Demonstrationen gegen Gewalt an Frauen in Kolumbien Demonstrationen gegen Gewalt an Frauen in Kolumbien  (AFP or licensors)

Kolumbien: Adveniat-Partnerin gibt Jugendlichen Perspektive

Kolumbien wird seit Jahrzehnten von Konflikten mit unterschiedlichen Guerillagruppen geschwächt. Um die Jugendlichen in einem armen Stadtteil von Tumaco kümmert sich die Deutsche Ulrike Purrer, im Auftrag von Adveniat. Unsere Kollegen vom Kölner Domradio haben mit ihr gesprochen.

DOMRADIO.DE: In den Weihnachtsgottesdiensten wird in den katholischen Gottesdiensten für das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat gesammelt. Für die aktuelle Adveniat-Kampagne sind Sie aus Ihrer Wahlheimat Kolumbien nach Deutschland gekommen und haben sogar zwei Jugendliche mitgebracht. Was hat es mit Jailer und Edwin auf sich?

Ulrike Purrer (Leiterin des Centro Afro in Tumaco, Kolumbien): Für die Adveniat-Kampagne wurden wir zu dritt eingeladen, weil in diesem Jahr ja das Thema Jugend ist und wir nicht über die Jugend sprechen wollen, sondern mit der Jugend. 

DOMRADIO.DE: In den deutschen Medien erfahren wir nicht so oft und nicht ständig etwas über Kolumbien. Wir erinnern uns, dass es einen langen und blutigen Bürgerkrieg gab. 2016 war von FARC-Rebellen die Rede. Mittlerweile hört man das nicht mehr so oft. Damals ist mit den FARC-Rebellen ein Friedensvertrag geschlossen worden. Herrscht jetzt Frieden?

Purrer: Nein. Genau das ist damals ziemlich durch die internationalen Medien gegangen, auch weil der damalige kolumbianische Präsident sogar den Friedensnobelpreis für diesen wirklich sehr hart ausgehandelten Friedensvertrag bekommen hat. 

Ulrike Purrer hilft gefährdeten Jugendlichen in Tumaco
Ulrike Purrer hilft gefährdeten Jugendlichen in Tumaco

Aber die FARC-Rebellen sind nur eine Guerilla-Gruppe, und es gibt bis zum heutigen Tag noch viel mehr bewaffnete Gruppen, die noch längst nicht die Waffen abgegeben haben. Das heißt, der Friedensprozess ist noch voll im Gange und wird uns, glaube ich, auch noch mindestens eine ganze Generation in Anspruch nehmen. 

„Der Friedensprozess ist noch voll im Gange und wird uns, glaube ich, auch noch mindestens eine ganze Generation in Anspruch nehmen“

DOMRADIO.DE: Sie arbeiten in der Stadt Tumaco. Wie müssen wir uns denn das Leben dort vorstellen? 

Purrer: Für Kolumbien ist wichtig zu wissen, dass eigentlich alle politische und ökonomische Macht auf zwei, drei große Städte konzentriert ist. Die Stadt Tumaco liegt ganz weit ab vom Schuss, unmittelbar an der Pazifikküste und schon fast an der Grenze zu Ecuador. 

Ulrike Purrer und Jailer Daniel Cortés Hortado in Tumaco
Ulrike Purrer und Jailer Daniel Cortés Hortado in Tumaco

Diese Abgelegenheit bedeutet, dass es eine ganz schwache Infrastruktur gibt. Es gibt überhaupt nur eine Straße, die uns mit dem Landesinneren verbindet. Kein fließendes Wasser, kein Abwassersystem für fast 200.000 Menschen in der Stadt Tumaco. Es ist ein ganz niedriges Bildungsniveau. 

Das heißt, wenn junge Menschen einen Schulabschluss geschafft haben und dann davon träumen, an die Universität zu gehen, müssen sie mit jungen Menschen von Privatschulen aus den großen Städten konkurrieren und haben akademisch eigentlich kaum eine Chance, zu bestehen. Auch das Gesundheitssystem ist ganz schlecht, es ist eine sehr prekäre Lebenssituation. 

Gutes Leben in prekären Verhältnissen

DOMRADIO.DE: Und doch leben Sie da gerne? 

Purrer: Ja, weil für mich Lebensqualität ja auch darin besteht, meinen Überzeugungen treu zu bleiben. Und das hängt nicht vom fließenden Wasser ab. 

