Deutscher EU-Bischof zur Wahl: Kirche hat klaren Auftrag
Wie Bischof Overbeck betont: „Wir als Kirchen haben einen klaren Auftrag, der nicht parteipolitisch gebunden ist." Es gehe der katholischen Kirche um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und soziale Marktwirtschaft, sowie Freiheit. Die Ergebnisse der Europawahl zeigen in Deutschland und anderen Ländern der EU einen klaren Rechtsruck. Dazu zeigt sich der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck im Interview mit dem Domradio besorgt.
Domradio*: Was bedeutet das Wahlergebnis der Europawahl konkret für die Kirchen?
Bischof Franz-Josef Overbeck, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Europa der Deutschen Bischofskonferenz, Delegierter bei der EU-Bischofskommission COMECE und Diözesanbischof des Bistums Essen: Wir als Kirchen haben einen klaren Auftrag, der nicht parteipolitisch gebunden ist. Es geht uns um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und soziale Marktwirtschaft, weil es uns um Freiheit geht. Dafür müssen wir streiten. Dafür müssen wir die besseren Argumente vortragen.
So verstehe ich unseren Einsatz als Kirche, beziehungsweise ich glaube, dass ich in diesem Zusammenhang auch ökumenisch sagen kann, als Kirchen in unserer Gesellschaft. Das ist unser Auftrag auf der sozialethischen Ebene, den wir wahrzunehmen haben, weil es uns um das Wohl aller Menschen geht.
Domradio: Wird sich als Reaktion auf die Wahl an Ihrer Arbeit etwas ändern?
Overbeck: Wir sind immer wachsam in Bezug auf Entwicklungen, bei denen wir den Blick auf den Frieden haben müssen, weil wir die prophetisch kritische Stimme der Kirche nicht vergessen werden.
Aber wenn ein Land angegriffen wird und dieses ein Recht auf Selbstverteidigung hat, müssen wir auch wissen, dass bei aller Friedfertigkeit, die normalerweise zur Erreichung dieses Zieles angeraten ist, leider Gottes dann auch Gewalt ein mögliches Mittel ist, aber nur wenn kein anderes Mittel dem Ziel eines Friedens nützt. Das ist etwas anderes, als wenn ich Gewalt aus anderen Gründen ausübe.
In einem solchen Konflikt, aber auch in einem solchen Dilemma, stehen momentan alle in Europa, die diesen schrecklichen Angriffskrieg der Russen gegen die Ukraine mitverfolgen.
Domradio: Wir dürfen die „EU nicht denen überlassen, die sie abschaffen wollen" haben Sie noch kurz vor der Wahl gesagt. Die größten Gewinne haben europakritische und rechtspopulistische Kräfte erzielt. Haben die Wähler nicht auf Sie gehört?
Overbeck: Zumindest im Blick auf das deutsche Ergebnis, kann davon nicht die Rede sein. Wenn wir die europafreundlichen Parteien zusammennehmen, kommen wir auf über 60 Prozent. Das heißt nicht, dass die wachsende Zahl der Unterstützer europakritischer bis europafeindlicher Parteien nicht alle besorgen muss. Mir scheint bedeutsam zu sein, dass wir uns im Blick auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie kräftiger und intensiver engagieren müssen.
Domradio: In Deutschland haben die Bischöfe vor der Wahl ganz klar Position gegen die AfD bezogen. Trotzdem hat die Partei hinzugewonnen, vor allem bei jungen Leuten unter 25 Jahren. Was heißt das für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland, wenn sich trotz aller Skandale selbst junge Menschen den Rechtspopulisten zuwenden?
Overbeck: Ich habe in den letzten Tagen in vielen Gesprächen immer wieder gehört, dass in Deutschland etwas verloren gegangen sei. Gemeint waren das Gefühl und das Wissen von Sicherheit. Dies scheint mir auch für viele jüngere Menschen zu passen. Von daher ist es verständlich, dass Menschen, die sich unsicher fühlen, schneller Parteien wählen, die zumindest vorläufig für Sicherheit plädieren beziehungsweise sie versprechen. Auch wenn das nur kräftige Parolen sind.
Domradio: Die Wahlbeteiligung ist gerade in Deutschland äußerst hoch ausgefallen. Ist das die einzige gute Nachricht des gestrigen Tages?
Overbeck: Als ich das gestern Abend hörte, habe ich mich gefreut und habe mir gedachte, dass wir doch demokratiefähig bleiben.
Domradio: Sie sitzen als deutscher Vertreter in der EU-Bischofskommission COMECE. Dort sprechen sie mit Vertretern aus Österreich und den Niederlanden, wo rechte Kräfte eine Mehrheit bei der Wahl erzielt haben. Wie gehen Sie damit um?
Overbeck: Wir haben im Laufe der letzten Jahre einige Erfahrungen mit solchen Wählerwanderungen erleben müssen. Zum Beispiel, wenn Sie sich die entsprechenden Ergebnisse nationaler Wahlen in Osteuropa anschauen. Im Angesicht dessen, ist es mir wichtig ein Demokrat zu bleiben und mit dem besseren Argument zu kämpfen.
Ich möchte mit den besseren Argumenten herausfordern, damit wir die Perspektiven freilegen, um die es bei Europa geht. Es geht nämlich um eine soziale Marktwirtschaft und um einen großen Raum von Freiheit. Freiheiten, die es in einer solchen Konstellation auch im politischen Sinne auf der Welt kaum gibt.
Außerdem müssen wir gleichzeitig die großen Vorteile der europäischen Verbundenheit für die nationalen Gesellschaften und Wirtschaften klar machen.
*Das Interview führte Tim Helssen für das Domradio
(dr-sst)
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