Neue Kardinäle: Gesetzte Kandidaten und Überraschungen
18 der 21 neuen Kardinäle sind unter 80 Jahre alt und wählen daher den nächsten Papst mit. Welche waren gesetzt, welche überraschen besonders?
Gudrun Sailer: Drei neue Präfekten von Vatikanbehörden waren sichere Kardinalskandidaten: Der US-amerikanische Erzbischof Robert Francis Prevost als Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe, der italienische Erzbischof Claudio Gugerotti als Leiter des Ostkirchen-Dikasteriums und, ganz frisch ernannt, der argentinische Erzbischof Victor Manuel Fernández als neuer Glaubenspräfekt. Fast scheint es, als habe Papst Franziskus die Ankündigung der neuen Kardinäle ein wenig hinausgezögert, um seinen langjährigen theologischen Berater noch miteinbeziehen zu können. Auch die Leiter großer Erzbistümer waren gesetzt, Madrid zum Beispiel oder Bogotá in Kolumbien. Andererseits haben wir in den vergangenen zehn Jahren gesehen, dass Franziskus an diesem Punkt oft Ausnahmen macht. Der Erzbischof von Italiens größtem Erzbistum, Mailand, ist nach wie vor ohne Kardinalsbirett. Da hat Franziskus den Automatismus aufgebrochen.
Welche Kandidaten kamen besonders überraschend?
Gudrun Sailer: Dass ein Weihbischof dabei war, ist ungewöhnlich und spricht für große persönliche Wertschätzung des Papstes. Die Rede ist von Américo Alves Aguiar, Weihbischof von Lissabon und Hauptorganisator des Weltjugendtags dort, zu dem Franziskus in drei Wochen reist. Aber wenigstens ist auch der Erzbischof von Lissabon schon Kardinal. 2017 hat Franziskus den Weihbischof von San Salvador, José Gregorio Rosa Chávez, zum Kardinal befördert, wobei sein Bischof nicht Kardinal war. So etwas finden viele in der Kirche gewöhnungsbedürftig, weil es ein altes Hierarchieprinzip umdeutet. Ebenfalls ungewöhnlich diesmal ist, dass unter den neuen Kardinälen zwei aktive Diplomaten des Heiligen Stuhles sind: der Franzose Christophe Pierre, Nuntius in den USA, und der Schweizer Paul Emil Tscherrig, Nuntius in Italien. Beides sind sehr anspruchsvolle Dienstorte.
Ist das der Grund für ihre Ernennung?
Gudrun Sailer: Das ist eine naheliegende Mutmaßung. Washington und Rom sind politisch wie auch kirchenpolitisch schwierig, es geht ja unter anderem um die Auswahl neuer Bischöfe. Pierre und Tscherrig sind ausgleichende Temperamente, die so manche Differenz aufzufangen verstanden, denken wir in den USA an den Kommunionstreit, bei dem konservative Bischöfe katholischen Politikern wie Biden, die bei Abtreibung eine liberale Linie vertreten, unter Verweis auf das Kirchenrecht die Kommunion verweigern wollten. Papst Franziskus lehnte das ab, und wenn es dazu am Ende in den USA nicht kam, dann war das auch das Verdienst eines klugen Nuntius.
Dennoch ist die Erhebung in den Kardinalstand für aktive Diplomaten seit längerer Zeit ungebräuchlich in der Kirche.
Gudrun Sailer: Aber eben auch keine Premiere, vor allem, wenn man länger zurückgeht. Auch heute gibt es einen anderen aktiven Nuntius mit Kardinalshut, den Italiener Mario Zenari, Vatikanbotschafter in Syrien - der einzige Diplomat, der auch im Krieg unter den Bomben nie das Land verlassen hat. Und: Sowohl Erzbischof Pierre als auch Erzbischof Tscherrig sind mit 77 und 76 Jahren schon über der Pensionsgrenze, Nuntien dürfen ja schon ab 70 Jahren den Dienst quittieren, wenn sie das beim Papst beantragen.
Was fällt sonst noch auf an der Namensliste der neuen Kardinäle?
Gudrun Sailer: Dass viele langjährige Bekannte von Papst Franziskus darunter sind. Erzbischof Tscherrig war Nuntius in Buenos Aires, als Bergoglio 2013 zum Papst gewählt wurde. Da rief ihn Franziskus an und bat den Nuntius, den Menschen in Argentinien zu sagen, sie mögen doch lieber nicht zu seiner Amtseinführung nach Rom reisen, sondern das Geld stattdessen den Armen spenden. Nochmal Argentinien: Der Erzbischof von Córdoba Ángel Rossi ist Jesuit, ihn kennt Papst Franziskus seit Jahrzehnten, und er ist auf seiner Linie als Armenseelsorger und Exerzitienleiter. Und ein drittes Mal Argentinien: Auch der Generalobere der Salesianer Don Boscos, Ángel Fernández Artime, Spanier, wirkte mehrere Jahre bis 2013 in Buenos Aires. Argentinien, Teil vier: Der schon erwähnte neue Glaubenspräfekt Fernández ist der Papstvertraute schlechthin und hat angeblich an den wichtigsten Papstdokumenten mitgearbeitet. Wobei sich Franziskus bisher Zurückhaltung bei der Berufung von Argentiniern in vatikanische Spitzenpositionen auferlegt hatte.
Wie steht es mit Kardinalsernennungen an den „Peripherien“, wie Franziskus sie gerne vornimmt?
Gudrun Sailer: Da fällt der Erzbischof von Juba im Südsudan ins Auge, Stephen Ameyu Mulla. Als Franziskus ihn 2019 zum Erzbischof der Hauptstadt-Diözese ernannte, protestierten eine Handvoll Priester und Laien gegen ihn, unter anderem, weil der Prälat aus ihrer Sicht nicht die richtige Ethnie hatte, das ist ein großes Themen in diesem buntgemischten Land. Franziskus hat Ameyu jetzt auch nach seiner Südsudan-Reise extra mit dem Kardinalshut geehrt. Und zwei weitere Afrikaner von den Rändern: Protase Rugambwa, Koadjutor-Erzbischof von Tabora in Tansania, und Stephen Brislin, Erzbischof von Kapstadt in Südafrika. Erstere beiden afrikanische Metropolien werden zum ersten Mal einen Kardinal haben, in Kapstadt ist es schon länger her, dass es (ab 1965) mit Owen McCann einen Kardinal gab. Auf andere Weise „am Rand“ steht der neue Bischof von Hongkong, Stephen Chow Sau-Yan, den der Papst ebenfalls ins Kollegium aufnimmt, das Verhältnis zwischen Rom und Peking ist ja kein unkompliziertes.
Wie viele Papstwähler haben wir am 30. September 2023, übrigens unmittelbar vor Beginn der Bischofssynode?
Gudrun Sailer: Stand jetzt: 137. Das ist erheblich mehr als die 120, die damals Papst Paul VI. als Obergrenze definiert hatte. Aber auch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben diese Grenze fallweise überschritten. Europa hätte dann 53 Papstwähler, davon 14 Italiener, Lateinamerika hätte 24 Papstwähler, Asien 23, Afrika 19, Nordamerika 15 und Ozeanien drei Papstwähler. Deutlich mehr als zwei Drittel der wahlberechtigten Kardinäle hat dann Franziskus ernannt.
(vatican news – gs)
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