Unser Medientipp: Cautela! Prävention stärken - Heilung fördern
Christine Seuss - Vatikanstadt
Hinter dem Projekt steht der Jesuitenpater und Filmproduzent Christof Wolf. Er erklärt im Gespräch mit Vatican News: „Cautela ist ein Programm, um zu lernen, wie man mit Themen von Missbrauch und Mobbing umgeht und wie man die Menschen dafür sensibilisiert.“ Die Idee zu einem fiktionalen Filmprojekt liege eigentlich nahe, auch wenn bislang noch nicht viele derartige Angebote auf dem deutschsprachigen Markt seien, erläutert Wolf.
Denn eine rein rationale Ansprache, wie sie bei Vorträgen oder Fortbildungen geschehe, erziele oft nicht die gewünschte Wirkung, helfe nicht dabei, eine „Kultur zu verändern“: „Das Medium, das das leistet, ist der Film. Denn der bietet zwei Möglichkeiten, zunächst einmal das Identifikationsangebot, aber auch das Distanzierungsangebot. Also, das bin nicht ich, sondern es ist eine Filmfigur, der etwas widerfährt. Das heißt, damit habe ich eine gewisse Distanz und kann etwas formulieren, was ich vielleicht selbst erlebt, aber mich nie zu sagen getraut habe.“
Das Programm besteht aus drei Filmen – je einem für Kinder, für Lehrkräfte und für Eltern – sowie einem Arbeitsbuch, es ist als Klassensatz zum Selbstkostenpreis erhältlich. „Es ist schwierig, mit so einem Thema Geld verdienen zu wollen“, sagt uns Pater Wolf. „Da müssen wir als ganze Gesellschaft an einem Strang ziehen. Bei diesem Projekt geht es nicht ums Geldverdienen, sondern um die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung.“
Es wäre ohnehin schwierig, die jahrelange Arbeit der Experten aus Pädagogik, Medien(-pädagogik) und Schulwesen beziffern zu wollen – mit seiner jesuitischen Produktionsgesellschaft war es für Wolf von vorne herein klar, dass es ein „Verlustprojekt“ werden würde. Doch er wünscht sich, damit nicht weniger als einen Kulturwandel einzuleiten, zu fördern und zu unterstützen: „Vielleicht macht man in ein paar Jahren auch andere Filme, aber man muss verstehen, dass es sich um einen langen Prozess handelt. Wir haben damals auch mit den Amerikanern gesprochen, also mit den Chefentwicklern der ersten Präventionsprogramme, und es war sehr schnell klar, dass der Kulturwandel Jahrzehnte dauern würde. Es hat nämlich viel mit Macht zu tun und Macht wird oft ungern geteilt. So etabliert sich sozusagen die Basis der Grenzüberschreitungen. Gerade in pädagogischen Situationen herrscht ein ungleiches Machtverhältnis, in dem der Schüler sich auf einer untergeordneten Ebene als der Pädagoge befindet.“
Die haben auch bei der Erstellung des Multimediaprojektes kräftig mitgewirkt, in Zusammenarbeit mit dem Münchner Pater-Rupert-Mayer-Gymnasium und dessen Lehrern, Schülern und Eltern wurden das Arbeitsbuch und die Filme mehrfach getestet und bewertet: „Diese Tests und ihr Feedback sind sehr wertvoll, denn dank ihnen können wir beweisen, dass es wirklich funktioniert,“ zeigt sich Pater Wolf dankbar für die „geballte pädagogische Kompetenz", die in das Projekt eingeflossen ist.
In dem Film, der sich an die Pädagogen richtet, geht es um den Fall eines ehemaligen Kollegen, der wegen Missbrauchs eines Schülers verurteilt wird. Die Kollegen müssen sich selbst der Frage stellen: „Warum habe ich selbst nichts gemerkt? Wo hätte ich genauer hinschauen müssen?“ Die Lehrer als Vertreter einer Institution für das Thema zu sensibilisieren, ist für Pater Wolf der erste und unabdingbare Schritt hin zu einem echten und langfristigenen Kulturwandel. Das Arbeitspaket ist mehrstufig aufgebaut, die Fragestellungen und Problematiken, die es behandelt, vielfältig: von Mobbing auf dem Pausenhof über Misshandlung von Kindern bis hin zu sexuellem Missbrauch.
Lernen, sich selbst zu einer Drohsituation zu verhalten
Dann gibt es die Schüler: hier liegt der Fall anders, die Geschichte ist in eine Märchenhandlung eingebettet. Es gibt zwei verschiedene Versionen der begleitenden Fragen, altersstufengerecht angepasst: „Märchen, weil es die Erzählform einer für uns heilen Welt ist. Dieser Rahmen ist auch sehr wichtig, denn er zeigt, dass wir nicht in einer Welt leben, die voller Horror steckt, weil man Kinder sehr schnell destabilisieren kann. Dann ist es umso wichtiger, dass die Form etwas Heiles hat,“ erläutert Pater Wolf. Thema ist eine „Mutprobe“. Doch der Junge, der zu Gewalt gegen eine Freundin angestachelt werden soll, widersetzt sich der intensiven Bedrängung seiner Kameraden und zeigt so einen Ausweg aus einer ausweglos scheinenden Situation auf. Im Nachgang beschäftigen sich dann die Kinder unter Anleitung des Lehrers selbst mit dem Gesehen, können formulieren, was sie selbst bewegt hat.