Polizisten zerstören eine Koka-Plantage in der Gegend von Tumaco
Polizisten zerstören eine Koka-Plantage in der Gegend von Tumaco

DOMRADIO.DE: 2011 haben die Comboni-Missionare, das ist ursprüngliche italienische Ordensgemeinschaft, dort ein Jugendzentrum gegründet und Sie sind heute die Leiterin dort. Was für Jugendliche kommen dorthin? Und was für ein Angebot haben Sie für sie? 

Purrer: Das Schöne an diesem Jugendzentrum ist, dass es in einem der schwierigsten Stadtviertel der Stadt entstanden ist und eine pastorale Option war. Also man hätte damals auch sagen können: „Mensch, hier gibt es ja gar keine katholische Kirche, man müsste erst mal eine Kapelle bauen". 

Aber die Comboni-Missionare haben damals festgestellt, dass mindestens die Hälfte der Bevölkerung unter 25 Jahre alt ist. Die brauchen irgendwas, was sie in ihrer Freizeit tun können, wo sie sich treffen können, wo sie sich ausprobieren können, wo sie ihre Talente entdecken können. Und so ist das Centro Afro entstanden.

Mir ist als Leiterin ganz besonders wichtig, dass wir Erwachsenen überhaupt nicht diejenigen sind, die da Angebote machen. Sondern der Ansatz ist, dass wir mit den Jugendlichen zusammen bestimmte Räume, bestimmte Gruppen entwickeln. Im Moment haben wir Tanzgruppen, eine Zirkusgruppe, eine Hip-Hop-Gruppe mit einem kleinen Tonstudio, dann auch die ganz klassischen Kinder- und Jugendgruppen. 

Ich verstehe überhaupt nichts von Hip-Hop oder von Musikproduktionen. Ich kann auch nicht mal mit drei Bällen jonglieren. Die Initiative ist nicht von mir ausgegangen, sondern von den Jugendlichen selbst. Das scheint mir total wichtig zu sein, weil wir damit vermeiden, Fragen zu beantworten, die keiner gestellt hat. Es geht darum, den Bedarf der Jugendlichen ernst zu nehmen und ihren Interessen zu entsprechen. 

Ein Hoffnungsschimmer für Jugendliche 

DOMRADIO.DE: Wie viele Jugendliche kommen da zu Ihnen? 

Purrer: Ganz fest im Programm haben wir 120 Heranwachsende und Jugendliche, die fast jeden Tag bei uns sind. Dazu gibt es natürlich Laufpublikum. Dann haben sie ihre kleinen Geschwister dabei. Wir haben sogar auch eine Frauengruppe. Also wir versuchen, für die gesamte Nachbarschaft da zu sein. Aber die Kerngruppe sind diese 120 Jugendlichen.

DOMRADIO.DE: Das ist eine Arbeit, die von Adveniat unterstützt wird? 

Purrer: Genau. Adveniat ist einer unserer maßgeblichen Unterstützer. Es ist wichtig für uns, dass nicht nur punktuell eine Hilfe ankommt, sondern dass wir seit Jahren ganz treu unterstützt werden. Denn diese Prozesse, auch so ein Friedensprozess, sind nichts, was innerhalb von ein paar Wochen passiert, sondern das muss über Jahre mit einem ganz langen Atem durchgezogen werden. 

DOMRADIO.DE: Gibt es da in den vielen Jahren, in denen Sie da sind, eine Erfolgsgeschichte, wo aus den Jugendlichen etwas geworden ist?

Purrer: Ja, natürlich. Gerade wenn ich jetzt zum Beispiel an Jailer und Edwin denke, die ja jetzt hier dabei sind. Die kommen beide aus ganz einfachen Familien, haben schon brutale Dinge erlebt, haben Freunde und Verwandte an den bewaffneten Konflikt verloren. 

Diese Jungs haben sich eben nicht wie viele ihrer Gleichaltrigen für den Beitritt in eine bewaffnete Gruppe entschieden, sondern wollen Jugendleiter sein, wollen es anders machen. 

Dass sie zu diesen ganz wenigen Prozent gehören, dass Edwin es geschafft hat, an die Universität zu kommen, ist wirklich eine Hoffnung fürs ganze Stadtviertel. Jailer hat eine Ausbildung als Koch abgeschlossen; und das sind Leuchttürme, die Hoffnung für andere machen. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt

(domradio - cs) 

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26. November 2024, 12:52