Schweiz: „Viele werden heute weinen“
Mario Galgano – Vatikanstadt
Hinter den 1.002 Fällen stünden Menschen, die tief betroffen seien, so Vreni Peterer. „Ein Priester hat mindestens 67 Kinder missbraucht“: Dieser Satz im Bericht habe sie tief betroffen gemacht. Es sei wichtig, dass möglichst bald eine nationale Anlaufstelle geschaffen werde, fordert die Präsidentin der IG-MikU. Bei den innerkirchlichen Präventionsveranstaltungen müsste auch der „spirituellen Missbrauch“ thematisiert werden. Dieser bereite oft den Boden für körperlichen Missbrauch. Das habe sie selbst erfahren, betont Peterer: „Es macht uns wütend, zu lesen, wie Bischöfe nach wie vor mit Missbrauchsopfern umgehen“, sagt sie. „Wir fordern Transparenz in kirchlichen Verfahren, wir fordern Gerechtigkeit.“ Viele Betroffene würden ihr ganzes Leben lang leiden – oft im Stillen. Deshalb sei es wichtig, ihnen nun mehr zuzuhören.
Zu lange die Täter geschützt
Jacques Nuoffer, Präsident der Betroffenen-Organisation „Groupe Soutien aux personnes abusées dans une relation d'autorité religieuse“ (SAPEC), kritisierte, dass die Kirche viel zu lange die Täter geschützt und die Opfer ignoriert habe. Es brauche nun zusätzliche MIttel, um das Vorgefallene noch weiter aufzuarbeiten. Gerade die Situation im Tessin und in der Romandie (Westschweiz) sei noch immer zu wenig bekannt.
Abt Peter von Sury von der Konferenz der Vereinigung der katholischen Orden (KOVOS) in der Schweiz sprach bei der Pressekonferenz in Zürich an diesem Dienstag über die Verantwortung von Ordensleuten. „Gewisse fehlgeleitete Formen des Ordenslebens bilden den Rahmen für psychische Gewalt und Missbrauch“, sagt von Sury. Gerade auch in von Orden geleiteten Heimen und Schulen sei es zu Übergriffen gekommen. Von Sury sprach die „strikt patriarchale Ordnung“ im katholischen Umfeld an: Gerade Ordensleute, die gegenüber Kindern gewalttätig gewesen wurden, seien oft selber wiederum Opfer von Gewalt gewesen.
Noch mehr Licht auf das Ausmaß werfen
Gefragt wurde auch nach der zahlenmäßigen Dimension des Problems. Professorin Marietta Meier vom Forschungsteam der Pilotstudie sagte zu den bisher dokumentierten 1.002 Fällen: „Wir wissen, dass es die Spitze des Eisbergs ist, aber wir wissen nicht, wie groß der Eisberg darunter ist.“
Ein Ziel des Folgeprojekts sei es, hier noch mehr Licht auf das ganze Ausmaß des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der Kirche zu werfen. Im Rahmen der Pilotstudie, sagte Meier, sei juristisch kein „organisiertes Verbrechen“ identifiziert worden. Mit Vergleichen wie „die Kirche als Mafia“ müsse man als Historikerin sehr vorsichtig sein, betonte auch Monika Dommann, die als Historikerin ebenfalls im Forschungsteam mitgewirkt hat.
Bischof richtet sich direkt an die Betroffenen
Bei der Pressekonferenz an diesem Dienstag in Zürich war auch der Churer Bischof Joseph Bonnemain. Er richtete sich zuerst an die Betroffenen: „Jedem Einzelnen von Ihnen wurde großes Leid zugefügt. Die Täter haben Ihr Vertrauen schamlos ausgenützt. Kirchliche Führungspersonen haben es zugelassen, dass Kinder und Jugendliche Sexualstraftätern ausgeliefert waren. Täter wurden geschützt und versetzt. Manche wurden der Strafverfolgung entzogen.“ Damit hätten die Verantwortlichen in Kauf genommen, dass die Täter weiter kriminelle Taten begehen konnten.
Mit der Studie der Uni Zürich wurde erstmals eine unabhängige, externe Studie durchgeführt. Doch wieso werden die neuen Vorwürfe an die Schweizer Bischöfe nun wieder von einem internen Sonderermittler, nämlich Bischof Bonnemain, untersucht? „Wir stehen am Anfang eines Kulturwandels“, sagte Bonnemain. Noch sei dieser nicht geschafft, räumte er ein. Wenn nötig, werde er sich beim Papst persönlich dafür einsetzen, dass die Zugänge zu den Vatikan-Archiven möglich seien. Über mögliche Rücktritte der jetzigen Bischöfe sei noch nichts zu sagen. „Persönlich wäre ich froh, wenn diese Machtballung bei mir nicht vorhanden wäre“, so der Churer Bischof. Das kirchliche Recht sei bisher aber so ausgelegt.
(vatican news)
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