Jerusalem: „Eine Mischung aus Kreuz und Hoffnung“
Herr Bugnyar, Sie leiten das Österreichische Hospiz in der Altstadt von Jerusalem seit 20 Jahren. Wie haben Sie Jerusalem in diesem Jahr zu Ostern erlebt?
Markus Bugnyar: Das gibt Hoffnung. Das gibt uns Hoffnung und auch den einheimischen Christen. Auch wenn die Straßen der Altstadt dieses Jahr lange nicht so voll waren wie letztes Jahr oder in den Jahren vor der Coronazeit, so gibt uns das doch Hoffnung. Aber auf der anderen Seite weiß jeder von uns: Auch wenn wir hier in Jerusalem nicht direkt vom Kriegsgeschehen betroffen sind, so ist der Krieg doch ständig präsent, in jeder Begegnung, in jedem Gespräch, in unseren Gedanken. Und er war natürlich auch Thema bei unseren Bitten und Beten an diesen Ostertagen. Es ist eine Mischung, genauso wie sie dieser Zeit auch entspricht, dieser liturgischen Zeit entspricht. Es ist eine Mischung aus Kreuz und Hoffnung, die uns in diesen Tagen begleitet.
Wie ist die subjektiv empfundene Sicherheitslage in Jerusalem?
Markus Bugnyar: Auch wenn man es vielleicht anders vermuten würde: Wir fühlen uns hier in Jerusalem sicher. Das hat natürlich damit zu tun, dass wir nicht Israelis sind, dass wir nicht Palästinenser sind, dass es in diesem Nahostkonflikt ja nicht um uns geht. Wir können und dürfen uns hier sicher fühlen, im Gegensatz zu vielen anderen Menschen in der Stadt. Und natürlich ist das keine Garantie, die kann uns niemand geben.
Das Österreichische Hospiz ist ein Pilgerhaus, vermutlich stand es relativ leer in dieser Zeit?
Markus Bugnyar: Für die Karwoche und für die Osterfeiertage war es doch bis zum Ende so ein Bangen: Kommen diese angekündigten Gäste wirklich? Es ist ja so, dass die Nachrichten jeden Abend jedem vor Augen führen, dass es Krieg im Heiligen Land gibt. Und natürlich sind wir es mittlerweile gewohnt, dass es auch zu kurzfristigen Stornierungen kommen kann. Aber die Reservierungslage hat tatsächlich gehalten und wir waren zwar nicht ganz voll in diesem Jahr zu Ostern, aber doch mit einer Gruppe von 20 oder 25 Pilgergästen hier im Haus gesegnet, mit denen wir auch die Karwoche und die Osterfeierlichkeiten in unserer Hauskapelle feiern durften.
Der Gazastreifen liegt etwa 80 Kilometer von Jerusalem entfernt. Dort kämpfen die palästinensischen Christen – wie ihre muslimischen Geschwister - ums nackte Überleben. Was bedeutet Ostern, das Fest der Auferstehung, in einer solchen Lage?
Markus Bugnyar: Ich musste in diesen Tagen in meinen Bibelbetrachtungen immer wieder an die Frauen in dem Jüngerkreis Jesu denken, die Jesus begleitet haben, die unter dem Kreuz gestanden sind, während die Herren Apostel sich verflüchtigt haben und zurückgezogen haben aus Angst, wie wir aus der Heiligen Schrift wissen. Im Gegensatz zu den Männern haben die Frauen ausreichend Gottvertrauen an den Tag gelegt und sind bei Jesus geblieben. Gottvertrauen, das ist das, was wir auch predigen, das ist das, was wir brauchen in unserer Zeit. Gottvertrauen im Sinne von - auch wenn es noch so bitter ist, auch wenn es noch so schrecklich ist, auch wenn noch so sehr Menschen zu Schaden, ums Leben kommen und leiden müssen: Gottvertrauen, dass es jemanden gibt, der am Ende doch alles wiederum zu einem Guten wenden wird können. Darauf möchte ich wirklich hoffen in dieser Zeit.
Hunderte Christen haben sich in die wenigen Kirchen im Gazastreifen geflüchtet, um sich zu schützen, wie ist die Lage dort?
Markus Bugnyar: Die Pfarre zur Heiligen Familie in Gaza Stadt liegt mir natürlich ganz besonders am Herzen, denn schließlich hat sie einer meiner Vorgänger gegründet im Jahre 1879, der Südtiroler Priester Georg Gatt. Wir haben diese Pfarre ins Leben gerufen, und heute helfen wir ihr beim Überleben. Ich habe vor dem Passionssonntag einen Spendenaufruf in unserem Freundeskreis gestartet, der sehr, sehr positiv aufgenommen worden ist. Es geht ja darum, schon an die Zeit nach dem Krieg zu denken. Einiges in der Pfarre, das wieder aufgebaut werden muss, das beschädigt wurde. Aber es geht auch um die tägliche Versorgung dieser etwa 650 Menschen, die sich auf das Gelände dieser Pfarre geflüchtet haben, in der Hoffnung, dass sie dort sicherer sind als an anderen Orten der Stadt.
