Im Bus nach Baku: Misereor fordert beim COP29 mehr Einsatz für Klimaziele
Christine Seuss - Vatikanstadt
Das Misereor-Team ist statt mit dem Flugzeug mit dem Bus von Aachen nach Baku gereist, um ein Zeichen zu setzen gegen Treibhausemissionen. Auch in Aserbaidschans Hauptstadt selbst bewegen sich die Mitarbeiter des katholischen Hilfswerks, die die Arbeiten beim COP29 dynamisch begleiten, mit dem Fahrrad und dem Bus, berichtet uns Misereors Klimaexpertin Madeleine Wörner, die selbst vor Ort ist. Allerdings ist dieser Beitrag nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, angesichts des Zögerns auf internationaler Ebene, ambitionierte Klimaschutzziele nicht nur vorzulegen, sondern auch umzusetzen und finanziell zu unterstützen. Viele Hoffnungen ruhen auf der Zivilgesellschaft, die unter anderem durch Observer bei der Klimakonferenz vertreten ist. Es sei nun vor allem dringend nötig, auch die jüngste Globale Bestandsaufnahme aktiv anzugehen und generell energisch auf das Ende der Nutzung fossiler Energien hinzuarbeiten, so Wörner. Wir sprachen mit ihr.
Radio Vatikan: Frau Wörner, Sie sind für Misereor in Baku und verfolgen dort die Klimakonferenz COP 29. Gerade erst hat auch Papst Franziskus an diese Klimakonferenz in Baku appelliert, einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Inwieweit wird denn dieser Appell des Papstes bei den Teilnehmern der Konferenz gehört? Und was für eine Rolle spielt er?
Madeleine Wörner (Energiereferentin und Klimaexpertin bei Misereor): „Papst Franziskus hat in seinem Appell ja die Rolle der internationalen Zivilgesellschaft hervorgehoben und auch die Relevanz des Klimaschutzes, des Schutzes des gemeinsamen Hauses, und das interpretiere ich als Klimaschutz und Fortschritte in der Umsetzung der Klimakonferenz. Die Zivilgesellschaft spielt hier eine sehr wichtige Rolle. In der Eröffnung wurde auch nochmals darauf hingewiesen, dass die Observer, also die Beobachtungsorganisationen, die meist durch die Zivilgesellschaft gestellt werden, auch bei wirklich bei allen Sitzungen teilnehmen sollen. Das bedeutet also Offenheit für die Zivilgesellschaft und auch, dass die Inputs von der Zivilgesellschaft sehr wertgeschätzt werden. Und dementsprechend würde ich sagen, die Zivilgesellschaft bekommt hier eine Rolle. Allerdings muss man auch sagen, dies geschieht in einem Kontext, in einem Land, in dem die Zivilgesellschaft eigentlich nicht so viel zu melden hat.“
Radio Vatikan: Eines der Hauptthemen bei dieser Klimakonferenz sind ja auch die Finanzmittel für Klimaschutz. Was müssen wir uns denn darunter vorstellen?
