Migranten: Schaffen wir das, Herr Bischof?
Derzeit besucht Heße Griechenland und die Türkei. Die Türkei hat Millionen von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien aufgenommen, und der Bischof geht davon aus, „dass noch weitere Millionen in Syrien sozusagen auf gepackten Koffern sitzen“. Seine Einschätzung: „Wir erleben hier einen Bereich, in dem Flucht und Vertreibung, Migration ein Alltagsthema ist, und zwar in einer riesigen Relevanz. Und das hat natürlich auch Auswirkungen auf Europa hat und bleibt nicht nur lokal begrenzt.“
Interview
Nun ist das Thema Migration ja schon längst in deutschen Wahlkämpfen angekommen, und die katholische Kirche macht sich mit ihrem Einsatz für Migranten und Flüchtlinge nicht immer nur Freunde. Was sagen Sie den Skeptikern – auch mit Blick auf das, was Sie in diesen Tagen sehen?
„Also erstens ist es, glaube ich, wichtig, dass wir klar vor Augen haben: Das ist kein Nischenthema, sondern es ist ein Megathema. Und wir müssen davon ausgehen, dass das Thema der Migration sich weltweit eher verstärken als verringern wird. Das heißt, man kann da nicht dran vorbei, sondern man muss sich dem stellen.
Zweitens bin ich der Auffassung, dass wir das, was in Deutschland und Europa in den letzten Jahren alles gelaufen ist, nicht schlecht- und auch nicht kleinreden sollten. Ich habe den Eindruck, wir haben viel erreicht, wir haben viel bewegt, auch dank des Einsatzes vieler ehrenamtlicher und hauptamtlicher Menschen, so dass wir in gewisser Weise auch dankbar, vielleicht sogar ein bisschen stolz sein können auf das, was wir erreicht haben.
Das Dritte ist: Ich bin der festen Überzeugung, wir werden weltweit nur weiterkommen, wenn wir Wege der Integration und des Dialogs beschreiten. Abschottung, größere Distanzen – das scheint mir nicht die Zukunft für den Globus zu sein, sondern eher ein größeres Miteinander. Und das machen wir als Christen natürlich aus christlicher Überzeugung! Wir Menschen sind Brüder und Schwestern, und der Papst bringt immer wieder zum Ausdruck: Es gibt nur eine Erde. Wir bewohnen gemeinsam dieses eine Haus dieser Welt, und das müssen wir gestalten.
Ich gebe zu: Wenn man weltweit unterwegs ist, dann kann man schon ein bisschen betrübt sein angesichts der großen Zahlen. Wir reden weltweit über mehr als 100 Millionen geflüchteter Menschen! Das sind nicht Peanuts, das sind nicht wenige, sondern das ist wirklich ein Großteil der Menschen. Und deswegen glaube ich, dass man da nicht dran vorbeisehen kann – aber man sollte sich durch die Zahlen eben auch nicht demotivieren lassen, sondern gestalten. Das ist christlicher Auftrag! Wir haben den Auftrag, die Welt zu gestalten, die Welt auch ein bisschen besser zu machen, zum Besseren zu wenden. Und überall, wo wir das erreichen, und sei es nur mit kleineren Zahlen, ist das eine Veränderung. Das ist einfach das, was wir als Christen auch dieser Welt an Positivem weitergeben wollen.“
Es sei viel erreicht worden in der deutschen kirchlichen Flüchtlingspolitik, sagen Sie.
Das klingt nach einem Merkelschen ‚Wir schaffen das‘. Nun klagen aber die Kommunen über Überlastung, und viele in Deutschland haben Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg. Da sind neue ‚Hiobsbotschaften‘ vom Migrationsphänomen natürlich nicht so willkommen…
„Also, es täte wahrscheinlich vielen, die die Hiobsbotschaften verbreiten – und die gibt es auch in Deutschland ja nicht in gerade kleinem Stil – denen täte es gut, einfach mal hierhin zu kommen! Wir leben ja in Deutschland doch auf einem hohen Level, jedenfalls verglichen mit dem, was ich hier in diesen Tagen in der Türkei erlebe oder was ich in den letzten Tagen in Griechenland erlebt habe; dort ist der Lebensstandard erheblich geringer. Das heißt, wir klagen auch auf einem hohen Niveau. Und ich würde auch mal sagen, wie es biblisch heißt: Wem mehr gegeben wurde, von dem wird auch mehr verlangt!
