Der Bauer Hla Han verlor sein Bein, als er vor seinem Haus im Bundesstaat Kaya auf eine Mine trat Der Bauer Hla Han verlor sein Bein, als er vor seinem Haus im Bundesstaat Kaya auf eine Mine trat  (AFP or licensors)

Myanmar: Das Drama der Antipersonenminen

Tausende von Menschen werden jedes Jahr Opfer von Antipersonenminen, und die überwältigende Mehrheit davon – über achtzig Prozent – sind Zivilisten. Besonders betroffen: Myanmar.

Das Bürgerkriegsland hält zusammen mit Afghanistan und Kolumbien den traurigen Rekord des Staates mit den meisten Toten durch die tückischen Sprengfallen. Seit dem Putsch vom Februar 2021 wird Myanmar von Gewalt zwischen der herrschenden Armee und zahlreichen bewaffneten Rebellengruppen zerrissen. Mittendrin, und schutzlos – die Zivilbevölkerung.

„Antipersonenminen werden seit 2021, seit dem Ausbruch des Krieges nach dem Militärputsch, immer häufiger eingesetzt.“ Das sagt Johanna Chardonnieras, Koordinatorin des Menschenrechtsverbands „Info Birmanie“, in einem Interview mit Radio Vatikan. „Der Einsatz dieser Minen ist, wenn man sich die Zahlen ansieht, geradezu explodiert, und damit auch die Opferzahlen. Dabei sind diese Opferzahlen, wie wir wissen, noch deutlich höher als geschätzt, weil die entsprechenden Gegenden abgeriegelt sind und weil kein medizinisches System die Versorgung der Verletzten registriert.“

Jährlich etwa 500 Todesopfer

Die Schätzungen gehen davon aus, dass seit 2021 in Myanmar zwischen 300 und 500 Menschen pro Jahr durch Antipersonenminen ums Leben kommen. Zusätzlich tragen viele Menschen Verwundungen und Verstümmelungen davon. Keiner weiß, wieviele Minen im Boden lauern, oder wo genau; der Südosten des Landes gilt als eine der vermintesten Regionen der Welt.

„Wir stellen fest, dass Myanmar schon seit Jahrzehnten Antipersonenminen einsetzt, derzeit insbesondere die Militärjunta. Aber sie ist nicht die einzige. Allerdings produziert sie die Minen selbst, mit ihrer Rüstungsindustrie; die Armee stellt die Antipersonenminen her, und nichtstaatliche bewaffnete Gruppen produzieren Sprengstoff, den sie selbst herstellen, und verwenden Antipersonenminen wieder, die sie seit Beginn des Krieges entschärfen konnten.“

Myanmar: Das Drama der Landminen. Ein Bericht von Radio Vatikan

Tod im Reisfeld

Nicht weniger als 17 der aktiven Rebellengruppen in den verschiedenen Teilen des Landes setzen nach Angaben von Menschenrechtlern ebenfalls Antipersonenminen ein. Doch das Regime ist nach Angaben der NGO „Human Rights Watch“ das einzige auf der Welt, das ganz regulär Antipersonenminen in Serie produziert und auf seinem eigenen Staatsgebiet einsetzt.

„Das Militärregime geht mit Luftangriffen gegen Rebellen vor; die Zahl ihrer Luftangriffe auf verlorene Gebiete ist stark angestiegen. Zugleich beobachten wir eine Militarisierung der strategischen Infrastruktur durch das Regime. Der Widerstand führt zahlreiche Sabotageakte durch, und um so etwas zu verhindern, verlegt die Armee insbesondere Antipersonenminen um die Telefoninfrastruktur, die elektrische Infrastruktur, die Pipelines usw. herum. Zusätzlich vermint die Armee Gebiete, wenn sie Landverluste hinnehmen muss, um die Menschen, vor allem die Zivilisten, sozusagen kollektiv zu bestrafen. So werfen beispielsweise Soldaten Antipersonenminen auf die Felder, und bei der Ernte werden die Bauern natürlich durch diese Antipersonenminen verletzt. Die Armee verfolgt wirklich eine Logik der Unterdrückung und der kollektiven Bestrafung.“

Tödliche Sprengsätze lauern vor Wohnhäusern oder rund um Reisplantagen; aus Angst davor gehen viele Menschen nicht mehr zur Arbeit aufs Feld, was natürlich die Lebensmittelknappheit in einigen Zonen Myanmars verschlimmert.

Kaum internationale Gelder für Minenopfer

„Was die Opfer angeht, so möchte ich darauf hinweisen, dass es in Myanmar kein richtiges Gesundheitssystem mehr gibt. In den vom Widerstand gehaltenen Gebieten wird versucht, die Krankenhäuser mit lächerlich geringen Mitteln wieder in Betrieb zu nehmen; dafür gibt es international nur sehr wenig Unterstützung… wie es überhaupt nur sehr wenig internationale Hilfe für die Minenopfer gibt. Obwohl hier wirklich etwas getan werden müsste. In der Grenzregion zu Thailand, die besonders stark vermint ist, gehen viele Opfer über die Grenze, um in Kliniken auf thailändischer Seite medizinische Versorgung zu erhalten. Leider wird der Zugang zu diesen Kliniken aber durch die thailändischen Behörden zunehmend erschwert.“

Eine der Kliniken auf thailändischer Seite wurde von Maw Kel gegründet, einem Mann aus Myanmar, selbst ein Opfer einer Mine, die ihn teilweise verstümmelt hat. In der Klinik werden Flüchtlingen aus Myanmar Prothesen angepasst.

Myanmar hat Ottawa-Abkommen nicht unterzeichnet

An ein Räumen der Minen ist in der jetzigen angespannten Lage kaum zu denken. Der Krieg ist noch im Gange, fast überall im Land; Helfer von draußen haben kaum Zugang, und Gelder für eine systematische Minenräumung stehen auch nicht bereit.

„Es gibt jedoch Freiwillige in den Volksverteidigungskräften, die auf Minenräumung spezialisiert sind. Und es gibt Berichte von Landwirten, die beispielsweise mit einem Bagger aufs Feld fahren und damit versuchen, Minen zu entfernen und Wege zu säubern. Dies sind jedoch nur lokale Initiativen, die überwiegend von Zivilisten, insbesondere Anti-Regime-Gruppen, durchgeführt werden…“

Nicht weit von Myanmar, nämlich in Kambodscha, hat diese Woche die fünfte Konferenz über das 1997 unterzeichnete Ottawa-Abkommen stattgefunden. Heute ist der letzte Tag der Beratungen. Das Abkommen verbietet die Herstellung und den Einsatz von Antipersonenminen. 164 Länder haben es nicht unterschrieben. Eines davon: Myanmar.

Das Interview mit Johanna Chardonnieras führte Jean-Benoit Harel von Radio Vatikan.

(vatican news – sk)

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29. November 2024, 11:34