, sondern ganz konkret Mönche im Heiligen Land.“
Im übrigen seien die beiden Orte, die den Benediktinern im Heiligen Land anvertraut seien, wunderbar. „Zwei kostbare biblische Orte. Zum einen der Ort der Speisung der 5000, der wunderbaren Brotvermehrung. Zum anderen Jerusalem, der Ort der Entschlafung Mariens, und von Pfingsten, vom Letzten Abendmahl. Und beide Orte sind österliche Orte. Die halten mir den Spiegel vor, so dass ich mich fragen muss: Okay, also bin ich jetzt ein österlicher Mensch, ja oder nein? Denn was wir Christen an Ostern – und damit eigentlich an jedem Sonntag – feiern ist doch das Folgende: Da, wo wir Menschen nur eine Wand sehen, Tod, Vernichtung, Ende, da kann Gott neues Leben schaffen. Einen Neuanfang. Versöhnung, ja Zukunft. Deswegen sage ich: Ich bin einfach unverwüstlich! Ein offener Mensch - weil ich ein österlicher Mensch bin.“
(vatican news)
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