Also, wir haben schon auch eine Verantwortung, die wir in das Ganze einbringen sollen. Und ich halte nichts davon, dass man mit Angstparolen die Menschen verunsichert, sondern ich finde, wir müssen das tun, wovon wir überzeugt sind. Und am Umgang mit Migranten zeigt sich eben auch eine christliche Einstellung. Es geht hier um Menschen, die sich nicht einfach auf eine Reise begeben, weil es so schön wäre, sondern es geht hier um Menschen, die wirklich in Not sind! Menschen, die nicht mehr in ihren Ländern bleiben können, die sich dort keine Existenz mehr vorstellen können, weil zum Beispiel die Kinder keine Schule haben, weil das Klima unerträglich ist, weil die Gesundheitsvorsorge nicht geleistet werden kann, weil Krieg herrscht oder was auch immer; die Gründe könnten sehr vielfältig sein.
Aber jedenfalls, man macht das nicht einfach so, sondern wer sich auf den Weg begibt, der tut das aus einer tiefen Not heraus. Auch aus einer Angst vor der Zukunft, aus einer Existenzangst heraus. Und der weiß, dass es eben kein kurzer Ausflug werden wird: Menschen sind oft über Monate unterwegs. Ich bin hier auch vielen Frauen begegnet, die noch mal in einer ganz besonderen, prekären Lage sind, die zum Teil Opfer von Menschenhandel geworden sind oder werden. Und ich konnte hier zum Beispiel in Istanbul auch mit einzelnen geflüchteten, unbegleiteten Minderjährigen in Kontakt kommen.Das sind prekäre Situationen, und die Menschenwürde und erst recht der christliche Glaube verpflichten uns, für diese Menschen klar einzutreten und die Stimme zu erheben!“
Eine Fangfrage: Würden Sie jemanden von der AfD auf so eine Reise mitnehmen? Und was würden Sie ihm zeigen wollen, was Sie in diesen Tagen sehen?
„Also, grundsätzlich kann ich nur jedem wünschen, dass er mal solche Erfahrungen macht! Der Kontakt mit solchen Menschen verändert ja immer einen auch selber, oder? Das geht jedenfalls nicht spurlos an einem vorbei. Wir haben die Möglichkeit gehabt, in diesen Tagen das Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos zu besuchen… Wenn Sie da durchgehen, dann sehen sie, wie die Menschen dort leben müssen; was die Regierungsorganisationen leisten, aber wo sie auch an ihre Grenzen kommen – und wo ich eine Lanze brechen muss für die vielen NGOs, auch die Caritas, die dort sich engagiert, oft ganz rudimentär organisiert, mit wenigen Mitteln, aber mit Herz. Und wenn sie dort die Menschen erleben, dann, wie gesagt, ändert das etwas. Oder in Izmir, in der Türkei: Da haben wir einen Abend gehabt mit Geflüchteten aus Syrien, aus Afghanistan. Also, dann wird ihnen anders. Ich glaube, dass es wichtig ist, um diese Erfahrungen zu wissen, sie zu kennen und sie an sich heranzulassen – und dann praktisch Politik zu gestalten.
Wir als Kirche geben Hinweise. Ich konnte ja Gott sei Dank auch immer unser deutsches Migrationswort ‚Migration menschenwürdig gestalten‘ an den Mann und die Frau bringen und habe schon gemerkt, wie wichtig es ist, auch eine theoretische Grundlage zu legen und diese Dinge auch weiterzugeben.
Übrigens: Auch wenn die katholische Kirche hier klein ist, sie ist ein hoher Integrations- und Identifikationsfaktor. Die Gemeinden sind alle multikulti, und mir begegnen hier auch ganz viele Geflüchtete in den Gemeinden. Das ist einfach Heimat, und da sieht man eben, wie die weltweite katholische Kirche auch für die Menschen etwas Wichtiges ist. Ganz zu schweigen davon, dass es bewegend ist, mit ihnen Gottesdienst zu feiern. Ehrlich gesagt, ich habe in diesen Tagen so oft die Sprachen gewechselt wie noch kaum zuvor. Man erlebt hier fast ein Sprachenwunder, fast ein kleines Pfingsten. Und es ist bewegend, wenn diese Menschen dann nicht nur in ihrer Muttersprache beten und singen, sondern eben auch in die Liturgie ihre Nöte und Sorgen einfach mit einbringen und wie uns das weltweit miteinander verbindet.“
Die Fragen stellte Stefan von Kempis.
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.