Wörner: „Ja genau. Wir sprechen hier über NCQGs, das ist eine Abkürzung und bedeutet New Collective Quantified Goals. Das ist sehr kompliziert, wie zugegebenermaßen vieles hier. Es geht um ein Finanzierungsziel, das die Menge und die Art des Geldes definiert, das nach dem Verantwortungsprinzip an Länder des globalen Südens gezahlt werden muss, also beispielsweise auch an Partnerländer von Misereor in vielen Kontexten. Und dieses Geld soll gezahlt werden zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden, aber eben auch von ,Verschmutzern‘ der Umweltbedingungen, um die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zu gewährleisten. Und da gibt es viele entscheidende Fragen. Die Zivilgesellschaft fordert hier mehrere Trillionen, um überhaupt den Finanzierungsbedürfnissen gerecht zu werden. Es geht um die Länder und um die Staaten, die in dieses Ziel einzahlen müssen. Das sind natürlich ganz klassischerweise Industriestaaten, die durch den Ausstoß der fossilen Brennstoffe profitiert haben, aber eben auch um Länder, die aktuell sehr hohe Levels an Treibhausgasemissionen haben. Das ist eine Forderung von vielen Industriestaaten, und darüber wird diskutiert. Daran wird sich auch entscheiden, ob wir eine Finanzierung bekommen. Und ja, wir haben die Hoffnung, dass das Finanzierungsziel hoch genug sein wird, um wirklich effektiv Klimaschutz, Klimaanpassung und auch ,Loss und Damage‘, also die Reaktion auf Extremwetterereignisse oder auch die Entschädigung an Orte, die jetzt nicht mehr bewohnbar sind durch die Klimakrise, dass das alles möglich wird und dass quasi das Finanzierungsziel dazu beiträgt, dass das Pariser Klimaabkommen weiter umgesetzt werden kann und auch erfolgreich weiter umgesetzt werden kann. Aber eben von allen Staaten und nicht nur denen, die besonders viel Geld zu Verfügung haben.“
Alle Staaten müssen mit anpacken
Radio Vatikan: Ja, inwieweit ist das denn realistisch? Hat sich denn in den Industrienationen und auch in denen, die jetzt aufstreben und besonders viele Treibhausgase ausstoßen, die Erkenntnis durchgesetzt, dass eventuell die Folgen von Klimakrisen teurer sind als eine Intervention, jetzt, wo noch etwas zu retten wäre?
Wörner: „Klimaschutz ist tatsächlich hier auf dieser Konferenz von der Präsidentschaft und auch von vielen Staaten, die absolut kein Interesse daran haben, ein sehr blockiertes Thema. Wir suchen gerade auch vergeblich nach einem Ort, wo wir gut darüber diskutieren können. Klimaschutz an sich steht gerade auf der Agenda, also dass das globale Energiepaket umgesetzt wird, aber auch, dass wir Orte finden, wo wir darüber sprechen können. Was bedeutet es, aus den fossilen Energien auszusteigen? Welche Finanzierungsmittel braucht es, um die erneuerbaren Energien voranzubringen? Das sind Diskussionen, die hier stattfinden müssen. Und daran muss sich die Präsidentschaft messen lassen können, ob sie Raum dafür bieten, dass wir genau diese Diskussion auch führen können.“
Radio Vatikan: Inwieweit ist denn die Klimakonferenz überhaupt glaubwürdig, wenn der Ausrichter, in diesem Fall Aserbaidschan, im Prinzip schon erklärtermaßen nicht bereit ist, sehr ambitionierte Extraktionspläne zu revidieren, die ja letztlich zu einer Erhöhung des Ausstoßes führen würden und nicht zu einer erhofften und geforderten Verringerung...
Wörner: „Ja, das stimmt. Wir brauchen bis 2035 eine Reduktion von 55 Prozent der Treibhausgasemissionen, um weiterhin einen lebenswerten Planeten zu haben. Drei Länder - also Aserbaidschan, Brasilien und die Vereinigten Arabischen Emirate - haben, wenn ihren aktuellen Plänen gefolgt wird, eine Steigerung von über 30 Prozent vor. Das ist komplett gegen jeglichen Klimaschutz und widerspricht auch der Zusage, dass sie 1,5 kohärente NDCs und Klimabeiträge herausbringen möchten. Das ist ein großer Skandal. Das muss sich ändern. Die Länder müssen sich hier beweisen und weiter vorankommen. Und die Hoffnung ist auch, dass die Zivilgesellschaft sich da weiter einbringt. Aber es braucht tatsächlich ein Umdenken der Staaten. Eine Hoffnung ist, dass aktuell das globale Tipping erreicht ist, also dass vermutlich dieses Jahr die maximalen Treibhausgasemissionen erreicht wurden und es danach quasi eine Verminderung gibt auf globalen Level. Das würde bedeuten, dass fossile Extraktion teurer werden und erneuerbare Energien entsprechend günstiger. Und das würde wirtschaftlichen Druck machen. Aber auch der Ausstieg aus den Fossilen, der ja bereits beschlossen ist, wenn der jetzt in die Umsetzung kommt, erhöht den Druck, dass das fossile Geschäftsmodell zu Ende geht und eben auch diese Staaten sich am Ende beugen müssen und ihr Geschäftsmodell nicht noch weiter fortführen können.“
Radio Vatikan: Es gibt ja die nationalen Klimabeiträge, die in Paris beim Klimagipfel 2015 vereinbart wurden. Kann man denn beobachten, dass die Staaten sich wenigstens an diese bereits getroffenen Zusagen halten?