Und gelingt das?
Markus Bugnyar: Es ist tatsächlich möglich, ich bin im ständigen Kontakt sowohl mit dem lateinischen Patriarchat hier vor Ort, und über deren Kanäle ist es möglich, nach wie vor Geld in den Gazastreifen zu schicken, zumindest einmal pro Woche, damit Menschen dort, was es zu kaufen gibt - vollkommen überteuert natürlich - einkaufen. Aber die Versorgungslage ist zunehmend schlechter geworden. Es gibt jetzt, so weiß ich aus meinen Gesprächen auch mit Pfarrer Gabriel Romanelli, es gibt jetzt auch kaum mehr etwas am Schwarzmarkt zu kaufen. Also hier erreichen die Menschen in Gaza, die Zivilbevölkerung in Gaza, wirklich einen sehr, sehr kritischen Punkt. Ich bin mir absolut dessen sicher, dass das auch Israel vollkommen bewusst ist und dass es ihnen bewusst ist, dass sie hier auch international unter Beobachtung stehen und dafür verantwortlich gemacht werden, sollte es zu einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen kommen.
Was muss geschehen, um einen Waffenstillstand, Verhandlungen, Frieden näherzubringen und damit auch diese Katastrophe in Gaza zu beenden?
Markus Bugnyar: Schon vor einigen Wochen hat Mahmud Abbas, der Präsident der Palästinenserregierung in Ramallah, die Hamas aufgefordert, die 134 israelischen Geiseln, die nach wie vor im Gazastreifen sind, endlich freizulassen, um das Leiden der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu beenden. Jedem hier ist vor Ort klar, dass das Schicksal dieser Geiseln auch der Schlüssel zum Frieden ist. Sind sie freigelassen und wieder zu Hause bei ihren Angehörigen, dann fehlt natürlich der eigentliche Kriegsgrund, den die Regierung Netanjahu deklariert hat: die Geiseln nach Hause zu bringen und die Hamas zu zerstören. Die Hamas kann man mit ihren Repräsentanten und Vertretern und auch in ihren militärischen Einrichtungen möglicherweise angreifen und zerstören. Hamas als Ideologie, die wird es auch nach diesem Kriegsgeschehen geben, aber zumindest das Schicksal der Geiseln, sie wieder in Sicherheit zu wissen, das würde es erlauben, dass hier auch im Land sich deutlicher Protest gegen das Kriegsgeschehen artikulieren kann. Und natürlich auch, dass der internationale Druck zunimmt, diesen Krieg endlich zu beenden, weil der Kriegsgrund entfallen würde.
Wo erleben Sie in dieser Zeit des Kriegs im Heiligen Land etwas wie Feuerstellen der Solidarität zwischen Angehörigen verschiedener Religionen?
Markus Bugnyar: Ich habe selber in den letzten Tagen versucht, Kontakte zu halten und nach Möglichkeit auch neue zu knüpfen. Aber wissen Sie, dieses Gespräch zwischen den Kulturen und Religionen - es ist Krieg. Man muss sich fast schon dafür erklären, um nicht zu sagen entschuldigen, wenn man versucht, Gesprächskanäle weiterhin offen zu halten oder auch unser Pilgerhospiz als einen Ort der Begegnung anzubieten. Das ist im Moment sehr, sehr schwierig.
Warum genau?
Markus Bugnyar: Weil es so viel gibt, das geschehen ist, so viel an Brutalität und Unvorstellbarem, wenn ich an das Massaker des 7. Oktober denke und natürlich an die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Die Emotionen liegen wirklich blank, und es ist schwierig, in Zeiten des Krieges miteinander im Gespräch zu bleiben. Aber genau diese Gruppierungen, genau diese Einrichtungen, wird es in der Zeit nach dem Krieg brauchen, mehr denn je. Denn um das Vertrauen wiederherzustellen, das vollkommen zerstört wurde in den letzten Monaten, braucht es genau solche Initiativen und Gesprächsgruppen, die es schaffen, einiges beiseite zu schieben und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, und damit meine ich Frieden und Sicherheit für alle Völker hier im Heiligen Land.
Worauf hoffen Sie jetzt, nach Ostern?
Markus Bugnyar: Ich hoffe in dieser Zeit der Osteroktav darauf, dass der Krieg endlich endet und die Menschen aufatmen können. Und gleichzeitig mache ich mir keine Illusionen. Wir sind eine kleine christliche Minderheit im Land. Unser Osterjubel wird bei den Kriegsparteien kein Echo auslösen. Aber es gibt ja auch den Fastenmonat Ramadan auf muslimischer Seite, und das Pessachfest für Juden steht unmittelbar bevor. Ich hoffe sehr, dass die Feiertage zu einer Besinnung und zu einer Einsicht auf allen Seiten beitragen können.
Die Fragen stellte Gudrun Sailer.
(vatican news – gs)
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