Kardinal: Ruandas Genozid-Aufarbeitung ist beispielgebend
Kardinal Kambanda sprach am Dienstag im Interview mit Kathpress. „Wo ethnische Differenzen zu Kriegen führten, ist Versöhnungsarbeit notwendig, damit die Gewaltspirale unterbrochen wird. Dass dies gelingen kann, hat Ruanda der Welt vorgezeigt“, sagte Kambanda, der sich derzeit aus Anlass des 100-Jahr-Jubiläums der Päpstlichen Missionswerke (missio) in Österreich aufhält.
Besonders verwies der Kardinal auf die offiziell bis 2012 tätigen „Gacaca“-Tribunale, in denen die Kriegsgräuel des Genozids - bis zu einer Million Menschen wurden damals binnen 100 Tagen grausam ermordet, darunter auch Kambandas gesamte Familie - auf traditionelle Weise aufgearbeitet wurden. In von Dorfältesten geleiteten Sitzkreisen wurden damals die Opfer wie auch Täter angehört, zur Wahrheitsfindung und zum Beschluss von Wiedergutmachungs-Maßnahmen. „Im Unterschied zur gewöhnlichen Rechtsprechung lag dabei der Fokus nicht auf Bestrafung, sondern auf Versöhnung, sozialem Frieden und Überwindung des Hasses, der sonst über Generationen fortdauern kann“, sagte Kambanda. Leitend sei dabei das Bewusstsein dafür, dass ein Mensch nicht ohne Gemeinschaft leben könne.
Derselbe Blick, der zur Überwindung des Konflikts in Ruanda beigetragen habe, wäre auch für ein Ende des Krieges in der Ukraine vonnöten, zeigte sich der Kardinal überzeugt. „Vor allem muss die Perspektive auf die Leidenden gerichtet werden. Das Evangelium sagt klar: Tu anderen nichts, was du nicht willst, dass sie dir antun. Mit anderen Worten: Willst du selbst nicht leiden, so füg auch anderen kein Leid zu. Denn auch wenn man zum Täter wird, kann man dadurch nicht in innerem Frieden leben.“ Probleme müssten auf andere Weise gelöst werden als durch Gewalt gegen Unschuldige, Frauen und Kinder, forderte der Erzbischof.
Kirche mit Synoden-Erfahrung
Die katholische Kirche in Ruanda habe mit einer solchen auf Versöhnung fokussierten Vorgehensweise bereits viel Erfahrung, erklärte Kambanda. Dies komme nicht zuletzt deshalb, weil im Völkermord die Trennlinien mitten durch die Gläubigen verlief und sogar manche Priester zu Tätern wurden. So habe die Kirche einst als Vorbereitung auf das christliche Jubiläumsjahr 2000 eine Synode veranstaltet, in der Aussprache möglich war. „Jeder konnte seine Leidensgeschichte erzählen, die anderen hörten zu. Denn durch das Zuhören können Sympathie und Mitgefühl entstehen, was für den gemeinsamen Weg zum Frieden die Vorbedingung ist“, erklärte Kambanda.
Parallelen zog der Kardinal hier auch zu dem im Vorjahr von Papst Franziskus ausgerufenen synodalen Prozess der Weltkirche. Dieser enthalte jedoch noch ein entscheidendes weiteres Element, „nämlich das Hinhören auf den Heiligen Geist“, so der Kardinal. Aus afrikanischer Perspektive leuchte die Vorgabe des Papstes sehr ein, dass beim gegenseitigen Zuhören in den Aussagen des Gegenübers die Inspiration durch Gott gesucht werden soll. „So wie beim Feuer der Osternacht kann die Kirche erst dann vom Licht Gottes erhellt werden, wenn es jeder weitergibt“, so der Erzbischof von Kigali. Die Synode könne somit ein „Weg, um den Glauben wiederzubeleben“ werden - was er für das aktuell von einer Glaubenskrise betroffenen Europa als besonders vonnöten und durchaus für möglich halte.
Hauskirchen bewährten sich in Pandemie
Sein Heimatland erfahre derzeit eine „Blütezeit“ der Kirche und des christlichen Glaubens, berichtete der Kardinal. In Ruanda gibt es derzeit 50 Priesterweihen pro Jahr, Tendenz steigend. „Wir müssen stark selektieren, denn hätten wir mehr finanzielle Mittel für die Ausbildung, könnten es mehr sein“, sagte Kambanda. Gäbe es mehr Priester, könnten auch mehr Pfarreien eröffnet und Missionare in andere Länder entsandt werden. Derzeit sind Ruandas Diözesen in Großpfarreien gegliedert, in deren Dörfern meist Kapellen stehen. Ein- bis zweimal pro Monat kommt ein der Priester zur Eucharistiefeier vorbei, sonst sind Laien-Katechisten die Zuständigen und halten Wortgottesdienste, bereiten die Kinder auf die Sakramente vor und bringen den Menschen die Kommunion.
Doch auch innerhalb der einzelnen Dorfgemeinden bestehen in Ruanda wie auch vielen anderen Teilen Afrikas noch kleinere religiöse Strukturen: Die „Kleinen Christlichen Gemeinschaften“ (KCG), denen Kambandas Schätzung zufolge rund 60 Prozent der Katholiken des Landes angehören. In den von ihm als „Mini-Pfarreien“ bezeichneten Einheiten treffen sich bis zu zehn Familien regelmäßig, um gemeinsam zu beten, die Bibel zu lesen, sich auszutauschen und Hilfe zu leisten, wo Not ist. „Ist jemand krank, wird dessen Feld geerntet oder er wird zur nächsten Krankenstation getragen, wenn es ein entlegenes Dorf handelt“, veranschaulichte der Kardinal.
Dass in Afrika darüber hinaus auch auf das religiöse Leben in der Familie - als „Hauskirche“ - viel Wert gelegt wird, habe sich in der Corona-Pandemie als Segen erwiesen, erklärte der Erzbischof. „An Sonntagen war es so, dass das jeweilige Oberhaupt der Familie Wortgottesdienste zu Hause selbst leitete, mit dem Lesen der Bibel und Austausch. Fernsehgeräte zum Mitverfolgen der Messübertragungen gibt es ja nur in den Städten.“ Als es sieben Monate lang keine öffentlichen Messen gab und auch danach die Kirchen nur mit starken Einschränkungen - anfangs mit 30 Prozent der Kapazität, sowie weitgehend auch mit Beschränkung auf Geimpfte - öffneten, sei der Glaube somit „in den Familien weitergetragen worden“, so Kambanda.
(kap – mg)
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