Wörner: „Tatsächlich haben wir einige Klimapläne mit der Ambition 2035 schon vorliegen, besonders durch die Troika (COP28-Gastgeber VAE, COP29-Gastgeber Aserbaidschan und COP30-Gastgeber Brasilien, Anm.). Da ist auch Aserbaidschan Mitglied. Die hinken aber weit hinter dem her, was es wirklich braucht, um effektiven Klimaschutz umzusetzen. Die hinken auch weit hinterher, was ambitionierte Klimapolitik betrifft, um weiterhin Leben auf diesem Planeten zu erhalten. Das heißt, da muss nachgebessert werden. Es werden im Februar ja die Klimapläne fällig sein. Bis dahin müssen die Staaten sich einig werden. Es ist mittlerweile schon klar, dass viele Staaten einfach verspätet ihre Klimapläne einreichen werden. Das sollte dann auch genutzt werden, um die Ambitionen zu steigern und auch die Finanzierung dieser Pläne sicherzustellen. Und das ist die Hoffnung, die wir hier auch als Zivilgesellschaft haben.“
Radio Vatikan: Ja, ein weiterer Fokus bei dieser Klimakonferenz ist ja die Globale Bestandsaufnahme, mit der die zugesicherten Klimabeiträge auf ihre Umsetzung überprüft werden. An welchem Punkt sehen Sie die internationale Gemeinschaft denn da?
Wörner: „Genau, das ist im Pariser Abkommen so vorgesehen. Alle fünf Jahre sollen die Staaten quasi ein Fazit ziehen: Wie weit sind sie gekommen? Wo stehen Sie gerade? Das haben wir letztes Jahr gemacht. Und jetzt geht es darum, diese Bestandsaufnahme in die Umsetzung zu bringen. Also, wir haben verschiedene Agenda-Punkte, an denen das passieren kann. Das startet jetzt alles erst. Es gab in den letzten Tagen allerdings schon Agenda-Streit um einen der Punkte, nämlich den UAE-Dialog. In diesem durch die Vereinigten Arabischen Emirate gesteuerten Dialog geht es darum, dass Staaten sich darüber austauschen, welche Finanzierungsmittel sie zusagen und was es für die Umsetzung auch bedeutet, wenn diese Finanzierung ausgezahlt wird. Darum gab es einen Streit. Also es bleibt spannend, wie das hier vorangeht, wie die Implementierung vorangeht. Ganz wichtig ist, dass sich die Staaten darauf einigen, wie sie mit der Abkehr der fossilen von den fossilen Energien vorangehen. Und auf der anderen Seite ist auch ganz wichtig, dass sie sich da drüber verständigen und einen Ort finden, wo und wie erneuerbare Energien verdreifacht werden können. Denn das wurde bei der globalen Bestandsaufnahme im letzten Jahr beschlossen.“
Radio Vatikan: Was ist denn Ihre Hoffnung? Die Hoffnung von Misereor, jetzt ganz konkret für die aktuelle Klimakonferenz?
Wörner: „Wir haben auf der einen Seite die Hoffnung, dass sich die EU auch im aktuellen geopolitischen Kontext stark aufstellt, sich stark für den Klimaschutz einbringt und auch Ankündigungen macht, wie sie selbst das machen möchte. Die EU wird ihren Klimabeitrag vermutlich erst Ende des nächsten Jahres rausbringen und die Deadline im Februar werden sie verstreichen lassen. Das heißt, es braucht jetzt starke Signale durch die EU, dass Klimaschutz weiterhin ein wichtiges Thema ist. Und auf der anderen Seite erhoffen wir uns ganz stark, dass diese Konferenz einfach zu mehr Vertrauen im internationalen multilateralen Raum beitragen kann. Wir sehen ja die vielen Verwerfungen, die es in den letzten Jahren gegeben hat, und das hat natürlich auch Auswirkungen darauf, inwiefern Klimaschutz global umgesetzt wird.“
Radio Vatikan: Vielen Dank und viel Glück weiterhin für die Arbeit.
(vatican news)
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