Papst Pius XII. und die Shoah: Forschung braucht noch Zeit
Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt
Suzanne Brown-Fleming ist seit 2001 Leiterin der internationalen akademischen Programme des Holocaust Memorial Museums in Washington. Die Historikerin hat deutsche Wurzeln und forscht seit Jahren zur NS-Zeit, auch zur Rolle von Papst Pius XII. Immer wieder ist sie im Vatikan, um das neue Archivmaterial zum Pacelli-Papst zu sichten. Dafür ist sie Papst Franziskus dankbar:
„Ich muss erst einmal sagen, wie toll das ist, dass der Heilige Vater gesagt hat: Die Kirche hat keine Angst vor der Geschichte. Und seit 2020 sind die Vatikan-Archive wirklich offen zum Forschen. Man muss sich anmelden, wie in jedem Archiv in Europa und auch in den USA. Aber dann kann man wirklich hingehen und forschen. (...) Als Historikerin finde ich das ganz toll: Da sitze ich da mit diesen Papieren, und da sitzt neben mir irgendjemand mit einem Manuskript aus dem 11. Jahrhundert. Und das ist: wow!"
Das meiste der mehr als 16 Millionen Dokumente ist jedoch noch nicht digitalisiert - und überhaupt ist es eine unglaubliche Menge an Material:
„Das heißt auch, dass die Arbeit langsam ist. Deswegen können wir nicht heute sagen, nach drei Jahren: ,Ok, jetzt wissen wir alles.` Es dauert. Ich muss sagen: Wir sind wirklich erst am Anfang: 16 Millionen Seiten, das dauert - zehn Jahre, 15 Jahre, vielleicht 20 Jahre. Wirklich alles zusammen erforschen und dann alle zusammen diskutieren, um zu sehen: Okay, wie passt das ins Gesamtbild? Man kann nicht zum Beispiel ein Dokument finden und sagen: Okay, jetzt wissen wir genau, was im Kopf des Papstes Pius XII. vorging. Das ist keine gute Forschung."
Zum Austausch der bisherigen Ergebnisse gab es Anfang der Woche an der Päpstlichen Gregoriana Universität in Rom eine internationale Konferenz. Titel: „Neue Dokumente aus dem Pontifikat von Pius XII. und ihre Bedeutung für die Jüdisch-Christlichen Beziehungen: Ein Dialog zwischen Historikern und Theologen“.
Systematisches Netzwerk der Hilfe
Neben Suzanne Brown-Fleming sprach dort auch der Archivar des vatikanischen Staatssekretariats, Johan Ickx. Der aus Belgien stammende Historiker leitet das historische Archiv der Abteilung für die Beziehungen zu den Staaten. Er vertrat bei der Konferenz zu Pius XII. die These, kein anderer Staat in Europa habe in der Nazi-Ära so systematisch verfolgten Juden geholfen wie der Vatikan. Der Heilige Stuhl habe etwa ein eigenes Büro für die Judenhilfe gehabt. Ickx betont im Interview mit Radio Vatikan,
„dass da wirklich ein System entstanden ist - auf verschiedenen Ebenen. Das heißt: Rom, dann Italien und dann Europa und die Welt - zur Hilfe für Juden. Um das zu realisieren, brauchte man eine Art Ketten, die miteinander verbunden waren und funktionierten. Viele von diesen Akteuren sind aktiv eingesetzt worden und haben auch ihr eigenes Leben riskiert. Das geht von Ordensleuten über Laien bis zu Nuntien, Bischöfen und auch Kardinälen."
Laut Ickx lief die Hilfe teils im Untergrund, teils über offizielle diplomatische Kanäle. In Rom sei sie mit Unterstützung des Papstes vor allem über Ordenspriester gelaufen. Darüber hinaus seien in ganz Italien Geistliche und Klöster beteiligt gewesen. Auch mehrere Bischöfe, etwa die von Genua, Mailand, Florenz und Assisi, hätten damals den Verfolgten geholfen. Laut dem Vatikan-Archivar ging es sowohl um getaufte wie auch nicht getaufte Juden in ganz Europa.
Getauft oder nicht getauft? Das ist hier die Frage
Pius XII. war früh informiert
Sicher scheint hingegen nun, dass Papst Pius XII. früh über den Holocaust informiert war.
„Bei dieser Konferenz haben wir gehört, dass seit 1941, im Herbst, Papst Pius XII. schon viele Nachrichten bekommen hat - zum Holocaust und der Ermordung der Juden. Später, 1942, über Gaskammern usw. Er hat viele Berichte bekommen. Aber ich muss auch dazu sagen, dass alle Alliierten wirklich direkt Informationen in fast real Time bekommen haben", berichtet Suzanne Brown-Fleming vom Holocaust Memorial Museum in Washington im Interview mit uns.
(vatican news/kna - sst)
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