Der dritte Film hingegen richtet sich an die Eltern – und in einem weiteren Sinn an jeden Erwachsenen. Die hässliche Narbe, die der Missbrauch im Kindesalter in einem mittlerweile erwachsenen Mann hinterlassen hat, bricht auf, er verlässt seine Frau, die ihm über die Jahre hinweg zur Seite stand. Sie und die Schwester des Mannes sitzen im Gespräch am Küchentisch und versuchen, das Erlebte zu verarbeiten und einzuordnen. „Das ist natürlich sehr anspruchsvoll. Aber auf diese Weise bekommt man ein Angebot, wie man darüber sprechen kann“, so Pater Wolf mit Blick auf die verschiedenen Identifikationsmöglichkeiten, die das Setting bietet.
„Und vom Konzept her haben wir das Bild einer Zwiebel, die wir dann schälen. Es gibt für jeden Film acht Fragen, und die beginnen sozusagen mit der äußeren Zwiebelschale. Das wird dann immer intensiver, aber, was bei diesem Thema extrem wichtig ist, ich selbst bestimme das Tempo und bestimme, wie weit ich gehen kann und will. Und das ist eine große Chance, weil ich dann auch die nötige Sensibilität dazu erwerbe. Opferschutz hat die höchste Priorität, und das beginnt bei mir selbst, so dass ich mich dann auch nicht selbst überfordere.“
Eine Überforderung, die durch die starke Emotionalisierung des Themas schnell bei der Hand sein kann, gibt Pater Wolf zu. Denn was in anderen Präventionsprogrammen auf Papier bereits vorhanden sei – Informationen und Aufklärung: Woran erkenne ich Missbrauch? – dringe nicht bis auf die emotionale Ebene durch und perle deswegen oft ab: „Wir haben erkannt, dass die emotionale Ebene dieses Themas nur durch eine Fiktionalisierung erreichbar ist. Sie bietet die Möglichkeit der Distanzierung und der Identifizierung. Um uns an etwas zu erinnern, brauchen wir immer die emotionale Qualität. Wenn diese fehlt, dann nehmen wir das zwar intellektuell auf, vergessen es aber schnell wieder.“
Natürlich seien Lehrer und Pädagogen keine Therapeuten, schränkt Wolf ein, doch sie könnten bei der Beschäftigung mit diesem hoch emotionalen Thema zumindest professionelle Hilfsangebote aufzeigen, wenn deutlich werde, dass einzelne Menschen aufgrund eigener schlimmer Erfahrungen mit der Situation überfordert seien – und damit zu einem Kulturwandel beitragen: „Ich würde jedem sagen, der sich mit diesem Thema beschäftigt, dass das ein großer Beitrag zu unserer Kultur und Gesellschaft ist, wenn wir sprachfähig werden und eine Brücke für die verletzten Menschen bauen. Das ist anspruchsvoll, aber Sie sind dabei nicht allein." Was dem Produzenten wichtig ist: der Film ist dank seiner Fiktionalisierung nicht auf ein bestimmtes kulturelles Umfeld beschränkt.
„Die Grundmotive menschlichen Lebens – Autonomie, Kompetenz und Beziehungsbedürfnis – sind kulturübergreifend. Weil der Film diese drei Grundmotive anspricht, kann er in vielen Kulturen funktionieren.“ Cautela! ist modular aufgebaut, die Einbettung in verschiedene Kontexte ist somit möglich. Kreativität beim Umgang mit dem Thema ist ausdrücklich erwünscht, so dass auch einzelne Filmsequenzen aus jedem Film auch mit einer einer jeweils anderen Zielgruppe angeschaut werden können.
„Das Thema Grenzen ist ein ganz entscheidendes Thema und betrifft das ganze Leben. Pädagogen egal welchen Fachs haben die Verantwortung, Grenzen zu setzen und einzufordern, und auch Grenzüberschreitungen ernst zu nehmen und darauf zu reagieren. Wenn wir uns als Gesellschaft nicht verändern, verändert sich auch das Thema nicht und wird es weiter Opfer geben. Dabei hat der Opferschutz höchste Priorität. Was wir tun können ist Prävention zu betreiben. Wir können einen Rahmen schaffen, der es den Täterinnen und Tätern nicht ermöglicht, zu operieren.“ Doch dies seien Prozesse, die man erst erlernen müsse – und damit dann „eine neue Brille“ habe, „mit der ich Dinge sehe, die sonst keiner zu sehen scheint. Das ist eine ganz große Chance der Prävention,“ zeigt sich Pater Wolf überzeugt.
Alle Arbeitsmaterialen sind online erhältlich, die Papierversion für die Gruppenarbeit in der Klasse oder beim Elternabend kann zum Selbstkostenpreis von 9,95€ erworben werden. Mehr Informationen zu dem Programm gibt es bei Loyola Productions Munich unter info@lp-muc.com oder telefonisch unter +49/89/23862418.
(vatican news)
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