Generalaudienz: Mit Lebensweisheit gegen eine „Gesellschaft der Müdigkeit“

Silvia Kritzenberger - Vatikanstadt

„Bei der ersten Lektüre überrascht dieses kurze Buch durch seinen berühmten Refrain: Alles ist Windhauch, Nebel, Rauch, Leere,“ gab Franziskus zu bedenken. „Es ist überraschend, diese Worte, die den Sinn unseres Daseins in Frage stellen, in der Heiligen Schrift zu finden. In Wahrheit ist Kohelets ständiges Hin- und Herpendeln zwischen Sinn und Nicht-Sinn die ironische Darstellung einer Lebenserkenntnis, die von der Leidenschaft für die Gerechtigkeit losgelöst ist, deren Garant das Urteil Gottes ist.“

Man könne sich also fragen, ob nicht alles gleichgültig – „Windhauch“ – sei, wenn am Ende ohnehin das Nichts steht. Und angesichts des Zweifels, ob es sich überhaupt lohnt, sich für das Wahre und das Gute, für die Gerechtigkeit einzusetzen, stelle sich leicht ein gewisser Pessimismus ein.

„Es ist eine Art Pessimismus, der in jeder Lebensphase auftreten kann, aber es besteht kein Zweifel, dass das Alter die Ernüchterung fast unvermeidlich macht,“ erklärte Franziskus und kam zu dem Schluss: „Wenn sich die alten Menschen, die alles gesehen haben, ihre Leidenschaft für die Gerechtigkeit bewahren, dann gibt es Hoffnung für die Liebe und auch für den Glauben.“

Die weit verbreitete Versuchung der Allmacht des Wissens

Der Papst verwies auch auf die in unserer Zeit weit verbreitete Versuchung einer Allmacht des Wissens: ein „Delirium der Allwissenheit“, wie der Papst es nannte.

„Die Mönche der frühen christlichen Tradition hatten diese Krankheit der Seele, die die Eitelkeit eines Wissens ohne Glauben und ohne Moral, die Illusion der Wahrheit ohne Gerechtigkeit entdeckt, genau erkannt. Sie bezeichneten es als ,Akedia', worunter man aber nicht einfach nur Faulheit, Depression versteht. Vielmehr ist es die Kapitulation vor einer Welt, in der es keine Leidenschaft für Gerechtigkeit und konsequentes Handeln gibt.“

Diese Sinnleere, diese Antriebslosigkeit führe also dazu, dass der Mensch nachlasse im Guten und Raum schaffe für das Böse.

Dem Frieden einen Schutzwall bauen

„In der Tat sind wir bei allem Fortschritt und Wohlstand zu einer ,Gesellschaft der Müdigkeit' geworden", definierte der Papst ein Übel unserer Zeit. „Wir sollten allgemeines Wohlergehen hervorbringen und dulden einen wissenschaftlich selektiven Gesundheitsmarkt. Wir sollten dem Frieden einen Schutzwall bauen, und erleben immer mehr rücksichtslose Kriege gegen wehrlose Menschen. Natürlich macht die Wissenschaft Fortschritte, und das ist gut so. Aber Lebensweisheit ist etwas ganz anderes, und an ihr scheint es immer mehr zu fehlen.“

Und hier hätten die älteren Menschen die wichtige Aufgabe, mit ihrer Lebenserfahrung und dem notwendigen Humor jener tristen Weltsicht entgegenzutreten, die viel Wissen anhäuft, darin aber weder Sinn noch Erfüllung entdecken kann.

„Ältere Menschen, die reich sind an Weisheit und Humor, tun der Jugend so gut! Sie bewahren sie vor der Versuchung eines traurigen, weltlichen Wissens, dem die Weisheit des Lebens fehlt. Und sie führen sie zurück zur Verheißung Jesu: „Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden.“

(vaticannews – skr)